Anforderungen der Digitalisierung an das Controlling

Die Digitalisierung hat neue agile Methoden und partizipative Vorgehensmodelle hervorgebracht. Diese Techniken erfordern neue Controllinginstrumente und Kennzahlen wie den „wirtschaftlichen Erfolgsindikator“. Florian Theimer erläutert die Anforderungen für ein funktionierendes Self-Controlling.

Anforderungen der Digitalisierung an das Controlling

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden auch häufig neue agile Methoden und Techniken genannt. Was wäre da zu nennen und wie wichtig ist die Bereitschaft sich hierauf im Unternehmen einzulassen?

Theimer: Agil ist ja erstmal eine leere Phrase mit vielen verschiedenen Bedeutungen. Was ich wahrnehme ist, dass zunehmend partizipative Vorgehensmodelle, die Mitarbeitern viel Verantwortung und Freiheit zugestehen eingesetzt werden, bspw. Scrum oder Kanban. Oft ändert sich neben dem Vorgehensmodell in Projekten auch die Unternehmensorganisation. Aus Abteilungen werden dann agile Feature Teams und aus Vorgesetzten Coaches.

Und wie halten Sie das in Ihrem eigenen Unternehmen?

Theimer: Wir selber haben in den letzten Jahren Hierarchien abgebaut und die Selbstverantwortung von Mitarbeitern gestärkt. So haben wir z. B. keinen Ausgabengenehmigungsprozess und unsere Mitarbeiter können über Ausgaben selbst entscheiden. Oder sie können selbst entscheiden, wieviel Zeit sie in Forschung & Entwicklung stecken und wieviel in Projektarbeit. Das funktioniert bisher sehr gut, bei uns arbeiten aber auch 500 sehr gut ausgebildete Menschen, die gerne unternehmerisch denken und eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen haben.

Frage nach Kontrolle von Ausgaben und Effizienz? Wie wird Missbrauch vorgebeugt?

Theimer: Bisher ist es nicht missbraucht worden. Durch die große Freiheit fühlen sich unsere Mitarbeiter auch verantwortlich für ihr Handeln. Und dadurch, dass jeder Mitarbeiter seine Ausgaben in eine öffentlich einsehbare Liste einträgt – sein Handeln also für alle transparent ist – entsteht der Druck, sozial konform zu handeln. Probleme hatten wir eher mit klaren Regeln. Die offizielle Regel „jeder der einen Noise-Cancelling-Kopfhörer für seine Arbeit braucht, darf sich einen kaufen“ führte dazu, dass sich auch die Mitarbeiter einen kaufen, die den Bedarf gar nicht haben.

Raten Sie jetzt jedem Unternehmen agil zu werden?

Theimer: Nicht mit der dogmatischen Methodenverliebtheit in der manche Berater „agil“ und “selbstorganisiert“ als die Lösung und „Wasserfall“ und „Hierarchie“ als das Übel darstellen. Ich bin überzeugt, beides hat seine Berechtigung. Ich finde nur jedes Unternehmen sollte die Methoden und Technologien dahinter verstehen und ausprobieren, um den richtigen Mix für das eigene Unternehmen zu finden. Deswegen wäre mein Apell: Starten Sie Experimente, probieren Sie aus und lernen daraus!

Und was sind typische Controlling-Instrumente die Unternehmen zur Entscheidungsfindung, Wirtschaftlichkeitsberechnung oder Priorisierung einsetzen sollten?

Theimer: Wenn sich Unternehmen von hierarchischen Strukturen hin zu mehr Selbstverantwortung wandeln, verändern sich natürlich auch die Controlling-Instrumente. Es müssen viel mehr Mitarbeiter über den Zustand des Unternehmens Bescheid wissen, nicht nur die Geschäftsführung. Wir haben deswegen ein aufwendiges Reporting-Instrument implementiert, das allen Mitarbeitern jederzeit Zugriff auf die wichtigsten Unternehmenskennzahlen gibt. Durch die breitere Zielgruppe ist das Controlling-Fachwissen auch nicht bei jedem Empfänger gleichermaßen vorhanden. Deswegen haben wir unsere Kennzahlen vereinfacht.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Theimer: Wir sind in 22 autarke Bereiche organisiert, die jeweils wirtschaftliche Verantwortung tragen. Einfluss haben die Bereiche auf

  • die Anzahl der Stunden, die sie für Kunden arbeiten (AE),
  • die Höhe des realisierten Tagessatzes (RT) und
  • ihre Kostenstruktur (KS).

Auf Basis dieser Eingangsgrößen haben wir die Kennzahl „wirtschaftlicher Erfolgsindikator“ (WEI) entwickelt. So bekommen alle Mitarbeiter unmittelbar Feedback zu ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Für unser Controlling ist es eine große Herausforderung, diese Zahlen schnell und zuverlässig zur Verfügung zu stellen. Jetzt kommt auch noch hinzu, dass sie die Zahlen so erklären müssen, dass alle Mitarbeiter sie verstehen und vor allem interpretieren können. Dafür haben wir eigene Schulungsformate entwickelt.

Theimer-Interview Digit&Controlling CB 60 Teil 2 Abb. 2

Theimer-Interview Digit&Controlling CB 60 Teil 2 Abb. 3

Abb.: Exemplarische Darstellung des wirtschaftlichen Erfolgsindikators (WEI) aus 2 Bereichen. Jeder Kasten steht für einen Bereich, jeder Balken für einen Monat. Der letzte Balken entspricht dem aktuellen Monat. Der WEI ist so normiert, dass er in einem wirtschaftlich erfolgreichen Monat bei 1 liegt. Diese Darstellung ermöglicht es allen Mitarbeitern die wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Bereiches nachzuvollziehen und sein Handeln danach auszurichten.

Wie reagieren die Mitarbeiter bei Abweichungen? Und bieten die Controller hierzu auch Unterstützung?

Theimer: Für unsere Mitarbeiter ist es eine Herausforderung mit solchen Zahlen vernünftig umzugehen. Insbesondere wenn diese nicht den Erwartungen entsprechen. Unser Controlling-Fachbereich unterstützt sie mit einem monatlichen Newsletter, der eine Interpretation der Zahlen enthält. Zusätzlich bieten wir leichtgewichtiges Schulungsmaterial und eine Controlling-Sprechstunde an. Auch in den Bereichsmeetings werden die Zahlen diskutiert.

Welche Instrumente werden beim laufenden Projektcontrolling eingesetzt?

Theimer: Hier unterscheiden wir 2 Sichten. In den Projekten messen wir den Projekterfolg vor allem qualitativ in Sprint-Reviews und Retros, das sind 2-wöchentliche Meetings, in denen die Projektergebnisse abgenommen und die positiven wie negativen Erfahrungen in der Projektarbeit offengelegt  werden. Einzige quantitative Messgröße ist die Velocity (Anzahl der abgearbeiteten “Stories” pro Zeit). Eine Story steht dabei für einen Arbeitsauftrag, der ca. einen Tag Zeit für einen Entwickler in Anspruch nimmt.

In der Projektaußensicht stellen wir eine Vielzahl von Kennzahlen zur Verfügung, z. B. Auslastung der Mitarbeiter im Projekt, Realisierter Tagessatz oder Realisiertes Honorar oder Deckungsbeitrag. Alle Daten liegen bei uns in einem zentralen Datenspeicher, der Zugriff darauf erfolgt über ein von jedem Mitarbeiter einfach zu bedienendes Business Intelligence Tool (bei uns: Metabase). Das nutzen unsere Projekte intensiv und haben projektspezifische Lösungen entwickelt. Unsere Controlling-Experten dienen dabei als Berater und unterstützen bei der Umsetzung.

Interviewpartner:

Florian Theimer, Geschäftsführer bei der MaibornWolff GmbH, ein Dienstleistungsunternehmen das mit 500 Mitarbeitern individuelle Softwarelösungen entwickelt. Als Informatiker mit einer Leidenschaft für neue Technologien ist er seit 2 Jahren auch für Finanzen & Controlling verantwortlich und glaubt an das große Digitalisierungspotenzial auch in diesem Umfeld.

Das Interview führten:

Prof. Dr. Andreas Klein, Professor für Controlling an der SRH Hochschule Heidelberg und Herausgeber des Controlling-Beraters

Günther Lehmann, Chefredakteur Controlling und Compliance bei Haufe-Lexware

Teil 1 des Interviews

„Starten Sie mit einer leichtgewichtigen Digitalisierungs-Vision und verfeinern diese iterativ.“

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Schlagworte zum Thema:  Digitalisierung, Kennzahl