„Wo Druck ist, entstehen Lösungen“
Richard Stechow beschäftigt sich als Managing Innovation Consultant beim Münchner BMI Lab – einer Ausgründung aus der Universität St. Gallen – damit, wie Unternehmen Innovationen erfolgreich in ihr Geschäftsmodell integrieren. Der Diplom-Wirtschaftsingenieur arbeitet industrieübergreifend und ist spezialisiert auf Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft.
Gibt es eine steigende Nachfrage danach, wie sich Nachhaltigkeit in Geschäftsmodelle integrieren lässt?
Ja, die Nachfrage steigt enorm. Ich beschäftige mich seit vier Jahren vor allem mit der Kreislaufwirtschaft. Bei diesem Thema gibt es einen großen Schub. Und zwar insbesondere, was die Konkretheit der Anfragen angeht.
Wie weit sind die Unternehmen, die bei Ihnen anfragen?
Viele sind schon sehr weit, andere stehen noch ganz am Anfang. Die ersten Schritte Richtung Kreislaufwirtschaft sind in der Regel materialbezogen. Da lauten die Fragen zum Beispiel „Was können wir statt Plastik benutzen?“ oder „Was fordert das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz von uns?“. Quasi alle haben auf dem Schirm, dass sie ihr Geschäftsmodell aus der Nachhaltigkeitswarte betrachten müssen – aber viele haben auch Angst davor.
Warum haben sie Angst?
Es ist ein längerer Prozess, für den Unternehmen typischerweise nicht aufgestellt sind. Wer anfängt, sich mit Nachhaltigkeit zu befassen, kann nicht absehen, wo das enden wird. Wenn jemand sich erstmals in einem Unternehmen mit dem Thema beschäftigt, muss er erst einmal ein Reporting aufbauen. Dafür braucht er Kennzahlen. Dafür wiederum muss er unter anderem erst einmal den ökologischen Fußabdruck des Unternehmens ermitteln.
Das sind gigantische Aufgaben für einzelne Unternehmen, für die sie oft keine Kapazitäten haben. Außerdem gibt es keine schnellen Erfolge, sondern erst einmal nur viele zusätzliche Kostenstellen.
Intrinsische Motivation versus Regulatorik
Ist es eher eine intrinsische Motivation oder die Regulatorik, die Unternehmen dazu motiviert, sich trotz Kosten und Mühen nachhaltiger aufzustellen?
Für die, die im Prozess schon weiter sind, ist es logisch, nachhaltig zu wirtschaften und eher eine intrinsische Motivation. Das zeigt sich gerade bei eigentümergeführten Unternehmen im Mittelstand. Die reden nicht so viel darüber, wie die Großen, sondern machen das einfach. Bei den großen Konzernen ist der Treiber eher der Profit.
Nachhaltiges Wirtschaften ist ja rein finanziell betrachtet kein Mega-Profitbringer. Warum strengen sich dann Konzerne trotzdem an, nachhaltiger zu werden?
Nachhaltigkeit ist mittlerweile ein wichtiger Punkt. Aber sie wird in Konzernen häufig nicht um ihrer selbst willen betrieben, sondern vor allem aufgrund der Regulatorik, oder weil man sich Wettbewerbsvorteile erhofft. Wo Druck ist, entstehen Lösungen. Das finde ich gut und so muss es auch mehr oder weniger sein: Wenn der Druck so hoch ist, dass Unternehmen etwas adressieren müssen, dann sind wir da, wo wir hinwollen. Denn anderenfalls müssten wir ja unser gesamtes kapitalistisches System ändern und das ist utopisch – zumindest auf kurze Sicht.
Nachhaltig zu werden, erfordert eine umfassende Transformation
Innovationen sind immer auch mit Risiken verbunden. Welche Risiken lauern konkret, wenn sich Unternehmen nachhaltiger aufstellen?
Bei manchen Industrien muss man einfach sagen: Ein einzelnes Unternehmen kann da zwar erste Schritte tun, aber um einen großflächigen Wandel hinzubekommen, muss mehr passieren. Wenn das nachhaltige Engagement nicht wertgeschätzt wird, dann verlieren solche Unternehmen gegen den Wettbewerb, denn sie haben höhere Kosten. Nachhaltiges Wirtschaften ist erstmal teurer und damit anspruchsvoller. Die Unternehmen „preisen“ sich aus dem Markt, solange ihre Zielgruppe das Engagement nicht ausreichend wertschätzt.
Es kann dauern, bis die Zahlungsbereitschaft da ist und die Unternehmen ihre nachhaltigen Lösungen skalieren und kostendeckend anbieten können. Das ist ein langer Prozess, und der ist sehr heikel und gefährlich für die einzelnen Unternehmen. Außerdem gibt es in den Unternehmen auch noch interne Barrieren.
Wirklich nachhaltig zu werden, ist eine Transformation. Ich vergleiche sie gerne mit der digitalen Transformation – wobei die Nachhaltigkeitstransformation vielleicht sogar noch umfassender ist.
Die digitale Transformation verspricht Effizienzgewinne – mehr Marge, mehr Profit, mehr Flexibilität. Nachhaltigkeit verursacht erst einmal Kosten und gefährdet zunächst die Marktchancen, oder?
Ja, genau. Langfristig sind nachhaltige Lösungen durchaus ein Wettbewerbsvorteil; zum Beispiel junge Mitarbeiter achten bei der Wahl ihrer Arbeitgeber schon darauf. Zunächst muss sich aber intern viel ändern. Unternehmen müssen – wie in der digitalen Transformation – neue Fähigkeiten und Kapazitäten aufbauen, ohne dass sich automatisch Effizienzgewinne ergeben.
Erhöht sich denn die Preisbereitschaft der Kunden für nachhaltige Lösungen oder Produkte?
Eben nicht. Die Grundaussage ist nach wie vor: „Wenn ein nachhaltiges Produkt genauso viel kostet und die gleiche Qualität hat, wie ein konventionelles, dann kaufen wir es.“ Und das ist auch richtig. Aber das zu erreichen, ist schwierig. Dafür gibt es keine große Patentlösung, wie immer in der echten Welt. Leider. Was aber auf jeden Fall positiv ist: Der Trend ist da.
Es gibt kein Unternehmen mehr, dass sich nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigt – und das bedeutet, dass das Thema eine Eigendynamik entwickelt. Wenn so eine Welle kommt und jedes Vorstandsmitglied darüber reden muss – auch mit den Enkelkindern am Familientisch –, dann wird das Thema auch vorangehen.
Haben es die besagten inhabergeführten mittelständischen Unternehmen leichter als Konzerne?
Ja und nein. Wenn sich die Großen dahinterklemmen und das groß vermarkten, dann haben sie eine andere Reichweite und einen anderen Sog. Wenn zum Beispiel ein Start-up mit einem Konzern zusammenarbeitet und dort seine Lösung platziert, dann hat das einen ganz anderen Effekt, als wenn es sich an einen kleinen Mittelständler wendet. Das eine ist vielleicht ein nettes Pilotprojekt, das andere kann der große Durchbruch sein. Konzerne haben eine andere Reichweite – sie haben aber auch andere Barrieren. Nachhaltige Projekte sind längerfristiger. Inhabergeführte Unternehmen wissen das – wenn sie sich auf etwas einlassen, machen sie in der Regel nicht so leicht einen Rückschritt. Wenn in Großkonzernen die C-Level-Ebene wechselt, dann werden langfristige Themen gern mal gestrichen.
Regulatorische Anreize sind schmerzhaft, führen aber zu Lösungen
Nun werden ja dank einer neuen EU-Richtlinie (der CSRD) Nachhaltigkeitskennzahlen den Finanzkennzahlen gleichgesetzt werden – was sich auf das Rating von Aktiengesellschaften auswirkt. Das dürfte dem Thema Nachhaltigkeit in den Vorstandsetagen deutlich Rückenwind verleihen, oder?
Ganz genau. Bislang gab es diese Ziele nicht, und deshalb ist – außer durch Regulatorik oder Steueranreize – wenig passiert. Wenn der Druck jetzt von beiden Seiten kommt, dann wird auch ein Wandel geschehen. Das wird nicht immer toll und sicher auch schmerzhaft und zu vielen Problemen im Detail führen. Das liegt daran, dass es sich nicht um Marktanreize, etwa durch den Preis, handelt, sondern um künstliche Anreize. Die sind per se fehlerbehaftet. Aber am Ende werden wir Lösungen haben.
Hätten Sie ein konkretes Beispiel?
Ja, schauen Sie sich den Re-Use von Plastikwaren an. Noch rechnet der sich einfach nicht. Unternehmen können vielleicht auf Recycling setzen – aber Plastikteile wiederzuverwerten funktioniert noch nicht, weil es zu teuer ist, sie zu waschen und aufzubereiten. Wenn Unternehmen auf andere, höherwertige Materialien ausweichen wollen, dann brauchen sie von jedem Beteiligten in der gesamten Wertschöpfungskette ein Invest, denn die Maschinen und Anlagen sind darauf nicht ausgerichtet. Das können sie aber nicht fordern, wenn es keinen echten Anreiz gibt und solange die Rahmenbedingungen nicht da sind. Hier ist, zu Recht, die Regulatorik gefordert. Erst wenn sich die externen Effekte von Rohstoffneugewinnung im Preis widerspiegeln, werden alternative Konzepte attraktiv. Um dies flächendeckend einzuführen, muss jedoch ein gesellschaftlicher Konsens entstehen, was noch ein langer Weg wird – wobei die EU hier mit großen (wenn auch nicht perfekten) Schritten vorangeht.
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