Drei Motive für falsche Priorisierung bei Entscheidungen

Kennen Sie das? Sie haben bei einer Entscheidung nicht die Option ausgewählt, die Sie am besten zu dem eigentlichen Projektziel gebracht hätte. Wie kann das passieren? Eine Erklärung sind drei psychische Bedürfnisse, die die sachlich richtige Entscheidung unbemerkt ausbremsen können. Um dies zu vermeiden gibt es einen einfachen Ausweg – leider ist er anstrengend. 

Bedürfnisziele contra Sachziele

Unternehmerische Entscheidungen richten sich an den angestrebten (Sach-)Zielen aus. Dieses bewusst gesetzte Ziel sollte dabei, wie bei einem Zielfernrohr, im Fokus stehen und alle Anstrengungen auf dieses Ziel einzahlen (siehe Abb.1). Bei Entscheidungen kommt es jedoch häufig vor, dass sich andere Ziele, die sog. Bedürfnisziele, in den Fokus schieben. Dies geschieht meist unbemerkt und führt dazu, dass sich die Entscheidung nicht am ursprünglich angestrebten Ziel ausrichtet. Dadurch wird die Auswahl der Optionen maßgeblich beeinflusst. Oft wird erst im Nachhinein klar, dass die getroffene Entscheidung nicht dem eigentlichen Ziel diente. Solche „Fehlentscheidungen“ sind dann aber häufig sehr kostspielig und nur schwer rückgängig zu machen – und teilweise gefährden sie auch das Unternehmen.

Abb.1: Zielwechsel bei Entscheidungen: Die Bedürfnisse werden ins Fadenkreuz genommen

Abb.1: Zielwechsel bei Entscheidungen: Die Bedürfnisse werden ins Fadenkreuz genommen

Drei zentrale psychische Bedürfnisse 

Was sind diese Bedürfnisziele, die sich bei Entscheidungen in den Fokus drängen? Nach Dörner (2014) hat der Mensch „psychische Bedürfnisse“, die mit unseren Entscheidungen auch befriedigt werden wollen - ein Kompetenz-, ein Bestimmtheits- sowie ein Affiliationsbedürfnis. Diese Bedürfnisse werden im Folgenden kurz erläutert.

  • Kompetenzbedürfnis: Das Bedürfnis nach Kompetenz beschreibt das Streben nach aktiver Kontrolle über die Umwelt. Es drückt aus, inwiefern sich eine Person dazu fähig fühlt, Probleme in der eigenen Umwelt zu lösen. Es wird befriedigt, je wirksamer man seine Umwelt im eigenen Sinne beeinflusst, je größer der Effekt ist, der mit den eigenen Handlungen bewirkt werden kann und wenn man generell Erfolg, besonders in schwierigen Situationen, hat.
  • Bestimmtheitsbedürfnis: Mit der Bestimmtheit ist das Bedürfnis nach passiver Kontrolle beschrieben. Passive Kontrolle bezeichnet dabei das Ausmaß, inwiefern man weiß oder fähig ist vorherzusagen, was passieren wird, wie sich Situationen entwickeln werden und was die Bedeutung für einen selbst sein wird. Das Ziel ist, die eigenen Annahmen über zukünftige Ereignisse bestätigen zu können, um somit Unsicherheiten zu beseitigen.
  • Affiliationsbedürfnis: Das Bedürfnis nach Affiliation beschreibt ein soziales Bedürfnis. Es umfasst den Wunsch nach Zugehörigkeit und Passung in soziale Gruppen und den damit einhergehenden Signalen der Akzeptanz. Das Ziel ist, sich durch entsprechende Handlungen den Rückhalt der sozialen Gruppe zu sichern und in dieser akzeptiert und anerkannt zu werden.

Wie psychische Bedürfnisse Entscheidungen verzerren können

In allen drei Bereichen ist man bemüht, ein bestimmtes Level zu halten, in dem man sich gut fühlt (dabei spricht man von einem regulativen Prozess). Positive Signale aus den drei Bedürfnissen heben das Level an, negative senken es ab. Was jemand als Machtsignal versteht, was ihm Sicherheit gibt bzw. was in der jeweiligen sozialen Gruppe anerkannt wird, ist individuell erlernt. Ein erfolgreicher Projektabschluss bspw. stellt für den Projektleiter ein solch positives Ereignis dar. Er hat ein herausforderndes Vorhaben auf den Weg bringen können, das die interne Bedeutung seiner Abteilung über Jahre hinweg sichert (Bestimmtheit). Dabei konnte er sein Team hinter sich bringen (Affiliation). Er hatte es sogar geschafft, den sonst so kritischen Unternehmenseigentümer zu überzeugen. Das spricht für hohe empfundene Wirksamkeit (Kompetenz).

Kritisch wird es dann, wenn Menschen in komplexen Situationen entscheiden müssen. Diese Situationen können für unsere Bedürfnisse, und grob gesprochen für unser Selbst, schnell bedrohlich werden. Die Umfeldbedingungen sind nicht klar, die Einflussfaktoren in ihrer Wirkung nicht bekannt (bedrohte Bestimmtheit); oft steht viel (Geld, Ansehen usw.) auf dem Spiel (bedrohte Kompetenz) und das eigene Team oder gar die ganze Firma verlässt sich darauf, dass man den richtigen Weg einschlägt (bedrohte Affiliation). Die Situation an sich muss noch gar nicht akut bedrohlich sein, rein die angenommene Bedrohung auf den verschiedenen Ebenen reicht bereits aus und stößt einen Prozess der Regulierung an.

Die Komplexität einer solchen Situation kann in einem oder mehreren Bedürfnissen dazu führen, dass im Gehirn ein regulativer Prozess einsetzt: es sucht nach Möglichkeiten, schnell positive Signale der Kompetenz, der Bestimmtheit oder der Affiliation zu bekommen. Dadurch rückt das Bedürfnisziel ins Zentrum, das Handeln und Entscheiden richtet sich unbemerkt danach aus. Die Folge ist, dass Optionen ausgewählt werden, die primär dem Bedürfnisziel dienen und nicht dem eigentlichen Sachziel (siehe Abb. 2).

Abb. 2: Der Mechanismus des unbewussten Zielwechsels bei Entscheidungen

Abb. 2: Der Mechanismus des unbewussten Zielwechsels bei Entscheidungen

Biases: Wie kognitive Verzerrungen die Bedürfnisregulation unterstützen – und wie man sie erkennt

Fehlereffekte, sogenannte kognitive Verzerrungen oder Cognitive Biases, spielen bei dieser Regulation eine wichtige Rolle. Die Verzerrungen beschreiben die Art und Weise, wie reguliert wird. Deutlich wird dies, wenn wir uns den „Vorteil“ bekannter kognitiver Verzerrungen aus Sicht der Bedürfnisse genauer ansehen:

  • Beispiel Confirmation Bias: Ignoriert man bei der Informationssuche jene Informationen, die der eigenen Meinung widersprechen, fragt man keine „Kritiker“, so erhält man kurzfristig das Bild, richtig zu handeln, was sowohl im Bereich der Bestimmtheit als auch der Kompetenz enorm wichtig ist.
  • Beispiel Sunk Cost Effect: Zu akzeptieren, dass man viel Arbeit, Zeit und Geld umsonst in ein Projekt gesteckt hat, ist ein massiv negatives Signal für die eigene Kompetenz. Hat man ein Team unter sich, dem man dies erklären müsste, verstärkt dies den heiklen sozialen Aspekt der Situation. Bei der Option zu bleiben, in die man bereits investiert hat, hat also kurzfristig den Vorteil, die genannten negativen Aspekte aufzuschieben. Damit zögert man die Verluste zumindest noch etwas hinaus – allerdings steigen diese dadurch häufig sogar noch an.
  • Beispiel Group Think Bias: Nach Wochen oder gar Monaten den Team-Kollegen zu sagen, dass man gerne nochmals auf Anfang springen möchte, da man gewisse grundlegende Bedenken hat, kann heikel werden. Man muss in Kauf nehmen, dass man sich sehr unbeliebt macht, vor allem wenn die Harmonie in der Gruppe einen hohen Stellenwert einnimmt. Keine Kritik zu äußern hat den klaren Vorteil, dass man kurzzeitig die Passung in der Gruppe erhält.

Die Herausforderung liegt darin, während des Entscheidungsprozesses auf etwaige Zielwechsel aufmerksam zu werden und herauszuarbeiten, welchem Ziel die gewählten Optionen primär dienen. Diese im Schatten liegenden Ziele ans Licht zu holen und deren langfristigen Einfluss auf die Entscheidungen zu identifizieren ist ein wichtiger Schritt im Aufbau gezielter Entscheidungshilfen.

Literatur:

Dörner, Die Logik des Misslingens: Strategisches Denken in komplexen Situationen, 12. Aufl. 2014.
Strohschneider, Ja, mach nur einen Plan, in Boothe/Marx/Wehner (Hrsg.), Panne–Irrtum–Missgeschick, 2016.

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Dieser Artikel ist eine Kurzfassung des Beitrags „Biases: Der psychische Mechanismus hinter kognitiven Verzerrungen“ von Dr. Markus Domeier aus dem Buch „ Unternehmerische Entscheidungen systematisch vorbereiten und treffen“, Haufe, 2020,280 Seiten, 79,95 EUR, ISBN 978-3-14089-5