„In der Krise ist es wichtig, bereits vorher vorbereitet zu sein.“
Interviewpartner: Stéphane Bonutto ist CFO Europe bei OERLIKON BALZERS in Bingen. In seinen Verantwortungsbereich fallen die Steuerung der Ergebnisse, die Budgetierung sowie das Forecasting. Dazu kommen die Kontrolle und Steuerung des CAPEX, des Networking Capital und des Cashflows. Diese Themen stellen eine Art Key Result Area dar, die als Grundlage der Arbeit des CFOs dienen. Darüber hinaus fokussiert er die Standardisierung und Automatisierung der Finanzprozesse, um die Effizienz dieser Prozesse auf das nächste Level zu heben.
Das Unternehmen: Oerlikon Balzers ist ein weltweit führender Anbieter von Beschichtungen, die die Leistungsfähigkeit und Standzeit von Präzisionsbauteilen sowie von Werkzeugen für die Metall- und Kunststoffverarbeitung wesentlich verbessern. Das Unternehmen verfügt über ein Netz von über 110 Beschichtungszentren in 36 Ländern Europas, Nord- und Südamerikas und Asiens und ist Teil des Schweizer Oerlikon-Konzerns. Der Konzern erzielte in 2019 einen Umsatz von ca. 2,6 Mrd. CHF und hat insgesamt rund 11.100 Mitarbeiter.
Das Interview führten Deborah Nasca und Nicole Hoffmann, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im Forschungsbereich „Controlling & Innovation“ am Strascheg Institute for Innovation, Transformation & Entrepreneurship der EBS Hochschule für Wirtschaft und Recht in Oestrich-Winkel. Das Interview wurde vor der Eskalation der Corona-Krise geführt.
Auf welche Signale, die auf eine mögliche Krisenentwicklung für die Oerlikon hinweisen, haben Sie bisher (vor der Corona-Krise) geachtet?
Stéphane Bonutto: Für unser Unternehmen ist der Purchasing Manager Index sehr relevant. Sinkt dieser, ist das für uns Warnstufe Gelb, sinkt er unter den Wert von 50 ist es Warnstufe Rot. Dann schrumpfen auch die Zahlen unseres Unternehmens und wir reduzieren die Kosten. Ein wichtiger Indikator ist für uns auch die Entwicklung der Automobilindustrie, aus der ein Großteil unserer Kunden stammt.
Haben die internen Risikomanagementsysteme und ein Stück weit auch die Controller bei der Früherkennung versagt, wenn das Unternehmen in eine Krise gerät?
Bonutto: Im Nachhinein ist man immer schlauer und stellt fest, dass aufgrund der relevanten Indikatoren eine sich anbahnende Krise hätte erkannt werden müssen bzw. können. Die Rolle der Controller besteht aus meiner Sicht darin, Außen- wie Innensignale auf dem Radar zu behalten, um zu erkennen, ob eine externe oder eine interne Krise droht. Dann gilt es entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um das Unternehmen aus der Krise heraus zu manövrieren.
Was würden Sie Controllerinnen und Controllern empfehlen, wenn sich Krisensignale im Unternehmen manifestieren?
Bonutto: Controller sollten negative Entwicklungen auf jeden Fall ansprechen und eine gemeinsame Linie mit der Geschäftsführung zu finden. Dieser Konsens ist wichtig, um eine erfolgreiche Unternehmensstrategie zu entwickeln. Dafür ist es notwendig, auf der gleichen Datenbasis zu agieren, um die Argumentationsweisen der anderen nachvollziehen zu können. Controller müssen dann gegebenenfalls von ihrer Planung abweichen und streng auf Basis der Faktenlage agieren. Insgesamt benötigt das Management in diesen Zeiten die Courage zu ihren Entscheidungen zu stehen.
Wie kann eine drohende Liquiditätskrise verhindert werden, bevor es zu spät ist?
Bonutto: Dazu sollten die Gewinn- und die Liquiditätslage immer als gleich wichtig erachtet werden. Gerade für kleinere Unternehmen ist es wichtig, die Liquidität zu fokussieren. Hierbei kann es sinnvoll sein, ein umfassendes Forderungsmanagement zu betreiben, die eigenen Zahlungsziele zu überdenken und auch den dritten Aspekt des Working Capital Management zu betrachten: die Bestände. Hier wird viel Liquidität gebunden. Alle Aspekte sollten regelmäßig betrachtet werden, um die Liquidität des Unternehmens zu beurteilen. Daneben sollten auch die Algorithmen, mit denen die Cash-Bestände und -bedarfe errechnet werden, auf Sinnhaftigkeit überprüft werden, damit Liquiditätsengpässe aufgrund von Rechenfehlern in jedem Fall vermieden werden können.
Das Management muss durch die Krise hinweg für die Mitarbeiter erreichbar sein, ehrlich und transparent agieren
Welche Ansätze gibt es im Kostenmanagement, um ein Unternehmen gut durch eine Krise zu führen?
Bonutto: In der Krise ist es wichtig, bereits vorher vorbereitet zu sein. Proaktiv vor einer möglichen Krise Maßnahmen zu entwickeln, die im Krisenfall ohne großartige weitere Vorbereitung durchgeführt werden können. Beispielsweise sollten schon im Vorfeld Szenario-Rechnungen durchgeführt werden, sodass in der Krise lediglich noch entschieden werden muss, welches Szenario eingetreten ist. Dieser Hard-Fact-Bereich muss jedoch durch geeignete Soft-Facts unterstützt werden. Dazu gehört es, mit den Mitarbeitern klar zu kommunizieren und ihnen das Gefühl zu geben, gemeinsam den Weg aus der Krise zu gestalten. Das Management muss durch die Krise hinweg für die Mitarbeiter erreichbar sein, ehrlich und transparent agieren.
Was möchten Sie Controllerinnen und Controllern mit auf den Weg geben, deren Unternehmen sich gerade in einer Krise befindet?
Bonutto: Wie bereits erwähnt ist es wichtig, dass Controller sich mit dem Management abstimmen. Daneben müssen Controller zeigen, dass sie nicht nur analytische Stärken besitzen, sondern auch handeln können. Es gilt dem Management in dieser Zeit eine Unterstützung zu sein und den teilweise weitreichenden Befugnissen, die die Rolle als Controller im Unternehmen aufweist, gerecht zu werden.
Wie können Krisen als Chance genutzt werden?
Bonutto: Es gilt aus der Krise zu lernen, gleichermaßen aus Dingen die gut liefen als auch aus den Fehlern. Zur Vermeidung der Fehler in der Zukunft, sollten antizipativ Maßnahmen entwickelt werden, die die Fehler verhindern. Ebenfalls sollten Frühwarnsysteme installiert bzw. auf Grundlage der neuen Erkenntnisse verbessert werden. In der Möglichkeit Krisen frühzeitig zu erkennen, liegt hier das größte Potenzial. Generell bieten Krisen auch immer die Möglichkeit, über die Maßnahmen zur Abwendung der Krise hinaus, Dinge zu verbessern. Neues einzuführen, das bereits geplant, aber noch nicht umgesetzt wurde. Insgesamt sollte das Unternehmen gestärkt aus der Krise hervorgehen.
Worin besteht Ihrer Meinung nach das größte Verbesserungspotential Krisen frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig abwenden zu können?
Bonutto: „Frühwarnsysteme“ ist ein sehr generischer Begriff. Unternehmen müssen hier eine Vielzahl von Signalen im Blick halten, dies beginnt schon bei den allgemeinen Daten zur Konjunktur im Land. Darüber hinaus gilt es die strategischen Faktoren der Branche und die speziellen Faktoren des Unternehmens zu betrachten. Hierzu benötigen Unternehmen ein funktionales und aussagefähiges Kennzahlen-Management.
Herr Bonutto, vielen Dank für das sehr interessante Gespräch!
Das vollständige Interview ist erschienen in Gleich (Hrsg.), Modernes Kostenmanagement flexibel – maßgeschneidert – nachhaltig, 2020.
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