Vorstandshaftung in der AG - wo beginnt die Pflichtverletzung?

Spekuliert wird derzeit über eine Klage der Volkswagen AG gegen ihren ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn. Er soll aufgrund seiner Rolle im Rahmen der viel diskutierten Abgasmanipulation für den daraus entstandenen Schaden haften, kolportiert wird dabei eine Summe von bis zu einer Milliarde Euro. Ein Anlass, um Inhalt und Grenzen der Geschäftsführungshaftung in Aktiengesellschaften zu betrachten.

Wofür haftet der Vorstand einer AG in welchem Umfang und wie werden etwaige Ansprüche durchgesetzt?  

Grundsatz: Haftung des Vorstands bei Pflichtverletzungen, § 93 AktG

Gemäß § 93 Abs. 1 S.1 AktG haben die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden.

Nach dem ersten Satz von Absatz 2 dieser Norm haften sie im Falle von Pflichtverletzungen für den daraus entstehenden Schaden gesamtschuldnerisch.

Beginn und Ende der Organhaftungsgefahr

In zeitlicher Hinsicht droht diese Gefahr ab der Bestellung zum Vorstandsmitglied. Für die Pflichten nach § 93 AktG ist allein die Begründung der Organstellung durch den formalen Bestellungsakt entscheidend. Auf die Wirksamkeit oder Existenz eines Anstellungsvertrags kommt es nicht an. Mit der Beendigung des Amts endet die Verantwortlichkeit, wenn nicht das Vorstandsmitglied faktisch weiterhin organähnliche Tätigkeiten ausübt. Verjährung entstandener Ansprüche endet nach 5 bzw. bei börsennotierter AG nach 10 Jahren.

Was ist eine Pflichtverletzung im Sinne der Organhaftung?

Die Unternehmensleitung trifft täglich Entscheidungen, viele davon sind prognostischer Natur, die Folgen fast jeder Handlung ungewiss. Das gehört zum Geschäft und wird deshalb auch vom Gesetz berücksichtigt: So lassen die Vorschriften zur Vorstandshaftung auch risikofreudiges Verhalten zu, solange dieses wohl dosiert ist und den nötigen Grad an Rationalität in sich trägt.

Laut § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG liegt eine Pflichtverletzung deshalb nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.

Vorstand muss auf Grundlage angemessener Information handeln

 Ob das Vorstandsmitglied dies annehmen durfte, beurteilen Gerichte aber nicht etwa folgenbasiert im Nachhinein, sondern danach, ob das Vorstandsmitglied seine Maßnahme vor ihrem Vollzug (ex ante) als geeignet für die Förderung des Unternehmenswohls ansehen durfte.

Justiziabel sind dabei nicht nur durch positives Tun verfolgte Aktivitäten, auch das Unterlassen einer Geschäftschance wegen zu hoher Risikoaversion kann haftungsbegründend wirken.

Die Frage, ob eine „auf Grundlage angemessener Information“ getroffene Entscheidung vorliegt, ist keinem unmittelbar empirischen Beweis zugänglich. Vielmehr bewerten Gerichte, ob der Vorstand die ihm praktisch und theoretisch zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen sachgerecht ausgeschöpft hat. Dabei ist im „sicheren Hafen“, wer die vertretbare Mitte zwischen den Extrempolen unzureichender Faktenlage einerseits und einem „information overkill“ andererseits findet. Der Vorstand darf sich also zwar keiner völlig unüblichen Prognosetechniken bedienen, muss aber auch nicht zwingend externe Gutachten oder Marktanalysen einholen.

Grenze zwischen angemessen und haftungsträchtiger Pflichtverletzung

Wo genau die Grenze zwischen Angemessenheit und haftungsträchtiger Pflichtverletzung verläuft, hängt von den Branchenusancen in der jeweiligen oder vergleichbaren Situation ab. Die Rechtsprechung übt Vorsicht bei der Beanstandung von Vorstandsentscheidungen und hat z.B. den Erwerb von Assets zu überhöhten Preisen, die Überschreitung des Unternehmensgegenstandes oder die Darlehensausreichung ohne genügende Sicherheit als Pflichtverletzungen i.S.v. § 93 AktG eingestuft.

Wichtig: In jedem Fall empfiehlt sich für Organmitglieder, Entscheidungsbasis und –verfahren in ihrer Amtszeit nachvollziehbar und schlüssig dokumentieren.

Handeln zum Wohle der Gesellschaft

Zum Wohle der Gesellschaft handelt der Vorstand nicht, wenn er sich übermäßig von eigenen Interessen leiten lässt, statt sich am Unternehmensinteresse zu orientieren.

Doch nicht jede Interessenkollision schließt ein gesetzeskonformes Handeln aus, entscheidend ist, ob deren Gewicht sich zu Ungunsten des Unternehmens auf die Entscheidung auswirkt. Soweit die Interessen von Individuum und Gesellschaft decken, ist die Verfolgung eigener Interessen unschädlich.

Organisations- und Überwachungspflichten

Auch Verletzungen von Organisations- und Überwachungspflichten können eine Haftung des Vorstands nach sich ziehen, Wegsehen hilft nicht.

  • So hat der Vorstand als Gesamtorgan nach § 91 Abs. 2 AktG geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.
  • Daneben bestehen auch Überwachungspflichten innerhalb des Vorstands, die Aufteilung der Geschäftsführung nach Ressorts entbindet also nicht vollständig von der Verantwortlichkeit für andere Geschäftsbereiche.

Ferner haben Vorstandsmitglieder die Angemessenheit ihrer eigenen Organisation sicherzustellen.

Beweislast beim Vorstandsmitglied

Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Pflichtverletzung wird dem jeweiligen Vorstandsmitglied auferlegt.

  • Ausgeschiedene Vorstände können dem meist nur nachkommen, wenn sie über die Unterlagen verfügen, auf deren Grundlage sie die in Streit stehende(n) Entscheidung(en) getroffen haben,
  • weshalb ihnen entsprechende Einsichts- und Auskunftsansprüche gegen die Gesellschaft zustehen,
  • die sich in der Praxis bei mangelnder Kooperation des Unternehmens allerdings als stumpfes Schwert erweisen.

Wichtig: Die vertragliche Zusicherung eines umfassenden Auskunftsrechts in Bezug auf die eigene Amtszeit oder die Erstellung eines aussagekräftigen Index über alle relevanten Dokumente können die Ausgangssituation für den Vorstand erheblich verbessern.

Ausschluss der Haftung und Verjährung

Die Haftung gegenüber der Gesellschaft ist nach § 93 Absatz 4 AktG ausgeschlossen, wenn die Handlung auf einem gesetzmäßigen Beschluss der Hauptversammlung beruht, was indes nicht für gesetzeswidrige Beschlüsse gilt.

Eine Billigung des Aufsichtsrats ist dagegen immer irrelevant. § 93 AktG ist nicht abdingbar; das Ziel der Norm, Schäden des Unternehmens vorzubeugen und auszugleichen kann also nicht durch vertragliche Haftungsfreistellungen unterlaufen werden. Die Ansprüche verjähren nach 5 Jahren, für börsennotierte Gesellschaften gilt eine Zehn-Jahres-Frist.

Rechtsfolge der Organhaftung: Schadensersatz für die AG

Die Ersatzpflicht setzt voraus, dass der Gesellschaft aufgrund der Pflichtverletzung ein Schaden entstanden ist. In diesem Fall ist der hypothetische Zustand herzustellen, der ohne die zum Ersatz verpflichtende Tatsache bestünde. Deshalb kann ein Schaden auch in entgangenem Gewinn liegen oder Schadensersatz zur Zahlung eines der Gesellschaft auferlegten Bußgeldes verpflichten. Insbesondere können auch durch interne Untersuchungen entstandene und oftmals äußerst kostenträchtige Beratungskosten Gegenstand einer Ersatzpflicht sein.

Die Rolle des Aufsichtsrats bei der Organhaftung

Beschließt die Hauptversammlung einen Schadensersatzanspruch gegen ein Vorstandsmitglied zu verfolgen, so muss der Aufsichtsrat diesen Anspruch geltend machen, weil nur dieser die Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern vertritt. Ganz generell und unabhängig von entsprechenden Aktivitäten der Hauptversammlung ist der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan gesetzlich verpflichtet, die Erfolgsaussicht der Verfolgung etwaiger Schadensersatzansprüche gegen (ehemalige) eigene Vorstandsmitglieder zu prüfen.

Prüfung der Erfolgsaussichten der Organhaftungsklage

Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft haben ihre Entscheidungen auf Basis angemessener Informationsgrundlage zum Wohle der Gesellschaft zu treffen. Tun sie dies nicht, so haften sie gesamtschuldnerisch für den daraus entstandenen Schaden, der vom Aufsichtsrat im Namen der Gesellschaft geltend zu machen ist. Die Beweislast für das Vorliegen pflichtgemäßen Handelns liegt bei den Vorstandsmitgliedern. Diese können ihr Haftungsrisiko durch Dokumentation ihrer Entscheidungsfindung schmälern und sich zusätzlich durch Abschluss einer sog. Directors & Officers-(D&O)-Versicherung absichern.

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Die Risiken des Leitungspersonals, das heißt

  • der Vorstände,
  • der Aufsichtsräte,
  • der Geschäftsführung,
  • sowie auch der leitenden Angestellten

im Falle eines durch einen Compliance-Verstoß entstehenden Schadens persönlich in Anspruch genommen zu werden, sind durch die seitens der Rechtsprechung gestellten Anforderungen erheblich gewachsen. Die D&O -Versicherung soll dem Führungspersonal eines Unternehmens Schutz vor schadensrechtlichen Folgen von Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen, Verletzung der Aufsichtspflicht und sonstigen Sorgfaltspflichtverletzungen bieten.
Wie die Untersuchung eines Spezialversicherers, der in Köln ansässigen VOV-GmbH, zur Managerhaftung belegt ist das Bewusstsein des Führungspersonals in Unternehmen für die persönlichen Risiken, die durch Regelverletzungen entstehen, gewachsen. Die Studie beruht auf der Befragung von 200 Geschäftsführern nicht inhabergeführter Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens 50 Millionen Euro. Ein Großteil der Geschäftsführer gab an, sich hohen Risiken durch mögliche Sorgfaltspflichtverletzungen ausgesetzt zu sehen. Die Risikobewertung erfolgte in der Reihenfolge

  • Inanspruchnahme durch Insolvenzverwalter,
  • dienstvertragliche Auseinandersetzungen,
  • Vermögensschäden durch Kalkulationsfehler,
  • Schäden durch Nichtbeachtung von Compliance-Vorschriften.

D&O-Versicherungsschutz-Gefahrenpunkte: Nicht immer greift die D&O jedoch, wie so manche Versicherung, im Ernstfall so sicher, wie der Versicherungsnehmer gehofft hat. So droht z.B. u.U. der Verbrauch der Deckungssumme. Genau zu prüfen ist auch der Vertragsinhalt, um Deckungslücken zu erkennen und im Auge zu behalten ist auch die Gefahr einer Anfechtung.