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Nachhaltigkeit im Vertrieb: Kein Gedöns!


Studie FH Dortmund Nachhaltigkeit im Vertrieb

Wie wird das Thema Nachhaltigkeit eigentlich im Vertrieb betrachtet und vor allem: wie wird es dort umgesetzt? Diesen Fragen ist ein Forschungsteam der FH Dortmund in einer umfangreichen Studie nachgegangen - in diesem Interview geben die Forschenden Einblicke in die Ergebnisse und Hintergründe. Eins vorab: Die Nachhaltigen gewinnen.

Gefühlt stürzt das Thema Nachhaltigkeit in der Prio-Liste von Unternehmen gerade steil ab. Insbesondere im Vertrieb hatte es die Nachhaltigkeit ohnehin schon immer ein bisschen schwerer als in anderen Unternehmensbereichen, weil sie dort vielfach erstmal als Kostenfaktor und nicht als Umsatzbringer eingeschätzt wird. Viele traditionelle Vertriebsleute halten Nachhaltigkeit für Gedöns. Schaut man sich die Ergebnisse Ihrer Forschung an, ist das immer noch so. Oder?

Fabian Kubik: In informellen Gesprächen mit Vertriebsmitarbeitern begegnen wir durchaus immer mal wieder Frust und der Einschätzung, dass das Thema anstrengend ist und sich vielleicht auch beim Kunden noch nicht so durchgesetzt hat. Wenn wir auf die Ergebnisse der Studie schauen, dann fallen aber drei Ergebnisse ins Auge: 60 Prozent der befragten Vertriebsmitarbeiter sagen, Nachhaltigkeit sei in den letzten drei Jahren wichtiger, teilweise sogar viel wichtiger geworden. Auf die Frage, wer im Unternehmen das Thema antreibt, wird am häufigsten die Vorstandsebene genannt. Und außerdem glauben 61 Prozent der Befragten, dass nachhaltige Vertriebspraktiken in Zukunft zu einem Wettbewerbsvorteil führen. Wenn man das als Ausgangslage nimmt, lässt sich sagen: Gedöns nimmt nicht an Bedeutung zu, Gedöns wird nicht vom Vorstand getrieben und Gedöns ist auch nicht die Grundlage für einen Wettbewerbsvorteil. Gerade die Aussage zur Wettbewerbsfähigkeit finde ich spannend, denn wir haben viele gesättigte, hochentwickelte Märkte, in denen Unternehmen händeringend nach Möglichkeiten suchen sich zu differenzieren. Dass fast zwei Drittel der Befragten der Meinung sind, Nachhaltigkeit könne eine solche Differenzierungsquelle sein, ist eine enorm positive Botschaft.

Nun haben Sie die Umfrage zur Studie im vergangenen Jahr gemacht, in dem die EU-Nachhaltigkeits-Regulatorik deutlich drängender und noch nicht von Omnibusverfahren die Rede war. Gehen Sie davon aus, dass sich die Sicht der Unternehmen auf Nachhaltigkeit seitdem verändert hat?

Sabrina Scheidler: Kurzfristig bergen solche Entwicklungen auf jeden Fall ein Risiko, dass Nachhaltigkeit an strategischem Gewicht verliert oder vielleicht eine geringere Priorisierung genießt, weil weniger regulatorischen Druck herrscht. Auf der politischen Seite könnte ein Rückschritt fatale Folgen für die Investitionsbereitschaft und die Innovationsdynamik in bestimmten Märkten nach sich ziehen. Unternehmen, die bereits viel getan haben, könnten nun vielleicht kurzfristig Wettbewerbsnachteile haben. Ein Blick auf die Marktkräfte zeigt aber, dass Kunden, Investoren, Arbeitnehmer und Kapitalgeber weiterhin Transparenz und ESG-Engagement fordern. Selbst bei den bereits berichtspflichtigen Unternehmen wünscht sich nur eine Minderheit eine grundlegende Revision der Regulatorik.

Die regulatorische Entschärfung ist ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit unternehmerischer Nachhaltigkeitsstrategien. Unternehmen, die die jetzige Phase der temporären Entschleunigung nutzen, um Prozesse zu optimieren, Datenqualität zu sichern und Nachhaltigkeit auch als Business Case weiterzudenken, werden gerade in unserer eher rohstoffarmen EU diejenigen sein, die morgen wirtschaftlich erfolgreicher sind.

Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil im Vertrieb

In Ihrer Studie heißt es: „Unternehmen, die Nachhaltigkeit als festen Bestandteil ihrer Kultur und ihrer operativen Prozesse etablieren, sind besser gerüstet, um auf künftige Marktveränderungen flexibel zu reagieren und neue Geschäftsmöglichkeiten zu erschließen.“ Welche Belege gibt es dafür?

Hanaa Ryari: Die Studie zeigt, dass Nachhaltigkeitsführer viel besser performen. Das betrifft sowohl Schlüsselkennzahlen wie Umsatzwachstum, Gewinnentwicklung oder Kundenbindung, als auch soziale Themen: Nachhaltigkeitsführer schützen sich vor unternehmerischen Gefahren, indem sie Nachhaltigkeit strategisch verankern und zum Beispiel Themen wie hohe Arbeitsbelastung und Burnout-Gefahr im Vergleich zu Nachhaltigkeitszögerern besser im Blick haben.

FH Dortmund Forscherteam Nachhaltigkeit im Vertrieb

Wie schlägt sich denn Nachhaltigkeit im Vertrieb ganz konkret nieder?

Hanaa Ryari: Unsere Studie zeigt, dass gerade größere Kunden Nachhaltigkeitsinformationen einfordern, zum Beispiel zur Reduzierung des CO₂-Fußabdrucks, zu Herkunft und Einsatz nachhaltiger Materialien in der Produktion oder zu Arbeitsbedingungen in der Lieferkette. Außerdem rückt das Thema Kreislaufwirtschaft immer stärker in den Fokus, also etwa die Rücknahme von Produkten, Recycling, die Langlebigkeit von Materialien – das ist auch für den Vertrieb relevant.

Fabian Kubik: Im operativen Vertrieb schlägt sich Nachhaltigkeit sehr sichtbar im Fuhrparkmanagement nieder, also mit welchen Autos die Vertriebler unterwegs sind. Auch die Kundenbesuchsplanung ist ein gutes Beispiel. Sie fängt damit an, dass nicht zwei Vertriebler mit zwei Autos bei einem Kunden vorfahren und dass genau hingeschaut wird, welche Kunden persönlich besucht werden und welche aus Effizienzgründen auch vom Innendienst oder per Video-Call angesprochen werden können. Das sind zwar nicht die großen strategischen Hebel, aber deutliche Zeichen dafür, dass Nachhaltigkeit Einzug in den Vertriebsalltag hält.

In dem Moment, in dem Nachhaltigkeit beim Kunden einen echten Nutzen stiftet, ist auch die Zahlungsbereitschaft kein Problem.


Prof. Dr. Fabian Kubik

Regulatorik, Marktkräfte und die strategische Bedeutung von Nachhaltigkeit

Gibt es Studienergebnisse, die Sie besonders überrascht haben?

Hanaa Ryari: Überrascht hat uns, dass Nachhaltigkeit in den Unternehmen an Relevanz zunimmt, aber nicht immer priorisiert wird. Man kann sagen: Nachhaltigkeit ist in den Köpfen angekommen, aber nicht im Handeln. Sie ist zum Beispiel nicht Teil der Zielvereinbarungen und auch bei den KPIs spielt sie bei der Mehrheit der Befragten keine Rolle. Es gibt eine Lücke zwischen öffentlichem Bekenntnis zur Nachhaltigkeit und tatsächlicher Umsetzung. Außerdem hat uns überrascht, dass Nachhaltigkeit formal eingefordert wird, aber tatsächlich noch kein entscheidendes Kaufkriterium im Kaufprozess ist. Der Preis spielt nach wie vor eine kritische Rolle.

Wie lässt sich das ändern?

Fabian Kubik: Ich glaube, man muss den Blick auf Nachhaltigkeit erweitern. Es geht nicht darum, dass der Kunde zwischen einem nachhaltigen Produkt, das 10 Prozent teurer ist, und einem gleichwertigen, aber günstigeren nicht-nachhaltigen Produkt wählen kann. Solch ein Angebot überzeugt nicht. Unternehmen müssen versuchen, Nachhaltigkeit in echte Mehrwerte für Kunden zu übersetzen; zum Beispiel indem sie sich in die Wertschöpfungskette der Kunden integrieren und ihnen helfen, der gesetzlichen Regulatorik gerecht werden. In dem Moment, in dem Nachhaltigkeit beim Kunden einen echten Nutzen stiftet, ist auch die Zahlungsbereitschaft kein Problem.

Vom Lippenbekenntnis zur Umsetzung: Herausforderungen und Chancen

Wie wird es mit dem Thema Nachhaltigkeit im Vertrieb weitergehen?

Lena Klimke: Es wird keinen stringenten, klaren Weg nach vorne geben, sondern eher ein Auf und Ab. Im Moment sind wir durch die politischen Unsicherheiten und die sich verschiebende Regulatorik in einer Phase, in der Unternehmen viele Nachhaltigkeitsprojekte auf Eis legen. Trotzdem werden Unternehmen mehr und mehr die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens erkennen, denn es gibt neben der Regulatorik viele gute Gründe, die dafürsprechen. Zudem kommen immer bessere Systeme und Technologien auf den Markt, die es ermöglichen, Nachhaltigkeit in Prozesse zu integrieren. Damit wird die operative Umsetzung an Fahrt aufnehmen. Unternehmen, die nicht in Nachhaltigkeit investieren, werden künftig nicht nur keinen Wettbewerbsvorteil, sondern womöglich einen Wettbewerbsnachteil haben. Deshalb glaube ich, dass sich das Thema trotz aller Unsicherheiten perspektivisch und auch im Vertrieb durchsetzen wird.

Sabrina Scheidler: Unsere Botschaft an die Unternehmen ist, dass es sehr wichtig ist, sich mit Nachhaltigkeit zu beschäftigen und dem Vertrieb das Zeug an die Hand zu geben, sie nach außen zu tragen. Der Vertrieb ist der Motor des Unternehmens und das Sprachrohr zum Kunden, das dafür sorgen kann, dass die nachhaltigkeitsorientierten Mehrwerte auf Zahlungsbereitschaft treffen. Zudem weiß der Vertrieb, was die Kunden brauchen und welche nachhaltigkeitsbezogenen Angebote einen Kundenwert schaffen. Es gilt, den Vertrieb als Innovationsmotor zu nutzen.

Die Studie

Für die Studie zum Umsetzungsstand der Nachhaltigkeit im Vertrieb befragte das Forschungsteam Prof. Dr. Hanaa Ryari, Prof. Dr. Lena Klimke, Prof. Dr. Fabian Kubik und Prof. Dr. Sabrina Scheidler von der FH Dortmund mehrere Hundert Vertriebsmitarbeitende aus verschiedenen Branchen und Hierarchieebenen. Alle Informationen zur Methodik finden Sie auf der Website der FH Dortmund.

Hier finden Sie die komplette Studie zum kostenlosen Download:

📘 Band 1 – Bedeutung für den Vertrieb und Vertriebserfolg
📗 Band 2 – Soziale Nachhaltigkeit im Vertrieb
📙 Band 3 – Umsetzungsstand und Zukunftsperspektiven



Schlagworte zum Thema:  Nachhaltigkeit , Vertriebsmanagement
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