Stadt, Wasser, Luft
Was bedeutet es, dass allein in Bayern über 65.000 Wohnadressen bei einem Jahrhunderthochwasser betroffen sein könnten, wie die Deutsche Umwelthilfe in einer Analyse schreibt? Auf rund 4,25 Prozent der Landesfläche hieße es dann "Land unter". Auch andere Bundesländer wie Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Hessen haben vergleichsweise große Risikoflächen.
Hochwasser: Unternehmen sind zu Eigenvorsorge verpflichtet
Das ist zunächst für die Gesamtgesellschaft ein Problem, aber insbesondere Unternehmen in hochwassergefährdeten Gebieten sind gesetzlich verpflichtet, Eigenvorsorge zu betreiben – etwa gemäß der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie oder des Wasserhaushaltsgesetzes. Besonders betroffen sind Betriebe in Überschwemmungsgebieten mit spezifischen Haftungs- und Sorgfaltspflichten.
Eines davon ist die WEPA Gruppe aus Arnsberg-Müschede. Ein Produktionsstandort des Hygienepapierherstellers und -verarbeiters liegt direkt am sauerländischen Fluss Diemel. Marc-Michael Radomski, Werkleiter am Standort Giershagen, erinnert sich noch daran, wie das Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung e.V. mit der Idee zur Renaturierung des Flusses an die Firma herantrat: "Es stand für uns außer Frage, dass wir die an den Fluss angrenzenden Flächen, die Teil des WEPA-Geländes sind, dafür zur Verfügung stellen", so Radomski.
Nachhaltigkeit und Biodiversität
Dabei ging es gar nicht in erster Linie um den Hochwasserschutz, sondern viel mehr um Biodiversität: "Nachhaltigkeit hat als einer unserer drei Unternehmenswerte und Fokus unserer kontinuierlichen Weiterentwicklung einen bedeutenden Stellenwert bei WEPA. Auch für unsere Mitarbeitenden hat das Projekt einen positiven Effekt: Viele leben in der Region und erleben die Diemel als Teil ihres persönlichen Umfelds und profitieren von der sichtbaren Verbesserung der Naturqualität direkt vor der Haustür", sagt der Werkleiter.
Daten zum Projekt Diemel-Renaturierung Zwischen 2021 und 2022 wurden kleinere Maßnahmen (Nebengerinne und Stillwasserbereiche) mit jährlichen Kosten von knapp 7.000 Euro umgesetzt. Im Jahr 2023 konnten dann mit Baukosten von rund 60.000 Euro knapp 1,1 km Fließgewässer mit Landesförderung umgestaltet werden. Hierbei wurde der alte Flusslauf punktuell verplombt und der Gewässerlauf in ein neues grob vormodelliertes Gerinne verlegt. Bereits nach wenigen Wochen wurde das in Teile neu entstandene Habitat von Jungfischen der Äsche angenommen. Außerdem zeigte sich bei einer Hochwassersituation unmittelbar nach der Renaturierung, dass das abfließende Wasser länger im Auenbereich gehalten werden konnte und den lokalen Grundwasserspiegel erhöhte. Die Vorbereitung sowie Planung (ca. 100 h) und Baubegleitung (ca. 120 h) erfolgten ehrenamtlich durch den Verein Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung e.V. (geschätzter Wert 15.400 Euro netto). Daraus ergeben sich theoretische Bruttogesamtkosten von unter 90.000 Euro (entspricht 8.130 Euro /100 m). |
Denn die positiven Effekte der Renaturierung sind erkennbar, wie etwa die Wiederansiedelung von bestimmten Fisch- und Tierarten. Man könne anderen Unternehmen daher empfehlen, Renaturierungsprojekte zu unterstützen, wenn sie einen positiven Einfluss auf die Umwelt nehmen möchten. Neben der Renaturierung der Diemel unterstützt die WEPA Gruppe im Rahmen einer Partnerschaft mit dem WWF Deutschland auch das Naturschutzprojekt „Mittlere Elbe“.
Nachhaltiger Hochwasserschutz: Unterstützung der Wirtschaft wichtig
Tatsächlich funktionieren Renaturierungsprojekte häufig nur mit Unterstützung seitens der Wirtschaft – und das nützt dann dem Hochwasserschutz im Eigeninteresse ebenso wie der Biodiversität. "Ohne die Flächenbereitstellung der WEPA Gruppe wäre das Diemel-Projekt nicht zustande gekommen“, berichtet Jens Eligehausen. Der Landschafts- und Gewässerökologie steht dem Verein Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung e.V. (planar e.V.) vor und beklagt, dass immer noch 90 Prozent der deutschen Fließgewässer in keinem guten Zustand seien. Gemäß EU-Wasserrahmenrichtlinie müssten sie dies aber bis spätestens 2027.
"Lediglich zwei Prozent der Gewässer konnten gemäß dieser Kriterien optimiert werden, acht Prozent waren vorher schon gut, 90 Prozent sind nach wie vor schlecht", so der Experte. Dabei ginge es ursprünglich um Biodiversität aber eben auch um Hochwasserschutz. Unternehmen, die aktiv werden, nähmen oft auch ihre eigene Ressourcensicherheit in den Fokus oder betrachteten Maßnahmen unter Standortsicherungsaspekten.
"Kleine Uferentfesselung" wirkt beim Hochwasserschutz
Die "kleine Uferentfesselung", wie Eligehausen die Maßnahme an der Diemel auf dem WEPA-Grundstück bezeichnet, kam auf einem ursprünglich nur als Ausgleichsfläche erworbenen Gelände zu Stande, die den Bau eines Hochregallagers kompensieren sollte. "Was sich durch das klare Commitment aller Beteiligten ergeben hat, ist schon enorm: Mit einem Gesamtbruttobudget von weniger als 150.000 Euro, das vielfach durch Förderungen finanziert war, konnten wir 1,5 Kilometer Fluss renaturieren", sagt Eligehausen. Zum Vergleich: Bei einem Projekt an Lippe vergleichbaren Renaturierungsprojekten koste der Kilometer beispielsweise nicht selten fast eine Million Euro.
Viele Betriebe vor Ort könnten mit den Naturschutzvereinen ins Gespräch kommen und sich unterstützen lassen anstatt diese wie häufig als Gegenspieler von unternehmerischen Aktivitäten und Innovationen zu begreifen.
Jens Eligehausen, Planungsnetzwerk für nachhaltige Regionalentwicklung e.V. (planar e.V.)
Als Erfolgsfaktoren macht er heute aus, dass das Unternehmen so lange dabei geblieben ist und sein Verein ein produktives Netzwerk aufgebaut hat. Aus Eligehausens Sicht könnten viele Betriebe vor Ort mit den Naturschutzvereinen ins Gespräch kommen und sich unterstützen lassen anstatt diese wie häufig als Gegenspieler von unternehmerischen Aktivitäten und Innovationen zu begreifen. "Vereine als Partner von Renaturierungsprojekten zeichnen sich zumeist durch ein besonderes hohes Engagement ihrer ehrenamtlichen Mitglieder aus. Oft erreichen solche Projekte in effizienten Netzwerken mit vergleichsweise überschaubaren finanziellen Mitteln tolle Ergebnisse“.
Vollständige Renaturierung als Vision
Sein Traum sei es, dass die Diemel den EU-Referenzzustand erreicht, der Fluss vollständig renaturiert und damit „fitter für den Klimawandel“ sei. "Große Schritte können wir in diese Richtung machen, wenn beispielsweise jedes Jahr fünf Anrainer-Betriebe jeweils 10.000 Euro einem solchen Netzwerk bereitstellen würden", so der Gewässerökologe.
Die deutsche Umwelthilfe erklärt ganz allgemein, wie sich Flussabschnitte nach einer Renaturierung naturnah entwickeln können: Manchmal sei dazu am besten „Nichtstun“ geeignet. Man solle umgestürzte Bäume liegen lassen, abgebrochene Uferstellen nicht wiederherstellen, Gräben und Drainagen zuwachsen lassen. Oft bedarf es zudem aber technischer Maßnahmen: Der Rückbau der Ufersicherung, die Verbreiterung des Gewässerbetts, die Rückverlegung begradigter Fließstrecken in den alten Flusslauf und Ähnliches würden dem Fluss helfen, seine alte Strukturvielfalt und Dynamik wiederzuerlangen.
Kleine, aber wichtige Bausteine
Doch bringt das dann insgesamt einen durchschlagenden Effekt? Prof. Dr. Peter Haase, Abteilungsleiter Fließgewässerökologie und Naturschutz am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main, ordnet erst einmal sämtliche Maßnahmen um den Gewässerschutz ein, zentral ist für ihn vor allem die Frage nach der Wasserqualität. Denn während unter Flussrenaturierung in der Regel nur so genannte hydromorphologische Maßnahmen – also zum Beispiel das Abflachen der Ufer oder das Verbreitern des Flusses – verstanden würden, gehörten auch die Kläranlagen oder flussbegleitende Ackerrandstreifen dazu.
"Die Wasserqualität wird nicht allein dadurch besser, dass Sie den Verlauf naturnäher gestalten. Daher führen hydromorphologische Maßnahme oft zu keinen oder nur geringen Verbesserungen der Artenvielfalt", so Prof. Dr. Haase. Letzteres Kriterium zählt für die Beurteilung gemäß Wasserrahmenrichtlinie. Im Hinblick auf den Hochwasserschutz betont er: "Bedenken Sie einfach, wie viel es bringt, wenn Sie von einem womöglich 13 Kilometer langen Bach einen Kilometer renaturieren." Dennoch seien hydromorphologische Maßnahmen natürlich grundsätzlich für den Hochwasserschutz geeignet. "Das sind kleine und wichtige Bausteine. Wir brauchen nur viel mehr davon."
Keine Flächen in Überschwemmungsgebieten mehr
Im Übrigen seien renaturierte Flussläufe nicht nur ein Schutz gegen Hoch- sondern auch gegen Niedrigwasser, was ebenfalls wiederum zur Ressourcensicherung betragen kann. Sein Appell richtet sich demnach an Unternehmen, aber noch mehr an die verantwortlichen Kommunen: "Einige werben hier immer noch um Betriebe und Personen und stellen Flächen in Überschwemmungsgebieten zur Verfügung", sagt Haase. Hier liege ein weiteres Problem.
In Zukunft müssen Renaturierungsmaßnahmen sehr viel ganzheitlicher gedacht werden. Neben den hydromorphologischen Veränderungen bedarf es einer Verbesserung der Wasserqualität, einer Einbeziehung der Aue als Überschwemmungsraum und Mitnahme aller Anlieger aus Landwirtschaft, Industrie und Anwohnern. Die Wasserrahmenrichtlinie sei hier ein geeigneter Ansatz. Im ersten Schritt brauche man immer erst einmal das Land, das oft von den Landwirten stammt, im zweiten sollte man dann mit den einzelnen Maßnahmen nicht zu kritisch umgehen – damit weder auf dem Schreibtisch, noch in der Werkshalle "Land unter" herrscht.
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