Steuerung im VUCA-Umfeld

Resilienz, Flexibilität und Prognosefähigkeit: Auf diese Fähigkeiten kommt es an


Resilienz, Flexibilität und Prognosefähigkeit zur Steuerung

Die makroökonomischen und geopolitischen Veränderungen erfordern eine strategische Neuausrichtung der Unternehmenssteuerung. Prof. Dr. Ronald Gleich stellt zu diesem Zweck das Steuerungskonzept ReProFlex vor, das die Ideenwerkstatt des Internationalen Controller Vereines erarbeitet hat.

Immer neue makroökonomische Turbulenzen und ...

Wer dachte, die Zeit der makroökonomischen Schocksituationen und Überraschungen ist nun überwunden, wird aktuell eines Besseren belehrt. Fast täglich verunsichert die amerikanische Regierung mit neuen Ankündigungen die Weltwirtschaft und sorgt für Turbulenzen sowohl an den Börsen als auch in der Realwirtschaft.

... geopolitische Konflikte

Ganz besonders belastend sind für die Wirtschaft jedoch zusätzlich die neuen geopolitischen Spannungen, die sich in den letzten Jahren aufgebaut haben. Speziell für eine exportabhängige Nation wie Deutschland sind diese Entwicklungen fatal und gefährden damit auch unseren Wohlstand sowie unsere Wachstumsbasis. Kurzum: Die Aufgabe des Controllings, dem Management Orientierung und Planungsstabilität zu geben, wird nicht einfacher.

Neuer Schwerpunkt der Ideenwerkstatt im ICV

Vor diesem Hintergrund hat sich die Ideenwerkstatt des Internationalen Controller Vereins Gedanken gemacht, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann und was sich in der Unternehmenssteuerung ändern muss. Dabei haben sich Controller und Manager aus Weltkonzernen und großen mittelständischen Unternehmen zusammen mit Beratern und Wissenschaftlern Gedanken zu den erkannten Herausforderungen gemacht und im Team Lösungen erarbeitet.

Resilienz und Flexibilität als entscheidende Steuerungs­voraussetzungen

Im Grundsatz sind sich die Expertinnen und Experten einig, dass die neuen und oben skizzierten Kontextfaktoren der Steuerung, letztendlich die große neue Instabilität der Märkte, eine möglichst stark ausgeprägte Reaktionsfähigkeit der Unternehmen erfordert. Hierfür stehen Resilienz und Flexibilität als neue und dringend notwendige Unternehmenskompetenzen zur flexibleren Unternehmenssteuerung.

  • Resilienz beschreibt die Fähigkeit, externe Schocks zu bewältigen und sich an veränderte Bedingungen anzupassen. Resilienz bedeutet nicht nur Widerstehen, sondern auch die besondere Kompetenz, gestärkt aus Krisensituationen hervorzugehen.
  • Flexibilität ist die Fähigkeit eines Unternehmens, sich schnell und effizient an Veränderungen im Marktumfeld anzupassen. Dies umfasst sowohl interne als auch externe Faktoren. Intern geht es beispielsweise um Arbeitsflexibilität, organisatorische Flexibilität oder interne Mobilität. Extern sind Marktanpassungen, eine noch stärkere Kundenorientierung oder technologische Anpassungen zu nennen.

Das Controlling sollte zum einen diese Unternehmenskompetenzen, sofern nicht vorhanden, vom Management als dessen Business Partner einfordern und es darin unterstützen, diese kontinuierlich auf- und auszubauen. Zum anderen sollten diese Kompetenzen auch auf das Con­trolling selbst Anwendung finden, d.h. die Controlling-Tools und -Organisation sind ebenfalls flexibler und resilienter zu gestalten.

Lösungsansatz: Regionale Diversifikation und Desinvestition in Krisengebieten

Im Rahmen der Lösungssuche zeigte der Elektronik- und Automationskonzern Phoenix Contact GmbH & Co. KG, wie er operative und finanzielle Resilienzmaßnahmen umgesetzt hat. Operativ hatte man das Resilienzziel „Absicherung der Wertschöpfungskette“ formuliert. Dafür wurden folgende Maßnahmen umgesetzt:

  • Diversifizierung interner und externer Lieferanten.
  • Aufbau redundanter, regionaler Fertigungsstrukturen („local for local“).
  • Sicherung der Lieferfähigkeit trotz
  • geopolitischer Störungen.
  • Zollbedingte Nachteile durch lokale Produktion umgehen.

Der erhoffte Effekt war bzw. ist eine Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit, der Versorgungssicherheit und somit eine gewisse Krisenfestigkeit.

Flankierend hierzu wurden finanzielle Resilienzmaßnahmen zum Schutz vor wirtschaftlichen und geopolitischen Risiken umgesetzt:

  • Aufbau finanzieller Reserven & eines strategischen Liquiditätsmanagements.
  • Diversifikation der Einnahmequellen.
  • Reduktion von Kapitalbindung in Risikoregionen.
  • Einsatz regionaler Finanzierungsmodelle zur Risikominimierung.
  • Optimierung internationaler Wertströme & Gewinnverlagerung.

Ziel dieser Maßnahmen war die Absicherung gegen Liquiditäts- und Kapitalverluste in Krisenregionen.

Lösungsansatz: Mehr Flexibilität wagen

Der Verpackungskonzern Gerresheimer AG hat sich viel mit einer Erhöhung der eigenen Flexibilität beschäftigt, da das eigene Umfeld immer unsicherer und volatiler wurde. Die Führung erkannte, dass Flexibilität bei Geschäftsmodellen und Prozessen für Gerresheimer ein zentraler Erfolgsfaktor ist. Das Controlling spielt dabei eine Schlüsselrolle, indem es agil auf Veränderungen reagiert. Um diesen Anspruch umzusetzen, werden bei Gerresheimer u.a. dezentrale Controllingstrukturen und damit die Nähe zu den lokalen Märkten gefördert. Mit dem Dotted-Line-Prinzip verbindet man lokale Verantwortung mit zentraler Governance und unternehmensweiten Vorgaben. So werden in dieser Aufstellung validere Planungen durchgeführt, indem dezentrale und zentrale Planungsannahmen (z. B. zu Rohstoffen oder Zinsen) kombiniert werden, um flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren. Die Planung erfolgt in drei Zyklen (Jahresplanung, Ganzjahresforecast, Monatsforecast) und wird durch Szenarioanalysen ergänzt. Schließlich sollten alle Controller, speziell die dezentralen Controller, ein tiefes Geschäftsverständnis, analytische Fähigkeiten und ein "Growth Mindset" vorweisen.

Das Controlling muss auch die Prognosefähigkeit sicherstellen

Neben Resilienz und Flexibilität sind Controllerinnen und Controller im neuen makroökonomischen Kontext ganz besonders gefordert, eine qualitativ hochwertige Prognosefähigkeit sicherzustellen. Ziel ist dabei, fundierte Vorhersagen für zukünftige Entwicklungen in Wirtschaft und Gesellschaft möglich zu machen. Damit sollen Herausforderungen frühzeitig erkannt und Risiken minimiert werden. Dazu braucht das Controlling Kenntnisse über qualitative und insbesondere quantitative Methoden (mathematische Modelle für statistische Vorhersagen) sowie auch hinsichtlich der neuen technologischen Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz oder Big Data bieten. So hat beispielsweise der Chemiekonzern BASF SE seine Liquiditätsplanung automatisiert und ist durch den Einsatz von Machine Learning zu präziseren und effizienteren Vorhersagen in der Lage. Das Modell ist flexibel anpassbar, um auf neue Anforderungen reagieren zu können.

Tab. 1 zeigt anhand des IGC-Prozessmodells, wie das Controlling, differenziert nach neun Hauptprozessen und –aufgabenfeldern, das neue Steuerungsparadigma Resilienz, Flexibilität und Prognosefähigkeit bestmöglich unterstützen kann.


Resilienz

Prognose

Flexibilität

Strategische Planung

z.B. Aufbau einer
Resilienzstrategie bzw.
Definition von
Resilienzaspekten in der
Strategie sowie ggfs.
Aufbau einer Resilienz-BSC

z.B. Prognose von
Marktpotenzialen oder
Marktsegmenten;
Entwicklung
makroökonomischer
Größen

Abbildung verschiedener
Szenarien für
Interaktionen mit
Wettbewerbern

Planung,
Budgetierung &
Forecast
z.B. in Planung und
Forecast nichtfinanzielle
Resilienz-KPIs mit
einbauen und Jahressowie
Mehrjahresziele
dafür definieren

klassischer unterjähriger
Forecast, ins.
Marktinformationen
(Produkte, Kunden,
Regionen)

Einbau von nicht
ausgeplantem Budget als
PuSer (Slack); manuelle
EingriSsmöglichkeiten für
CRM-Informationen

Investitionscontrolling

z.B. Resilienzkriterien in die
Bewertung der
Investitionen integrieren

Zinsentwicklungen,
Mengenentwicklungen etc.
im Rahmen von Business
Cases

Abbildung von
Investitionsplanungen mit
dem Realoptionsansatz;
strategisch nicht
vollständig ausgeplante
"Top-Down-Budgets"

Kostenrechnung

z.B. Kosten der
Resilienzziele kalkulieren
zu können

bspw. Entwicklung von
Herstellkosten im
Hochinflationsumfeld
monitoren/anpassen

Verfolgung von Business
Cases, Produktergebnisbeiträge
und deren
dynamische Verdichtung

Management
Reporting

z.B. Resilienz-KPIs
definieren und in das
Standard-Reporting
integrieren

maschinelle Forecasts in
Ist-Zeitreihen integrieren/
mit diesen verbinden

Dynamische
Zusammenführung von
Kunden- oder
Produktinformationen

Business Partnering

z.B. mit dem Management
das Business-Modell
regelmäßig auf Resilienz
prüfen

Ziellücken auf Ursachen
und Maßnahmen
challengen

Notwendige
Flexibilitätsdimensionen
anpassen

Projektcontrolling

z.B. Resilienzkritierien in
die Steuerung von
Projekten integrieren

Zinsentwicklungen,
Mengenentwicklungen etc.
im Rahmen von Business
Cases

PuSer monitoren;
unterschiedliche
Strukturen und
Lebenszyklussichten
abbilden

Risikocontrolling

z.B. Resilienzaspekte in das
Risikocontrolling
integrieren

Exposurenentwicklung und
-aggregation verfolgen

MaßnahmeneSekte
dynamische anpassen

Datenmanagement

z.B. sicherstellen, dass die
nichtfinanziellen Resilienz-
KPIs im IST verfügbar sind

Ist-Daten zur Ableitung von
zeitreihenbasierten
Entwicklungen
bereitstellen

Datenmodelle schnell
erweiterbar aufsetzen

Tab. 1: Empfehlungen der ICV-Ideenwerkstatt hinsichtlich des IGC-Prozessmodells bzgl. Resilienz, Prognose und Flexibilität

Der Beitrag erschien erstmals im Controller Magazin 4/2025.


Schlagworte zum Thema:  Resilienz , Diversity , Steuerung
0 Kommentare
Das Eingabefeld enthält noch keinen Text oder nicht erlaubte Sonderzeichen. Bitte überprüfen Sie Ihre Eingabe, um den Kommentar veröffentlichen zu können.
Noch keine Kommentare - teilen Sie Ihre Sicht und starten Sie die Diskussion