Neuentwicklungen im Bereich digitales BGM

Die Corona-Pandemie hat die letzten anderthalb Jahre geprägt. Der Standardarbeitsplatz lag oft im Homeoffice. Jetzt, im Sommer 2021, sind rund 58% der Bundesbürger:innen durchgeimpft, das Leben normalisiert sich weitgehend und die Arbeitnehmer:innen kehren langsam wieder in ihre Büros zurück.

Die Haufe Online Redaktion sprach mit dem Digital-Health-Experten, Buchautor und Key Note Speaker Jörg Schiemann über hybride Arbeitsplatzmodelle, Homeoffice-Pflicht und digitale Lösungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement.

Arbeitnehmende in den Büros, im Homeoffice und hybride Modelle

Haufe Online Redaktion: Herr Schiemann, wie sehen Sie die Entwicklungen im Hinblick auf das Zurückkehren der Arbeitnehmenden in die Büros?

Jörg Schiemann: Momentan sehen wir noch keine eindeutige Bewegung zurück in das Büro und zur Präsenzarbeit. Tatsächlich ist die Arbeitswelt aktuell durch eine große Spannbreite an verschiedenen Arbeitsplatzmodellen geprägt. 

So müssen sich beispielsweise nicht nur im Gesundheitssektor in Frankreich und Italien Mitarbeitende gegen COVID-19 impfen lassen, sondern in den USA haben beispielsweise auch viele große Technikunternehmen wie Facebook, Google oder Uber angekündigt, dass ihre Mitarbeiter ins Büro zurückkehren sollen und dafür eine Impfung haben müssen.

Auch wenn eine solche Regelung in Deutschland nicht ohne Weiteres möglich ist, so gibt es Unternehmen, die unter Beachtung der Corona Arbeitsschutz-Verordnung, die bis zum 10.September verlängert wurde, ihre Mitarbeiter jetzt wieder zurück ins Büro beordern möchten.

Auf der anderen Seite hat in der Politik die Diskussion um ein deutsches Homeoffice-Recht, das sogenannte Mobile-Arbeit-Gesetz, begonnen. Eine Gesetzesänderung ist aber nicht vor der nächsten Legislaturperiode zu erwarten, sofern sich hierfür überhaupt eine Mehrheit findet. Bislang ist dazu lediglich Ende November der Referenten-Entwurf veröffentlicht worden.

Zusammenfassend glaube ich, der zukünftige Arbeitsmarkt wird von vielen verschiedenen Arbeits(platz)modellen geprägt sein. Insbesondere werden verstärkt hybride Modelle aufkommen, in denen die Mitarbeitenden in einem gewissen Freiraum entscheiden kann, ob und wann er oder sie im Büro und wann zu Hause arbeitet.

Digitale Lösungen im Betrieblichen Gesundheitsmanagement

Haufe Online Redaktion: Vor einem Jahr haben Sie in unserem Gespräch gesagt, dass die COVID-19 Pandemie die Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Möglichkeiten der digitalen Lösungen im Gesundheitswesen gelenkt hat. Wie steht es in diesem aktualisierten Kontext dann um die digitalen Lösungen, insbesondere im Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)?

Jörg Schiemann: Das BGM muss mit den verschiedenen Arbeitsplatzmodellen zurechtkommen. Dabei hilft uns die Erfahrung des letzten Jahres, als wir die beschleunigte Entwicklung von digitalen Lösungen und ihre breite Anwendung in den verschiedenen Unternehmenskontexten gesehen haben.

So sind zum Beispiel die digitalen Lösungen für das BGM, die ja gerade durch und mit dem Fokus auf das Homeoffice entstanden sind, ein Muss auch für die Zukunft. Auch mit einer Rückkehr ins Büro werden diese Anwendungen nicht verschwinden, im Gegenteil.

Haufe Online Redaktion: Wie kann man sich das vorstellen, digitale Lösungen für Mitarbeiter, die zuhause arbeiten, und Präsenztermine und -kurse für die im Büro Anwesenden?

Jörg Schiemann: Das wäre ein erster, sehr einfacher Schritt für ein an die neue Zeit angepasstes BGM. Aber ich denke, so, wie die Arbeitszeitmodelle fließende Übergänge zwischen Büro und Homeoffice haben werden, so muss sich auch das BGM anpassen und wir werden die Entwicklung einer Art hybridem BGM erleben.

Eine digitale App zum Schritte zählen funktioniert genauso für den Verdauungsspaziergang über das Betriebsgelände von der Kantine zurück ins Büro, wie für den Heimarbeiter, der kurz seine Wohnung dafür verlässt.

Oder denken Sie an Ernährungs-Apps im BGM-Kontext: Während der Menüplan mit den Inhaltsstoffen den Büroarbeitern anzeigen kann, was sie in welcher Menge in der Kantine zu sich nehmen, kann eine solche App auch verwendet werden, um die Inhaltsstoffe der zu Hause selbst zubereiteten Mittagessen auszurechnen.

Es geht also darum, den Mitarbeitenden passende Angebote zu machen, die sie sowohl zuhause als auch im Büro nutzen können, deshalb ein hybrides BGM. So fließend, wie sie entscheiden können, wo sie arbeiten, so fließend müssen sie vom BGM der Zukunft unterstützt werden können.

Haufe Online Redaktion: Bleibt es denn nur bei der Differenzierung zwischen Büro und Homeoffice?

Jörg Schiemann: Nein. Die Digitalisierung und Flexibilisierung der BGM-Anwendungen erleichtern auch den Personengruppen den Zugang zum betrieblichen Gesundheitswesen, die von bisherigen Angeboten bislang weniger oder gar nicht profitieren konnten, wie beispielsweise Vertrieblern und Vertretern.

Denn bei den neuen Angeboten geht es nicht darum, wo eine Mitarbeiterin arbeitet, sondern dass er beispielsweise bei sitzenden Tätigkeiten an jedem seiner möglichen Arbeitsplätze regelmäßig aufstehen und den Rücken entlasten kann – und da ist es egal, ob er im Büro oder daheim vor dem Bildschirm sitzt oder beispielsweise als Vertriebler im Auto.

Andere Mitarbeiter möchten vielleicht explizit Präsenzkurse in den Unternehmensräumen, zum Beispiel zur Rückenprophylaxe, durchführen und legen in ihrer zukünftig flexiblen Arbeitswelt extra Präsenztreffen mit Kollegen rund um solche Gesundheitsangebote, für die sie extra ins Büro fahren.

Wir werden also verschiedene Ausprägungen der Arbeitsplätze sehen und müssen dementsprechende Lösungen im BGM anbieten.

Die Zukunft des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Haufe Online-Redaktion: Das heißt, flexible digitale Lösungen, die auf alle Mitarbeitenden und Arbeitsplatzmöglichkeiten passen, werden die Zukunft des BGM bilden?

Jörg Schiemann: Das wird wahrscheinlich die eine Seite der digitalen BGM-Lösungen sein. Auf der anderen Seite wird der insgesamt begonnene Trend zur Personalisierung in der Medizin auch im betrieblichen Kontext nicht aufzuhalten sein. Wenn wir uns den übernächsten Schritt vorstellen, so kann es individualisierte Lösungen für jeden Mitarbeitenden geben, die ihm/ihr auf Basis der persönlichen Vorgeschichte und in Abhängigkeit der gesundheitlichen Risiken vorgeschlagen werden.

Die Vielfalt an digitalen Lösungen ist vorhanden und wird in den nächsten Jahren weiter ausgebaut werden. Ich erwarte, dass es vor allem darum gehen wird, für jeden Mitarbeiter passende digitale Lösungen zu finden und diese ihm zu empfehlen.

Haufe Online Redaktion: Welche konkreten Problembereiche werden dabei im Fokus stehen?

Jörg Schiemann: Schon seit einiger Zeit sind Probleme mit dem Muskel-Skelett-System und psychische Erkrankungen die am weitverbreitetsten Krankheiten im betrieblichen Kontext. Das hat sich durch die COVID-19 Pandemie und den Wechsel ins Homeoffice nicht geändert. Im Gegenteil sind laut verschiedenen Umfragen beide Problembereiche typischerweise sogar noch angestiegen.

Stellvertretend für die zukünftig mögliche Vielfalt an digitalen Lösungen gibt es beispielsweise mittlerweile auch Gesundheits-Apps für übermäßigen Alkohol- oder Tabakgebrauch, die sogar als Digitale Gesundheitsanwendungen von Ärzten verschrieben und von gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden können.

Wir sind hier noch lange nicht am Ende der Möglichkeiten angelangt, insbesondere wenn man sich auch einmal anschaut, welche Entwicklungen im Kontext von smarten Geräten für die Gesundheit oder smarten Watches passieren.

Haufe Online Redaktion: Was können denn smarte Geräte in diesem Kontext beitragen?

Jörg Schiemann: Die von smarten Uhren oder auch anderen Geräten wie Blutdruckmessern gesammelten Daten bilden den Ausgangspunkt für den Trend des datengetriebenen BGM. Mit ihnen können in erster Linie „quantitative Gesundheitsdaten“, wie beispielsweise Schritte oder Herzfrequenzwerte gemessen werden.

Wenn dann noch über Umfragen zum BGM und dem Stand der Gesundheit im Unternehmen „qualitative Daten“ gesammelt werden, so lassen sich alle Informationen in modernen digitalen Tools zusammenführen und für verschiedene Organisationsebenen auswerten.

Auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter können mit den gesammelten Daten unter Beachtung des Datenschutzes auch personalisierte Empfehlungen im BGM-Kontext erzeugt werden. Das ist ein Spannungsfeld, in dem wir daran arbeiten müssen, die richtige Balance zu finden.

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