Tatort: Arbeitnehmersicherheit in der chemischen Industrie

Die Chemieindustrie lobt sich selbst. Der Bundesverband der Arbeitgeber der chemischen Industrie preist die Arbeitsplätze in den deutschen Chemieunternehmen als zu den sichersten auf der Welt gehörend. Wahrheit oder Schönfärberei?

Im letzten ARD-Tatort aus Wien war ein Arbeitsunfall, verursacht durch eine ätzende, chemische Flüssigkeit  und einen unzureichenden Schutzanzug Auslöser für die Mordermittlungen der TV-Kommissare.

Unfälle durch chemische Stoffe

Aus Gründen der Gewinnmaximierung waren dem Unternehmen Schutzanzüge verkauft worden, die nicht die gefährlichen Stoffe abhielten, für die sie klassifiziert waren. Das kostete eine Arbeitnehmerin, die von Flusssäure kontaminiert wurde, das Leben.

Unfälle durch chemische Stoffe sind auch in der Wahrnehmung der Bevölkerung ein echtes Bedrohungspotential. Sie betreffen nicht nur Arbeitnehmer, sondern können auch die umliegende Bevölkerung empfindlich in Mitleidenschaft ziehen.

Giftwolke über Spanien

Am 12.2.2015 vermeldete die Zeitung „Die Welt“ eine riesige Giftwolke über Spanien nach einer Explosion von Chemikalien in einem Lagerhaus.

75.000 Einwohner durften zeitweise ihre Häuser nicht verlassen, weil eine Verätzung der Atemwege durch Dämpfe von Salpetersäure und Eisenchlorid drohte. Am 4.6.2014 wurden zwei Personen bei einer Explosion in einer Chemiefabrik des Ölkonzerns Shell in den Niederlanden verletzt.

Ist es also gefährlich, als Arbeitnehmer in einem Unternehmen der chemischen Industrie tätig zu sein?

Halbierung der Arbeitsunfälle seit 1990 

Der Bundesverband der Arbeitgeber der chemischen Industrie (BAVC) bestreitet vehement eine überproportionale Gefährdung von Arbeitnehmern in der Chemieindustrie.

  • Der Verband verweist auf eine Halbierung der Arbeitsunfälle in der chemischen Industrie seit 1990.
  • Die Zahl der Unfälle sei auch weiterhin rückläufig.
  • 790.000 anerkannte Arbeitsunfälle im Jahre 2013 bedeuteten einen Rückgang um rund 12.000 Unfälle gegenüber dem Jahr 2012.

Der Verband führt dies auf erhebliche Investitionen der Unternehmen in Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung zurück.

Hoher Compliance-Standard durch Implementierung effizienter Kontrollmechanismen

Der BAVC weist darauf hin, dass die Chemie mit 18,3 meldepflichtigen Arbeitsunfällen pro 1.000 Arbeitsplätze zu den drei sichersten Branchen aller Berufsgenossenschaften gehört. Der Verband betont, dass umfangreiche Compliance-Maßnahmen in Kombination mit der Implementierung effizienter Kontrollmechanismen zu einem erheblichen Anstieg der Sicherheit in den Unternehmen geführt habe.

In den gewerblichen Unternehmen hätten im Jahre 2013 insgesamt 421.000 Sicherheitsbeauftragte die Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen überwacht.

Chemieindustrie auf gutem Niveau

Die Statistiken zu den Arbeitsunfällen in unterschiedlichen Branchen sind nicht ohne weiteres vergleichbar, da verschiedene Faktoren in ein Verhältnis zu setzen sind, das eine Vergleichbarkeit ermöglicht. Hierzu gehören die Zahl der Beschäftigten und die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden.

Wer sind die Spitzenreiter bei den Arbeitsunfällen?

Nach einer Statistik der Arbeitsunfallversicherungen, die als Bezugsgröße für meldepflichtige Arbeitsunfälle 1 Million geleistete Arbeitsstunden zu Grunde legt,

  • ereignet sich die höchste Unfalldichte in dem Bereich Baustoffe – Steine - Erden,
  • gefolgt von der Papierherstellung
  • und der Lederindustrie.

Die chemische Industrie bewegt sich bei der Zahl der Arbeitsunfälle mit deutlichem Abstand im unteren Drittel der Statistik. Allerdings war Jahre 2014 innerhalb der Chemieindustrie die Unfallquote im Bereich Kunststoffherstellung auffallend hoch. Eine Erklärung hierfür liefert die Industrie nicht. Besonders hier ist also noch erheblicher Raum für Verbesserungen.

Betriebsrat kann Anstöße geben - Handlungsansätze

So positiv die Zahlen sich auch entwickelt haben mögen: Jeder Unfall, bei dem Menschen zu Schaden kommen, ist einer zu viel. Eine Verbesserung des Sicherheitsstandards durch noch effizientere Regeln zur Arbeitsnehmersicherheit und deren Überwachung ist also immer noch möglich. Hierbei kommt in größeren Unternehmen nicht zuletzt den Betriebsräten eine wichtige Aufgabe zu.

  • Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift betriebliche Regelungen zu treffen hat.
  • Bei den sehr weit gefassten gesetzlichen Generalklauseln zum Gesundheitsschutz (§ 3 Abs.1 ArbSchG) darf der Betriebsrat allerdings nur dann mitbestimmen, sofern eine unmittelbare objektive Gesundheitsgefahr besteht
  • und eine zum Gesundheitsschutz durchgeführte Gefährdungsbeurteilung einen Handlungsbedarf ergibt (z.B. § 5 ArbSchG).

In jedem Fall können Betriebsräte Anstöße zu einem verbesserten Arbeitnehmerschutz geben.

Lernen vom Nachbarn - ausgezeichnete Sicherheit!

Aber auch die Arbeitgeberverbände können Anreize für eine Verbesserung des Arbeitnehmerschutzes schaffen. Die Österreicher machen es vor. Der oberösterreichische Fensterhersteller Internorm wurde kürzlich mit dem internationalen  „Responsible-Care –Zertifikat“ ausgezeichnet. Responsible-Care bewertet

  • neben der Arbeitnehmersicherheit
  • die Anlagensicherheit,
  • die Emissionen (Lärm Luft Lagerung von Rohstoffen)
  • sowie Transport- und Energiewirtschaft.

Sicherheit als Teil des Marketingkonzepts eines Unternehmens

Sylvia Hofinger, die Geschäftsführerin des Dachverbandes Chemische Industrie Österreich betont, immer mehr chemische Unternehmen in Österreich setzten sich die Verleihung dieser Auszeichnung zum Ziel.

  • Die Auszeichnung selbst würde Teil des Marketingkonzepts eines Unternehmens, da dieses Prädikat inzwischen nicht nur die Kaufentscheidung von privaten Abnehmern, sondern auch zunehmend die geschäftliche Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen positiv beeinflussen würde.
  • Damit wird das Prädikat herausragender Arbeitnehmersicherheit in Verbindung mit weiteren Nachhaltigkeitskriterien wichtiger Bestandteil des geschäftlichen Erfolgs eines Unternehmens.

Absolute Sicherheit bleibt allerdings auch ein unerfüllbarer Traum - Raum für einen Tatort-Krimi wird es immer geben.


Schlagworte zum Thema:  Vorbildlicher Arbeitsschutz, Arbeitsschutz