Ein klares Leitbild lenkt die Energie in eine gemeinsame Richtung und fungiert als „Nordstern“ für die Unternehmenssteuerung. Dr. Oliver Greiner und Nikolai Brosch erklären, welche Elemente ein modernes Leitbild zur Unschlagbarkeit auszeichnen, welche Rolle der „Purpose“ spielt und wie Leitbilder in der Praxis angewendet werden.

Das Unschlagbarkeits-Prinzip

Ein Unternehmen ist unschlagbar, wenn es auf der Grundlage eines überzeugenden Leitbildes es kontinuierlich schafft, anders und besser zu werden.

Ein Leitbild zu erstellen, gehört zu den Standards der Strategiearbeit. Jede gute Strategie sollte ein übergeordnetes Leitbild beinhalten, welches den strategischen Rahmen für die weitere Ausgestaltung einer Strategie vorgibt. Gut gemacht bietet ein Leitbild einem Unternehmen eine wichtige Orientierung, stiftet einen tieferen Sinn der Arbeit, bildet den Rahmen für anstehende Entscheidungen und definiert die Erwartungen an das Verhalten von Mitarbeitern. So schaffen Leitbilder eine wichtige Basis für den wirtschaftlichen Erfolg in Unternehmen. Oder, um es in den Worten von Dr. Oliver Greiner, Partner und Leiter des Kompetenzcenters Strategy, Innovation und Sales bei Horváth & Partners, zu formulieren. „Ein Unternehmen ist unschlagbar, wenn es auf der Grundlage eines überzeugenden Leitbildes es kontinuierlich schafft, anders und besser zu werden.“

Leitbilder wurden bisher maßgeblich durch Mission, Vision, Leitsätze und Werte definiert. Doch reicht das heute noch? Dr. Greiner ist überzeugt, dass Unternehmen noch einen Schritt weitergehen müssen. Um weiterhin nach Unschlagbarkeit zu streben und erfolgreich im Wettbewerb um Kunden, Investoren und Mitarbeiter bestehen zu können, werden sich Unternehmen zusätzlich mit dem tieferen Sinn ihres Geschäftszwecks auseinandersetzen müssen, dem Purpose (Abb.2 in der Bilderserie). Doch was genau ist ein Purpose und wie grenzt er sich zu Mission und Vision ab?

Purpose, Mission, Vision – Ein Babylon der Begrifflichkeiten

Oliver Greiner gibt offen zu: „Hätten Sie mich vor drei Jahren gefragt, ob ein Purpose das Gleiche ist wie eine Mission, hätte ich Ihnen geantwortet: Ja! – Heute sehe ich das tatsächlich anders: Purpose und Mission sind grundlegend verschieden.“ Doch eine so klare Abgrenzung wie Dr. Greiner sie vorgenommen hat, ist leider in der Unternehmenspraxis noch nicht allgegenwärtig. Nikolai Brosch, Managing Consultant im Bereich Strategie und Leitbildexperte bei Horváth & Partners, verdeutlicht das Babylon der Begrifflichkeiten anhand anschaulicher Beispiele. Er zeigt, dass Mission, Purpose und Vision von führenden deutschen Unternehmen häufig vertauscht oder sogar als Synonyme verwendet werden.

Das Problem, so Brosch, bestünde vor allem darin, dass ein klares und einheitliches Verständnis über die Begrifflichkeiten sowohl in Praxis als auch in der Wissenschaft fehle. Die Gefahr darin sei, dass Leitbilder leider häufig als esoterisch und beliebig abgestempelt werden und ihre eigentliche Intention verfehlten: Ein überzeugendes Zukunftsbild mit einem überzeugenden Auftrag und klaren Leitplanken zu vermitteln.  Eine Live-Befragung der Konferenzteilnehmer gibt ihm Recht: Auch unter den vertretenen Unternehmen gibt es kein einheitliches Verständnis über die Begrifflichkeiten. Brosch beruhigt die Teilnehmer und zeigt nach dem Prinzip „Start with the why“ einen Weg aus dem Babylon auf.

Three Shades of Why: Von "Company Value" bis "Earth Value"

Dr. Greiner greift den Gedanken auf und fragt in die Runde: „Was ist der Sinn und Zweck eines Unternehmens? Warum existiert gerade Ihr Unternehmen?“ Er macht einen Exkurs durch die Wirtschaftstheorie und verdeutlicht, wie sich das Sinnverständnis von Unternehmen im Laufe der letzten Jahrzehnte verändert hat (Abb.3 in der Bilderserie).

  • Lange Zeit haben sich Manager am Shareholder-Value-Prinzip orientiert, wonach getreu dem Nobelpreisträger Milton Friedmann das Erzielen von Gewinn zentraler Zweck eines Unternehmens ist.
  • Mit der vom US-Ökonomen Peter Drucker ausgehenden Erkenntnis, dass Gewinn zwar ein Ergebnis, aber nicht der Sinn eines Unternehmens sein kann, gewann das Customer-Value-Denken an Bedeutung. Danach ist es die wichtigste Aufgabe von Unternehmen Mehrwert für Kunden und deren Zufriedenheit zu schaffen.
  • Der Strategievordenker Michael Porter hingegen geht noch einen Schritt weiter. Er ist überzeugt, dass der Sinn eines Unternehmens im 21. Jahrhundert im Shared Value verankert sein muss – der Erzielung von zugleich wirtschaftlichem und sozialem Wert.

Dr. Greiner verdeutlicht über diese Veränderung, dass die „Warum“-Frage aus drei Blickwinkeln betrachtet werden kann – den „Three shades of why“. Der Dreiklang eines erfolgreichen Leitbildes bezieht

  1. den „Company Value“ (Das Unternehmen erfolgreich machen),
  2. den „Customer Value“ (Dem Kunden Mehrwert bieten) und
  3. den „Earth Value“ (Die Welt besser machen)

mit ein. Es ist der Dreiklang des Erfolgs aus Vision, Mission und Purpose. Doch ist der Dreiklang des Erfolgs bereits in der deutschen Wirtschaft angekommen?

Leitbildstudie 2019 offenbart deutlichen Nachholbedarf bei deutschen Konzernen

Doch wie steht es um die Leitbilder der größten deutschen Unternehmen? Dazu präsentiert Brosch die Ergebnisse der neuesten Horváth & Partners Studie zum Thema Leitbild, in der die von den 90 DAX30 und MDAX Unternehmen veröffentlichten Leitbildelemente analysiert wurden. Um eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen, wurden die Ergebnisse nach der Leitbildtypologie von Horváth & Partners strukturiert. Das schockierende Ergebnis der Studie: Kein einziges der analysierten Unternehmen hat ein formal vollständiges Leitbild bestehend aus den fünf Elementen Purpose, Mission, Vision, Leitsätzen und Werten. Selbst bei Betrachtung eines sogenannten „Leitbild light“, welches laut Brosch die Minimalanforderung an ein Leitbild darstellt, hat nicht einmal jedes dritte Unternehmen einen Purpose oder eine Mission, eine Vision und Leitsätze oder Werte formuliert.

Auch die isolierte Betrachtung des Purpose liefert kein besseres Bild. Gerade einmal jedes fünfte Unternehmen hat öffentlich einen Purpose kommuniziert. „Es fehlt der Sinn!“ fasst Brosch die Ergebnisse bezüglich der Formulierung eines Purpose zusammen. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichten den eindeutigen Handlungsbedarf seitens der Unternehmen.

Abschließend gab Brosch den Teilnehmern der Jahreskonferenz noch eine pragmatische Checkliste mit, anhand derer sie ihr eigenes Leitbild kritisch prüfen können (Abb.4 in der Bilderserie). Anhand des Beispiels eines Kontaktlinsenherstellers wird die Abgrenzung der Leitbildelemente nochmals deutlich:

  • So lautet der Purpose als Beitrag zu einer besseren Welt „das Sehvermögen überall auf der Welt zu verbessern“ (Earth Value).
  • Die Mission, also der kundenbezogene Auftrag, liegt in der „Bereitstellung von Kontaktlinsen, damit die Kunden jeden Tag den besten Blick haben“ (Customer Value).
  • Und die Vision als eigener Anspruch des Unternehmens an die Zukunft lautet, das „weltweit angesehenste Unternehmen für Kontaktlinsen“ zu werden. 

In ihrem Fazit konstatieren Dr. Greiner und Brosch, dass viele Leitbilder nicht mehr zeitgemäß sind. Der Druck, dies zu ändern, kommt nicht nur von Mitarbeitern oder gesellschaftlich interessieren Kunden, sondern unter dem Stichwort „Long Term Value“ auch immer stärker von langfristig orientierten Investoren. Unternehmen sollten Auseinandersetzung rund um das Thema Purpose als Chance nutzen, ihr bestehendes Leitbild ganzheitlich weiterzuentwickeln. Denn heute, so sind sich Dr. Greiner und Brosch sicher, gefährden schwache Leitbilder den langfristigen Markterfolg.

Hier geht's zur Bilderserie "Gute Leitbilder als langfristige Erfolgsvoraussetzung"

Schlagworte zum Thema:  Strategie, Management