Wahre Preise bei Neumarkter Lammsbräu

Öko-Landwirte liefern viel mehr als nur gute Rohstoffe und müssten deshalb deutlich besser verdienen. Neumarkter Lammsbräu verzichtet auf Umsatz und zahlt für die Gemeinwohlleistungen der Bio-Höfe obendrauf. Wie das Unternehmen seine Prämien berechnet und was es dafür in Zukunft noch braucht.

Wenn folgend von einem „Pionier“ oder „Vorreiter“ die Rede ist, dann sind das keine Worthülsen. Die Brauerei Neumarkter Lammsbräu – seit 200 Jahren in Familienbesitz – veröffentlichte schon 1992 ihren ersten Öko-Controlling-Bericht. Sie kümmerte sich bereits um Ökolandbau, als Bioläden noch Reformhäuser hießen, und gründete schon vor rund 40 Jahren eine Erzeugergemeinschaft für ökologische Braurohstoffe, kurz: EZÖB. Die Brauerei verhandelt Fünf-Jahresverträge, die Preise ausdrücklich so kalkulieren, dass es auch für eine nachfolgende Generation lukrativ ist, einen Hof zu übernehmen. 

Was Nachhaltigkeit in Euro und Cent wert ist

Die neueste und aufsehenerregende Maßnahme der Neumarkter Lammsbräu: Sie verzichtet seit dem Geschäftsjahr 2024 auf ein Prozent ihres jährlichen Umsatzes von zuletzt rund 31,7 Millionen Euro, um die mehr als 180 Landwirte in ihrer EZÖB für deren Gemeinwohlleistungen zu honorieren.

Diese bislang beispiellose Initiative nahm 2021 mit einem Pilotprojekt ihren Anfang und sorgte bei Partnern, Mitarbeitenden und Landwirten zunächst für reichlich Skepsis. Sie fragten sich, ob und wie überhaupt zu bewerkstelligen sei, was die Neumarkter Lammsbräu sich da vorgenommen hat: nämlich Bio-Bauern fair dafür zu bezahlen, dass sie nicht nur gute Lebensmittel erzeugen, sondern auch einen Mehrwert für Mensch und Natur erbringen, indem sie unter anderem für Artenvielfalt, saubere Luft und gesunde Böden sorgen. 

Johannes Ehrnsperger, Inhaber und Geschäftsführer von Neumarkter Lammsbräu, ist überzeugt, dass viel zu wenig – und schon gar nicht finanziell – anerkannt wird, was Bio-Höfe für das Gemeinwohl leisten. Er will in Euro und Cent zeigen, was Nachhaltigkeit wert ist. Um es vorwegzunehmen: Lammsbräu-Bauern erhalten heute laut Unternehmensangaben bis zu dreimal mehr Geld für Ihre Leistungen als konventionelle Landwirte.

Nun ist es gar nicht so einfach zu errechnen, was eine Gemeinwohlleistung wert ist. „Ich habe nach einem System gesucht, mit dem wir Gemeinwohlleistungen praxisorientiert messbar machen können, um sie dann auch wirklich wertschätzen zu können“, erklärt der Brauerei-Chef. Er holte sich die Regionalwert Leistungen GmbH an seine Seite. Mit deren „Regionalwert-Leistungsrechnung“ lässt sich der finanzielle Wert von sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Leistungen – also der „wahre Preis“ eines Produkts – ermitteln.

Das klingt nicht nur bürokratisch, sondern ist es auch: „Natürlich gehört ein Landwirt nicht ins Büro, sondern auf den Bulldog oder auf den Acker. Aber ohne einen gewissen Aufwand geht es nicht. Ich kann etwas nur dann wertschätzen und honorieren, wenn ich es erfasse und analysiere. Das müssen die Landwirte tun. Im Gegenzug können sie dadurch mehr Wertschöpfung generieren. Das Wichtige, was wir alle und auch die Landwirte verstehen müssen, ist: dass sie eigentlich nicht nur Landwirt sind, sondern zugleich Wasserwirt, Klimawirt, Artenvielfaltswirt und so weiter“, erklärt Johannes Ehrnsperger.

Dem Oberpfälzer ist dabei eines wichtig: Es gehe hier nicht um eine „Öko-Diktatur“. Die Landwirte würden für etwas bezahlt, was sie heute schon tun, und sie könnten selbst entscheiden, ob und auf welchen Gebieten sie sich weiterentwickeln wollen. Es werden ihnen keine Vorgaben gemacht.

Johannes Ehrnsperger Portrait

Über kurz oder lang muss die Kundschaft mitmachen

Die genaue Methodik, die relevanten Kennzahlen, das beste Vorgehen bei der Datenerfassung und -auswertung ermittelte ein Team von Lammsbräu und Regionalwert unter anderem gemeinsam mit Landwirten. Am ersten Pilotprojekt beteiligten sich 16 Bio-Bauernhöfe, beim zweiten Pilotprojekt waren es schon 27; die Datenauswertung ergab, dass jeder dieser Betriebe einen Mehrwert von rund 53.200 Euro pro Jahr für das Gemeinwohl erbringt. 

Es wäre also angemessen, ihnen diese Summe zu zahlen. Das ist für Neumarkter Lammsbräu allerdings utopisch – wollte sie das tun, müsste sie aktuell rund 10 Millionen Euro aufbringen. Schon die rund 300.000 Euro (1 Prozent vom Umsatz) gehen voll zu Lasten der Brauereibilanz, sie werden nicht durch Preiserhöhungen gegenfinanziert. 

Ehrnsperger hofft auf die Unterstützung der Kunden und zwar in Form von mehr Umsatz: „Es hilft uns nicht, wenn unsere Wertschätzungsgemeinschaft für landwirtschaftliche Leistungen nur vom Acker bis in unser Sudhaus reicht. Solange es kein Level-Playing-Field im Sinne von wahren Preisen gibt, müssen wir die höheren Preise, mit denen wir unsere Landwirte wertschätzen, wiederum von unseren Kunden wertgeschätzt bekommen. Ich kann das nur durch einen Mengeneffekt refinanzieren.“ Mehr Umsatz würde nicht nur der eigenen Bilanz guttun, sondern auch den EZÖB-Höfen, denn die profitieren um so mehr, je besser die Geschäfte von Neumarkter Lammsbräu laufen. 

Der Nachhaltigkeitsgrad bestimmt die Höhe der Vergütung

Mittlerweile haben sich mehr als 180 EZÖB-Hofe dazu verpflichtet, in dem eigens entwickelten Online-Tool rund 500 Kennzahlen zu den von ihnen erbrachten gemeinwohlorientierten Leistungen zu erfassen. Dabei geht es zum Beispiel um die Düngung oder die Herkunft von Futtermitteln, um die Arbeitsplatzqualität oder wie viele Meter Hecke ein Biobetrieb neu gepflanzt hat. 

Der erste Erfassungsaufwand liegt im Schnitt bei acht Stunden und reduziert sich im Folgejahr deutlich. Außerdem wird das Tool gerade so weiterentwickelt, dass es Schnittstellen zu anderen Online-Plattformen bietet, auf denen Landwirte ohnehin Daten einstellen müssen, etwa wenn es um öffentliche Förderanträge geht. 

Das vom Tool errechnete Ergebnis zeigt den Nachhaltigkeitsgrad eines jeden beteiligten Bio-Bauernhofes – und der bestimmt die Höhe der Vergütung. Bei der Ausschüttung für die Gemeinwohlleistung wird die Gesamtsumme von rund 300.000 Euro durch die Anzahl der liefernden Betriebe geteilt. Wenn nun Hof X den gleichen Wert im Nachhaltigkeitsgrad erreicht wie der Durchschnitt der Erzeugergemeinschaft, dann bekommt er die durchschnittliche Prämie, also ungefähr 2.500 Euro.

Wer sich deutlich verbessert, bekommt deutlich mehr. „Wir haben einen Motivationsfaktor eingeführt: Wenn ein Hof um 10 Prozent besser ist als der Durchschnitt, bekommt er 30 Prozent mehr Prämie. Das gilt im Umkehrschluss auch nach unten. Das zahlt auf unser gemeinsames Ziel ein, Ökolandbau nicht nur in der Fläche auszuweiten, sondern auch in der Qualität zu verbessern“, erklärt Johannes Ehrnsperger.

Zwar macht die Software automatisierte Plausibilitäts-Checks und die Brauerei behält sich vor, auch mal Stichproben zu ziehen, durchgängig kontrolliert werden die Angaben der Landwirte aber nicht – hier wird auf Treu und Glauben gearbeitet. Man kennt sich in der Regel persönlich und außerdem wäre der Aufwand für ein Kontrollsystem unverhältnismäßig hoch. 

Eine Blaupause für anderes Wirtschaften

Warum überhaupt bezahlt ein privates Unternehmen andere private Unternehmen dafür, wenn deren Leistung der Gesellschaft zugutekommt? Johannes Ehrnsperger antwortet: „Irgendeiner muss halt anfangen. Natürlich sind auch für uns – wie für die gesamte Wirtschaft und insbesondere jeden, der hochpreisig und hochqualitativ unterwegs ist – die wirtschaftlichen Zeiten schon besser gewesen. Aber gerade deswegen muss man so was machen, glaube ich. Klimawandel oder Wasserverschmutzung enden nicht, bloß weil Deutschland eine Rezession durchlebt. Die machen keine Pause.“ Gerade jetzt müsse es trotzdem gehen. Und die Brauerei wolle als Pionierunternehmen eine Blaupause dafür sein, dass Wirtschaften auch anders geht.

Dieser Blaupause bedient sich jetzt auch die Stadt Neumarkt: Dort startet gerade ein Projekt, das die Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen städtischen Flächen nach Regionalwert-Leistungsrechnung honoriert. Auch diese Pionierarbeit trägt also schon Früchte.


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