Weshalb lassen sich Klein- und Kleinstbetriebe oft nicht betreuen?
Warum verzichten viele Kleinbetriebe, insbesondere Kleinstbetriebe mit unter zehn Beschäftigten, auf eine bedarfsgerechte Betreuung durch Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit – auch wenn diese eine gesetzliche Pflicht ist? Ist es schlicht Unkenntnis über die gesetzlichen Anforderungen und die verschiedenen Betreuungsmöglichkeiten? Viele konkrete Informationen über die Motive dieser Arbeitgeber und Unternehmer gibt es nicht. Anlass für ein Forscherteam des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin und Maritime Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf bei Klein- und Kleinstunternehmen direkt nachzufragen.
Zwei Betreuungsmodelle
Die DGUV Vorschrift 2 ermöglicht Klein- und Kleinstbetrieben bis 50 Beschäftigte die Wahrnehmung besonderer Betreuungsformen. Es wird zwischen zwei Modellen unterschieden. Zum einen die Regelbetreuung und zum anderen eine alternative, bedarfsorientierte Betreuung. Bei der Regelbetreuung wird weiter zwischen der Grundbetreuung und anlassbezogener Betreuung für Kleinstbetriebe mit weniger als 10 Beschäftigten und der betriebsspezifischen Betreuung für Kleinbetriebe mit mehr als 10 Beschäftigten unterschieden.
Alternative Betreuung und Kompetenzzentren
Die alternative Betreuung im Rahmen des „Unternehmermodells“ ermöglicht es Unternehmern, sich selbst um den Arbeitsschutz im Betrieb zu kümmern. Dazu müssen sie sich im Rahmen von Erstausbildungen und kontinuierlichen Fortbildungsmaßnahmen das notwendige Wissen selbst aneignen. Bei diesem kostensparenden Modell können sie sogar zusätzlich darüber entscheiden, ob sie für spezifische Herausforderungen oder Probleme im Betrieb die Expertise einer externen Fachkraft hinzuziehen. Bei unter 20 Beschäftigten im Betrieb können Unternehmer auch eine kostenfreie Beratung durch sogenannte Kompetenzzentren wahrnehmen. Diese werden unter anderem durch die Berufsgenossenschaften angeboten.
Gewinnung von Informanten
Die geringe Rückmeldequote deutet darauf hin, dass dieses Thema anscheinend nicht im Fokus der Betriebe steht oder aber die Unternehmer nicht darüber sprechen wollen. Dies bewies die dürftige Rückmeldequote. Denn im Rahmen der Studie wurden insgesamt 586 Mitgliedsbetriebe der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) in Niedersachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein postalisch über die Betriebsgenossenschaft angeschrieben und teilweise auch telefonisch kontaktiert. Lediglich 16 Unternehmen fanden sich letztendlich dazu bereit, den Wissenschaftlern im Rahmen von Experteninterviews Antworten zu liefern. Bei den teilnehmenden Betrieben handelte es sich überwiegend um therapeutische (8 Betriebe) oder ärztliche (2 Betriebe) Praxen, die durchschnittlich 7,2 Mitarbeiter beschäftigten. Die standardisierten Interviews wurden zwischen August und Oktober 2023 telefonisch durchgeführt.
Ergebnisse
Neben der Unkenntnis über die arbeitsschutzfachliche/betriebsärztliche Betreuungsmöglichkeiten und die gesetzliche Verpflichtung waren es vor allem folgende Faktoren, welche die Informanten bemängelten und von der Wahl einer Betreuungsmöglichkeit abhielten:
- Fehlende zeitliche Ressourcen: Die Unternehmer schilderten, dass neben den vielen anderen betrieblichen Aufgaben der selbstständigen Tätigkeit schlichtweg keine Zeit bleibt, sich auch noch um den Arbeits- und Gesundheitsschutz zu kümmern – selbst dann, wenn sie wussten, dass es sich um eine gesetzliche Pflicht handelt. Dies gelte besonders für die Wahrnehmung des Unternehmermodells, das die Arbeitgeber aus Sicht der Befragten zeitlich enorm belastet.
- Kosten-Nutzen-Verhältnis: Beim Unternehmermodell entstehe aufgrund des erheblichen zeitlichen Aufwands ohnehin ein Verdienstausfall. Bei Konsultation einer externen Sicherheitsfachkraft oder eines Betriebsarztes kämen weitere Kosten hinzu. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis wird dabei nicht als positiv beschrieben, der Nutzen dieser Betreuung und Beratung wurde von der Mehrzahl der interviewten Unternehmen als eher gering eingestuft.
- Zu wenig Unterstützung durch Berufsgenossenschaften: Im Allgemeinem wurde mehr Unterstützung seitens der Berufsgenossenschaft gewünscht. Einige der Arbeitgeber waren allerdings auch der Meinung, dass die Berufsgenossenschaften nur das Wohlergehen der Beschäftigten im Blick habe. Für sie als Arbeitgeber und ihre Betriebe dagegen seien diese aus der Sicht einiger Informanten sogar eine „Gefahr“.
- Externe Experten schwer zu bekommen: Ein weiteres Manko sei die aufwendige und zeitintensive Suche nach geeigneten Sicherheitsfachkräften und Betriebsärzten. Oft wären bereits alle einschlägigen Experten/Ärzte in der Region ausgebucht und kurz- und mittelfristig nicht verfügbar. Aus diesem Grund hätte man in der Folge die Suche aufgegeben. Allerdings berichteten diejenigen Betriebe, die bereits eine Sifa oder einen Betriebsarzt bestellt und im Betrieb hatten, dass ihre Suche und Kontaktaufnahme nicht weiter problematisch gewesen sei.
Aufgaben für Berufsgenossenschaften
Welche Ratschläge haben die Hamburger Forscher für die Praxis? Besonders die Berufsgenossenschaften müssten ihre Anstrengungen intensivieren, ihre Mitgliedsunternehmen von der Sinnhaftigkeit der diversen Betreuungsmodelle zu überzeugen und die Betriebe bei der Umsetzung des von ihnen gewählten Betreuungsmodells zu unterstützen. Vor allem sei eine direkte Ansprache der durch die Berufsgenossenschaft bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung des ersten Beschäftigten eines Betriebes sinnvoll. Die bestehenden Konzepte zur Information der Unternehmer bedürften daher einer Überprüfung mit dem Ziel, die bisherigen Modelle noch mehr an den Bedürfnissen der Mitgliedsunternehmen auszurichten.
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