Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist grundsätzlich zunächst Individualsanktionsrecht. Entsprechende Verfahren richten sich grundsätzlich gegen Individualpersonen.

Tatsächlich bestehen jedoch auch erhebliche Risiken für das Unternehmen selbst. Denn nach geltendem Ordnungswidrigkeitenrecht kann (auch) das Unternehmen mit einer Geldbuße geahndet werden, wenn ein leitender Mitarbeiter in dieser Funktion eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begeht, und es sich dabei um eine unternehmensbezogene Pflichtverletzung handelt oder das Unternehmen durch ebendiese Tathandlung jedenfalls bereichert werden sollte.[1]

3.1 Uneinheitliche Gebote und Verbote aufgrund föderaler Unterschiede

Die Szenarien möglicher unternehmensbezogener Tatbestände nach dem IfSG, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie verwirklicht werden können, sind bereits jetzt mannigfaltig: Ein sich aufdrängendes Sanktionsszenario ist bspw ein Verstoß gegen die Anordnungen der Schließung diverser Betriebsstätten im Einzelhandel, die von den einzelnen Bundesländern als Maßnahmen i. S. d. § 28 Abs. 1 IfSG jüngst im Eiltempo erlassen worden sind und die im Einzelfall in Bezug auf ihren Regelungsumfang durchaus Rechtsunklarheiten beim jeweiligen Adressaten bewirken. Öffnet ein Betrieb, von dem die Behörde meint, er sei geschlossen zu halten gewesen, drohen – anknüpfend an Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren für die Geschäftsleitung – empfindliche Bußgelder für das Unternehmen. Aufgrund der "föderalen Zersplitterung" des geltenden Rechts wird dieses Risiko weiter verstärkt. Die einzelnen Bundesländer unterscheiden sich teilweise maßgeblich in Inhalt und Umfang geltender Ge- sowie Verbote, sodass Unternehmen, die im gesamten Bundesgebiet tätig sind, diversifizierte Rechtspflichten zu achten haben.

3.2 Auch Unternehmenssanktionen nach Ordnungswidrigkeitenrecht drohen

Doch die aktuelle Situation bringt auch Sanktionsrisiken für das Unternehmen mit sich, die weniger offensichtlich sind: Da es zu einer unternehmensbezogenen Pflicht im Rahmen des § 30 OWiG gehört, die Beschäftigten am Arbeitsplatz vor Gefahren zu schützen, vermag auch ein Verstoß gegen entsprechende Gebote unter Missachtung der Anordnungen nach dem IfSG im Einzelfall eine Bebußung des Unternehmens auszulösen.

 
Praxis-Beispiel

Vorgesetzter fordert zu Verletzung der Quarantäneanordnung auf

Nur eine vieler denkbarer Fallkonstellationen ist es, dass ein verzweifelter Abteilungsleiter einen Mitarbeiter, der – möglicherweise aufgrund eines Kontakts zu einem Infizierten – nach § 30 IfSG gehalten ist, in häuslicher Quarantäne zu verbleiben, veranlasst oder auffordert (ggf. auch durch finanzielle Anreize), gleichwohl an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen. Auch diese Anstiftung zu einem Verstoß gegen das IfSG wird unter Umständen eine Bebußung des Unternehmens nach § 30 OWiG auslösen können.

Im Sanktionsfall können für das Unternehmen erhebliche finanzielle Risiken bestehen. § 30 OWiG erlaubt insofern bei Vorliegen einer vorsätzlichen Straftat eines leitenden Mitarbeiters die Verhängung einer Geldbuße von bis zu 10 Mio. EUR. Im Fall einer Ordnungswidrigkeit des Mitarbeiters kann eine Unternehmensgeldbuße bis zum Höchstbetrag des Bußgeldes verhängt werden, dass für die Einzeltat angedroht wird; nach § 73 IfSG also bis zu 25.000 EUR je Verstoß. Die Höhe der konkreten Unternehmensgeldbuße liegt im Ermessen der jeweiligen Behörde bzw. des Gerichts. Da die aktuelle, krisenbedingte Ausnahmesituation die gemeinschaftlichen Anstrengungen der gesamten Gesellschaft in Bezug auf die Einhaltung sämtlicher getroffener Maßnahmen erfordert, kann auf nachsichtige Entscheidungen der Behörden bei eigennützigen Zuwiderhandlungen kaum ernstlich gehofft werden.

3.3 Auswirkungen in der Praxis: Neue Bußgeldkataloge, zahlreiche Verfahren

Dass konkret Bußgelder zu erwarten sind, zeigt schon jetzt die aktuelle Verwaltungspraxis. Es wurden bereits vielzählige Bußgeldverfahren wegen vermeintlicher Verstöße gegen die gesetzlichen Anordnungen nach dem IfSG in zahlreichen Bundesländern eingeleitet. Die einzelnen Länder haben in kürzester Zeit umfangreiche Bußgeldkataloge erstellt, in denen sie teilweise explizit hervorheben, dass auch Unternehmen gemäß § 30 OWiG mit einer Geldbuße sanktioniert werden sollen, die im jeweiligen Fall den wirtschaftlichen Vorteil, der für das Unternehmen aus dem Verstoß entstanden ist, zu übersteigen hat.

Darüber hinaus besteht für Unternehmen im Falle des straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verstoßes ihrer Mitarbeiter stets auch das Risiko der sog. Vermögensabschöpfung. Vermögenswerte, die aus einer unternehmensbezogenen rechtswidrigen Handlung erlangt wurden, können der staatlichen Einziehung unterfallen. Gegenstand und Umfang des einziehungsfähigen Vermögens sind am Einzelfall zu bestimmen. Wird jedoch in der Corona-Krise einer behördlichen Unternehmensschließung nicht Folge geleistet, mag dies im Ergebnis den Verlust des vollständigen Unternehmensumsatzes im tatrelevanten Zeitraum bedeuten. In Anbetracht der massiven Umsatzeinbußen in vielen Branchen dürfte also die Ahndung eines Verstoßes "zweifach schmerzen".

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