„Sekundäre Wertstoffe im Bauwesen sexy machen"“
Herr Dr. Meyer, seit einigen Jahren gibt es die Ersatzbaustoffverordnung. Ihr Ziel war und ist es, den Umgang mit Sekundärbaustoffen in Deutschland zu harmonisieren. Erreicht sie dieses Ziel?
Dr. Simon Meyer: Lassen Sie mich kurz den großen Rahmen spannen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Mantelverordnung, die mehrere Regelungen bündelt. Eine dieser Regelungen ist die Ersatzbaustoffverordnung. Dieser Bündelungsprozess hat mehr als 16 Jahre gedauert. Ich selbst habe an Terminen mit den beteiligten Ministerien und anderen Stakeholdern teilgenommen. Hintergrund war, dass wir in Deutschland in Bezug auf den Einsatz von mineralischen Bau- und Abbruchabfällen einen Flickenteppich hatten.
Das heißt, bei gewissen Verwertungsmöglichkeiten gab es unterschiedliche landesrechtliche Ausgestaltungen, zum Beispiel bezüglich der sogenannten Verwertererlasse in NRW, die bestimmten, wann eine Nutzung von mineralischen Bau- und Abbruchabfällen in Bauwerken möglich und rechtlich zulässig ist. Nun hat man eine Ersatzbaustoffverordnung geschaffen, sie ist seit mehr als zwei Jahren in Kraft.
Umsetzung der Ersatzbaustoffverordnung
Und wirkt sie?
Gesetzgeber, Verbände und Unternehmen begrüßen es grundsätzlich, dass es diese Verordnung gibt, die eine bundeseinheitliche Regelung schaffen soll. Aber es handelt sich um ein sehr komplexes Regelwerk, dass sehr viele Verpflichtungen und Beschränkungen schafft in Bezug auf Einsatzmöglichkeiten und auch auf Analyseanforderungen. Ein zentraler Punkt ist, dass es auch mit der EBV (Anm. d.Red.: Abkürzung für Ersatzbaustoffverordnung) keine klaren Regelungen zu Nebenprodukteigenschaften gibt und dazu, wann mineralische Bau- und Abbruchabfälle das Ende der Abfalleigenschaft erreichen.
Konkret: Wann sie nicht entsorgt, sondern wiederverwendet werden können. Darüber sprechen wir seit Jahren, es gibt zahlreiche Bestrebungen, eine einheitliche Abfall-Ende-Verordnung für mineralische Bau- und Abbruchabfälle zu schaffen. Diese Verordnung gibt es aber immer noch nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass es noch allgemeine Regelungen in der Abfallrahmenrichtlinie auf europäischer Ebene und im nationalen Kreislaufwirtschaftsgesetz gibt. Mit entsprechenden Einschränkungen, um schädliche Auswirkungen auf Menschen und Umwelt zu vermeiden. Das führt in der Praxis immer wieder zu Diskussionen, ab wann ein Produkt / Recyclingrohstoff und kein Abfall vorliegt. Das hemmt derzeit massiv die Umsetzung der Ersatzbaustoffverordnung.
Wo liegen die Hauptprobleme?
Es ist schlicht zu viel unklar. Aufbereitungsunternehmen fordern Rechtssicherheit, damit sie die aufbereiteten Produkte auch verkaufen können und Bauherren diese Produkte auch einbauen dürfen. Mit der Ersatzbaustoffverordnung haben wir die kuriose Situation, dass die bis dahin gültigen Vorgaben für Untersuchungsanalysen nicht mehr gelten. Die Aufbereitungsanlagen sind aber beispielsweise gemäß dieser alten Vorgaben zertifiziert.
Etwas verkürzt gesagt: Wenn ein Unternehmen im Saarland Baustoffe aufbereitet, hat es keinerlei Garantie, dass es seine Produkte nach Niedersachsen oder Brandenburg verkaufen kann, beziehungsweise dass diese Produkte dort auch genutzt werden dürfen. Zudem müssen die aufbereitenden Unternehmen nun Doppelanalysen durchführen, was Zeit und Geld kostet. In der Folge steigen die Kosten und die Rechtsunsicherheit, wodurch die Investitionen sinken. Am Ende ist es einfacher und günstiger, die Wertstoffe als Abfall zu entsorgen. Das konterkariert die Zielsetzung der EBV natürlich.
Harmonisierung der Kreislaufwirtschaft
Da stellt sich sofort die Frage, warum sich irgendjemand mit dieser Thematik beschäftigen sollte.
Der Rechtsrahmen existiert, wir müssen uns also damit beschäftigen. Aber tatsächlich ist die EBV noch nicht in der Breite angekommen. Dabei ist die Zielrichtung richtig, es geht wie bei der gesamten Kreislaufwirtschaft darum, Abfälle zu vermeiden und so viel wie möglich wiederzuverwenden. Es fehlt allerdings an der praktischen Umsetzung, die gewollte Harmonisierung gibt es noch nicht.
Dennoch wurde etwas erreicht: Wir verfügen über eine einheitliche rechtliche Regelung. Ein erster Schritt, dem jetzt unbedingt der zweite folgen muss, nämlich das Ende der unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern, was den Einsatz der Sekundärbaustoffe betrifft. Bislang wird das über unterschiedliche Erlassregelungen ganz verschieden interpretiert. Dieser Zustand darf nicht weiterbestehen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass sich das bald ändert?
Es gibt durchaus Grund für Optimismus. Denn die EU hat das Ziel, klimaneutral zu werden. Der Bausektor ist ein wichtiger Teil, um dieses Ziel zu erreichen. Mit der avisierten Klimaneutralität gehen verschiedene Umsetzungsmaßnahmen einher, die bereits eingeleitet wurden – der European Green Deal, der Clean Industrial Deal.
Zudem zielen zahlreiche Gesetzgebungsverfahren auf Abfallvermeidung und Wiederverwendung ab – und darauf, Abfälle soweit es geht zu recyclen. Dieser Transformationsprozess der Kreislaufwirtschaft hat begonnen, und der Bausektor ist ein wichtiger Bestandteil. Das wird nicht mehr zurückgedreht werden können. Aber wir müssen die Transformation bürokratiearm gestalten, damit sie umgesetzt werden kann.
In Deutschland sollten wir uns die Ersatzbaustoffverordnung sehr genau ansehen und analysieren, woran es in der Realität hapert. Auf dieser Basis sollten wir dann schnell nachbessern, vereinfachen und einen echten bundeseinheitlichen Rahmen schaffen. Außerdem brauchen wir sehr schnell eine Abfallende-Regelung. Die EU arbeitet an einer entsprechenden Verordnung, aber dieser Prozess dauert, genauso wie die dann folgende Umsetzung in nationales Recht. Allerdings haben wir diese Zeit in Deutschland nicht.
Mit dem Sondervermögen haben wir die einmalige Gelegenheit, zum Vorreiter in Sachen Ersatzbaustoffe und Kreislaufwirtschaft zu werden. Wir müssen das Ganze nur etwas pragmatischer und realistischer angehen. Teilweise gelten für Sekundärbaustoffe strengere Grenzwerte als für Primärbaustoffe, die von Natur aus belastet sein können. Das ergibt keinen Sinn.
Baustoffe als sekundäre Wertstoffe
Am einfachsten ist es für Bauherren, Primärbaustoffe zu nehmen. Das spart Zeit, Geld und Nerven …
Leider ist das in der Realität häufig der Fall. Das bringt uns wieder zum Problem der endlichen Primärrohstoffe. Ressourceneffizienz und Ressourcenschonung verschwinden als Aufgabe ja nicht, nur weil wir es nicht schaffen, eine praktikable Regelung für die Kreislaufwirtschaft zu finden. Genauso wenig wie die Herausforderung, die Abhängigkeit von importierten Baustoffen zu reduzieren.
Im Gespräch mit Unternehmen hört man immer wieder das Wort "Second-Hand-Häuser", wenn von wiederverwendeten Baustoffen die Rede ist. Die haben anscheinend ein Imageproblem.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es krankt im Moment an der Akzeptanz, das beginnt bei der öffentlichen Hand. Auf europäischer Ebene gibt es schon länger Bestrebungen, den öffentlichen Beschaffungsprozess zu modernisieren, auch im Hinblick auf Umweltkriterien. In diese Richtung zielt auch der Circular Economy Act zur Kreislaufwirtschaft. Wir alle – Politik, Verwaltung, Unternehmen, aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher – müssen die Vorstellung überwinden, sekundär bedeute zweitklassig.
Bei Möbeln und Kleidung haben wir es ja bereits geschafft, Second Hand ist cool, "vintage" boomt. Nur im Bereich von Baustoffen funktioniert das leider noch nicht. Es muss uns gelingen, wiederverwendete Baustoffe als sekundäre Wertstoffe zu verstehen, die Primärrohstoffe eins zu eins substituieren können und gleichwertig sind. Wegschmeißen ist bei vielen mittlerweile die allerletzte Option, sie setzen vermehrt auf Reparatur, Tausch, Verkauf und Upcycling – sei es bei Fahrrädern, bei technischen Geräten oder eben bei Möbeln und Kleidung. Dann sollte es uns doch auch gelingen, das auf Baustoffe zu übertragen.
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