Nachhaltigkeitsthemen in Krisenzeiten

Das Thema Nachhaltigkeit wird in Unternehmen immer bedeutsamer. Doch gerade in Krisenzeiten fühlen sich viele Firmen durch Nachhaltigkeitsvorgaben zusätzlich unter Druck gesetzt, wie eine aktuelle Studie von Horváth zeigt.

Viele Unternehmen haben sich Ziele zum Thema Nachhaltigkeit gesetzt. So werden Arbeitsabläufe umgestellt, erneuerbare Energien eingesetzt sowie der Verbrauch von Materialen und Rohstoffen hinterfragt. In nicht wenigen Fällen werden Geschäftsmodelle und Arbeitsabläufe komplett neu aufgesetzt. Das erfordert eine ganzheitliche Strategie, Zeit und Investitionen. Aktuell sind Unternehmen jedoch insbesondere gefordert, mit Lieferkettenproblemen und Preissteigerungen umzugehen. Wie wirkt sich das auf ihre Nachhaltigkeitsstrategie aus?

Die Beratungsgesellschaft Horváth hat für eine Studie branchenübergreifend 150 Topführungskräfte aus Unternehmen mit mindestens 200 Mio. EUR Jahresumsatz aus 6 europäischen Ländern befragt, davon 100 aus Deutschland. Die Befragung fand Ende des 2. Quartals 2022 statt und wurde im Oktober 2022 ausgewertet.

Die Studienergebnisse zeigen, dass Unternehmen sich im Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit aktuell großen Herausforderungen stellen müssen. So gaben rund 90 % der Befragten an, dass anhaltende Versorgungsengpässe bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen ein großes Hindernis darstellen.

Kostendruck sorgt für Vernachlässigung von Nachhaltigkeitszielen

Besonders schwierig scheint die Situation im Bereich der Lieferketten zu sein. So haben bei 79 % der Umfrageteilnehmer Lieferkettenprobleme einen negativen Einfluss auf die Strategie zum nachhaltigen Wirtschaften. Um die Supply Chain zu sichern, bauen daher viele Unternehmen aktuell auf Lösungen, die nicht vollständig kompatibel mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie sind. "Plakativ formuliert liegt Nachhaltigkeit gerade auf Eis und rückt frühestens im Februar wieder auf die Agenda, je nachdem wie kalt der Winter wird", sagt Matthias Deeg, Partner und Experte für Green Transformation bei der Managementberatung Horváth.

Ein Grund dürfte im Bereich der Kosten liegen: 78 % der Befragten meinen, dass strenge Nachhaltigkeitsvorgaben die Supply Chain in Zeiten massiver Preissteigerungen unnötig verteuern.

Ein weiterer Grund liegt jedoch in der Organisationsstruktur selbst: Je größer und internationaler das Unternehmen, desto komplexer werden die Strukturen. In diesen Unternehmen steigen auch die Herausforderungen bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen. 82 % stellen fest, dass Nachhaltigkeitsvorgaben, -erwartungen und -anforderungen internationale Unternehmensstrukturen vor Probleme stellen.

Verschwinden Nachhaltigkeitsthemen temporär von der Agenda?

Wie sollten Unternehmen also auf die steigenden Kosten und die Lieferkettenprobleme reagieren? 77 % vertreten die Ansicht, dass die Nachhaltigkeitsvorgaben vorübergehend gelockert werden sollten. Die Unternehmen erhoffen hierdurch die massiven Preissteigerungen bewältigen und die Versorgungssicherheit aufrechterhalten zu können.

Doch was heißt das für die Zukunft? Die Studienergebnisse zeigen, dass Unternehmen sich bereits damit befassen, welche Rolle Nachhaltigkeit spielen wird und in dem Thema weiterhin eine erhebliche Relevanz sehen.

Mehr nachhaltiges Wirtschaften durch regionale Lösungen

Immer mehr Unternehmen bauen auf regionale Lösungen. So sind bereits 85 % der Umfrageteilnehmer dabei, ihre Wertschöpfungsketten von Produktion bis Vertrieb künftig stärker in den jeweiligen Absatzmärkten zu bündeln. Die meisten Unternehmen setzen hier Europa in den Fokus aufgrund der "Versorgungssicherheit" (56 %), "politischen Stabilität" (54 %) und "Nachhaltigkeit" (53 %) mit vergleichbaren Werten.

Die überwiegende Mehrheit (89 %) glaubt, dass die De-Globalisierung bzw. die Rückbesinnung auf den europäischen Wirtschaftsraum langfristig einen positiven Effekt auf nachhaltiges Wirtschaften haben wird. So gehen die Teilnehmer davon aus, dass beispielsweise kürzere Transportwege und eine höhere Transparenz das Thema Nachhaltigkeit voranbringen werden.

Fachkräftemangel und anhaltende Lieferkettenprobleme bleiben herausfordernd

Problematisch wird jedoch insbesondere der Fachkräftemangel gesehen. 85 % gehen davon aus, dass dieser sogar noch zunehmen wird. Dies wird auch ein Hindernis bei der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen darstellen. Zudem erschweren z. B. personelle Engpässe in der Logistik die Lieferkettenprobleme. Insgesamt gehen jedoch 8 von 10 Befragten davon aus, dass sich eine Kreislaufwirtschaft etablieren wird, die zur Entspannung von Lieferkettenproblemen beitragen wird.

Horváth-Partner und Energieexperte Matthias Deeg bremst allerdings diese Erwartungen: "Eine Lokalisierung der Wertschöpfungskette allein kann nicht die Lösung sein. Es wird immer Ressourcen geben, die grenzüberschreitend bezogen werden müssen. Dafür braucht es klare Nachhaltigkeitsvorgaben, aber auch für innereuropäische Bezugssysteme", so Deeg. "Außerdem sollten trotz Energiekrise nicht komplette Nachhaltigkeitsstrategien on hold gesetzt, sondern allenfalls bewusste Abstriche gemacht werden. Sonst sind alle Wettbewerbsvorteile bis zum Frühjahr dahin."