Das staatlich sanktionierte Streben nach wirtschaftlichem Reichtum hat privaten Geschäftsleuten – und historisch unterbezahlten Regierungsbeamten – die Rechtfertigung für ihre Selbstbereicherung geliefert. In den Augen vieler hat dieses Ziel die früheren Ziele der sozialistischen Gesellschaft zu einem Zeitpunkt verdrängt, als sich der Kommunismus als eine zahlungsunfähige Ideologie herausstellte und zu einer Verwirrung über die Gesellschaftswerte führte sowie zu einer Schwächung der Standards für moralische Integrität in der chinesischen Gesellschaft beitrug.

Chinas autoritäre Kultur ist in der konfuzianischen Ideologie enthalten, in der man gegenüber anderen, die in der gleichen Hierarchiegruppe über oder unter einem stehen, zu Loyalität verpflichtet ist. Außerhalb der Gruppe nehmen die moralische Verpflichtung und ethische Verantwortung des Individuums immer mehr ab, je weiter es sich von der Gruppe entfernt. Dadurch wird die Entwicklung eines gemeinsamen Integritätssinns und einer moralischen Verantwortung in breiteren Teilen der Gesellschaft verhindert. Ohne dieses Gesellschaftsbarometer verschwimmen die Grenzen zwischen richtig und falsch, und ein entstehendes behördlich geregeltes Umfeld und eine lückenhafte Durchsetzung der Anti-Korruptionsvorschriften verkomplizieren die öffentliche Wahrnehmung. Für viele ist es eher die Stärke von Beziehungen, Netzwerken und gegenseitigen Verpflichtungen, die in der Guanxi-Kultur enthalten sind, die der Einzelperson und der Gruppe persönliche Sicherheit und soziale Stabilität gibt, als ein gemeinschaftliches Vertrauen in gemeinsame Werte und ein staatliches System, das eine verlässliche, transparente und gerechte Rechts- und Verwaltungsstruktur bietet. Die Korruption florierte infolgedessen und soziale Gruppen rechtfertigten ihr Handeln zu ihren eigenen Gunsten, ohne groß an die übrige Gesellschaft zu denken.

Die Folgen dieser Mentalität sind überall anzutreffen. Eine Reihe von Lebensmittel- und Produktsicherheitsskandalen in den letzten zehn Jahren, in die Staatsbeamte und Privatunternehmen verwickelt waren, hat öffentliche Empörung hervorgerufen und zu schweren Regierungsstrafen geführt. 2006 wurde der Leiter der "State Food and Drug Administration" (SFDA, die staatliche Regulierungsbehörde) hingerichtet, weil er nicht getestete Medikamente, darunter ein Antibiotikum, das mindestens zehn Menschen tötete, im Austausch gegen Barzahlungen zugelassen hatte.

Der vielleicht berüchtigtste Lebensmittelsicherheitsskandal des Jahrzehnts war der langanhaltende Skandal wegen vergifteter Säuglingsnahrung, der 2008 aufgedeckt wurde. Giftige Chemikalien wurden in Milchpulver für Säuglinge gefunden, welches von über 20 örtlichen Herstellern von Milchprodukten produziert wurde. Melamin, die fragliche Chemikalie, wird bei der Herstellung von Kunststoff verwendet, sie hebt allerdings auch den Proteingehalt in Lebensmitteln. Diesen Umstand nutzten die Hersteller von Milchprodukten, denen durch Regierungsvorschriften ein Mindestproteingehalt in bestimmten Produkten vorgeschrieben wird. Aufgrund des ursprünglichen Skandals starben mindestens sechs Babys und fast 300.000 erkrankten. Die Regierung reagierte mit Strafen und neuen Bestimmungen, dennoch schwelte der Melaminskandal über zwei Jahre weiter: Im Jahr 2010 wurden in der nordwestlichen Provinz Gansu 76 Tonnen mit Melamin versetztes Milchpulver gefunden und auch in anderen Provinzen wurden in der Folgezeit weitere solcher Ladungen entdeckt. Genauere Kontrollen des Milchproduktesegments führten zu der Entdeckung anderer Verstöße: 2012 rief der örtliche Milchproduktehersteller Yili einige Chargen Säuglingsnahrung zurück, nachdem in seinen Produkten ein hoher Gehalt an Quecksilber gefunden wurde.

Korruption findet sich auch bei Bau- und Infrastrukturprojekte. Nach dem gewaltigen Erdbeben in der Sichuan-Provinz im Jahr 2008, bei dem ca. 90.000 Menschen ums Leben kamen und 80 % der Gebäude im Epizentrum zerstört wurden, war der Volkszorn groß: Viele Gebäude in staatlichem Besitz (vor allem Schulen und Krankenhäuser) brachen zusammen, während andere stehen blieben. Die Tragödie legte die Vermutung nahe, dass örtliche Korruption zur Verwendung von minderwertigen Materialien beim Bau dieser Gebäude geführt hatte. Daraufhin wurden lokale Regierungsbeamte entlassen und/oder bestraft. Einige Jahre später entdeckte Chinas Nationales Prüforgan (National Audit Office, NAO) dann auch noch, dass etwa 230 Mio. RMB an Finanzmitteln, die für den Wiederaufbau von durch Erdbeben geschädigten Regionen vorgesehen waren, zweckentfremdet wurden.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Compliance Office Online. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge