KI: "Wegducken ist keine Option mehr"
Unser Ziel war es, alle wachzurütteln.
Sie verantworten den Arbeitskreis Digitalstrategie beim DStV. Was war das Ziel des Arbeitskreises bei der Entwicklung der zehn KI-Thesen?
Das Hauptziel war, einen Impuls zu setzen und Aufmerksamkeit für das Thema generative KI zu schaffen. Künstliche Intelligenz ist in vielen Branchen ein Trendthema geworden – auch in unserer. Wir wollten jedoch nicht nur darauf hinweisen, dass es relevant ist, sondern konkret aufzeigen, was KI für unseren Berufsstand bedeutet. Es geht darum, wie Steuerberaterinnen und Steuerberater sich auf diese Entwicklungen einstellen können – sowohl im Kanzleialltag als auch langfristig.
Hatten Sie beim Erstellen der Thesen eine bestimmte Kanzlei im Kopf?
Unser Fokus liegt auf kleinen und mittelständischen Kanzleien, die wir traditionell vertreten. Dennoch sind unsere Überlegungen auch für größere Einheiten relevant. Die Herausforderung besteht oft in der Umsetzbarkeit neuer Technologien und ihrer Geschwindigkeit. Unser Ziel war es daher, alle wachzurütteln – von Einzelkanzleien bis hin zu größeren Strukturen –, denn jede Kanzlei muss jetzt analysieren, wie sich diese Veränderungen auf Mandantenbeziehungen und interne Prozesse auswirken.
Wie schätzen Sie den aktuellen Stand ein: Ist das Thema generative KI bereits umfassend bei Ihren Mitgliedern angekommen – oder gibt es auch Beraterinnen und Berater, die sagen ‚Das betrifft mich nicht‘?
Wir sehen eine große Bandbreite: Stark ausgelastete Kanzleien tun sich schwerer mit neuen Themen wie KI; andere zeigen Innovationsfreude und entwickeln eigene Lösungen oder Schnittstellen. Insgesamt zeigt sich jedoch eine hohe digitale Affinität in unserer Branche. Die meisten Kanzleien arbeiten seit Jahren mit Softwarelösungen, was sie im Vergleich zu anderen Branchen technologisch besser aufstellt.
In These 9 fordern Sie mehr technologische Souveränität. Meinen Sie damit auch die Abhängigkeit von Anbietern wie DATEV?
Technologische Souveränität bedeutet für mich nicht primär, dass man sich komplett unabhängig von Softwareanbietern macht oder eigene Open-Source-Lösungen entwickelt. Vielmehr geht es darum, ein fundiertes Verständnis dafür zu haben, welche Technologien und Tools genutzt werden – was sie leisten können, wo ihre Grenzen liegen und welche Herausforderungen sie mitbringen. Es ist wichtig, bewusst Entscheidungen zu treffen: Welche standardisierten Lösungen setze ich ein? Und wo macht es aus Gründen wie Kosten oder Datenschutz Sinn, interne Alternativen zu schaffen?
Natürlich spielt hier die Größe der Kanzlei eine Rolle. Viele alteingesessene, aber auch neue Anbieter entwickeln kontinuierlich innovative Lösungen. Unser Ziel als Verband ist es, gemeinsam mit solchen Partnern herauszufinden: Wo drückt der Schuh in den Kanzleien am meisten? Erst dann kann gezielt angepackt werden. Die neuesten Innovationen einzuführen, bringt wenig, wenn grundlegende Prozesse noch nicht digitalisiert sind. Daher plädieren wir dafür, Schritt für Schritt vorzugehen und dabei immer die breite Masse unserer Mitglieder mitzunehmen.
Es braucht eine stärkere Verknüpfung von fachlicher Kompetenz mit technologischen Fähigkeiten.
In These 6 schreiben Sie, dass Ausbildung und Prüfung radikal neu gedacht werden müssen. Was genau stellen Sie sich darunter vor? Sollten technische Kompetenzen stärker gewichtet werden – auch auf Kosten des fachlichen Know-hows?
Das Thema ist komplex und wird bei uns von einem eigenen Arbeitskreis bearbeitet. Aber klar ist: Es braucht eine stärkere Verknüpfung von fachlicher Kompetenz mit technologischen Fähigkeiten. Das Fachwissen bleibt essenziell – schließlich müssen Steuerberaterinnen und Steuerberater verstehen, was hinter automatisierten Prozessen passiert, um dann individuell zu beraten. Gleichzeitig gewinnen methodische und technologische Kompetenzen immer mehr an Bedeutung.
Wie könnte das konkret aussehen? Sprechen wir hier eher über digitale Hilfsmittel in der Prüfungsvorbereitung oder über grundsätzliche Änderungen im Prüfungsinhalt?
Beides ist denkbar. Zum einen kann die Digitalisierung die Vorbereitung erleichtern: Mit Tools könnten Prüflinge ihre Antworten direkt digital eingeben und sofort Feedback erhalten, etwa welche Themen sie noch vertiefen sollten. Solche Lösungen gibt es bereits vereinzelt, aber ihr Einsatz könnte breiter gefasst werden.
Zum anderen verändert die Automatisierung den Berufsalltag massiv. Früher ging es auch viel darum, Daten manuell zu erfassen – heute übernehmen Belegerkennung oder automatisierte Buchungssätze diese Aufgaben. Die Rolle verschiebt sich immer mehr hin zu einer Kontroll- und Beratungsfunktion: Systeme kritisch prüfen, Fehler erkennen und strategisch denken und beraten. Hierfür brauchen wir neue Skills.
In These 8 sprechen Sie davon, dass der Markt zum Plattformmarkt wird und klassische Kanzleistrukturen unter Druck geraten. Haben kleinere Kanzleien überhaupt eine Chance, in diesem Umfeld eigenständig zu bestehen?
Auf jeden Fall. Ihre Stärke liegt in persönlicher Betreuung sowie individueller Verfügbarkeit – ein klarer Vorteil gegenüber anonymen Plattformlösungen.
Der Markt entwickelt sich zudem stark weiter: Neben großen Anbietern entstehen immer mehr spezialisierte Kanzleien oder Start-ups mit innovativen Lösungen für einzelne Anwendungsfälle; das schafft neue Möglichkeiten für strategische Entscheidungen kleinerer Einheiten.
Die Thesen zeigen viele Herausforderungen auf. Hatten Sie keine Sorge, dass sie für manche Mitglieder überfordernd wirken könnten?
Natürlich haben wir daran gedacht, dass die Themen zunächst überwältigend wirken können. Aber genau deshalb war es uns wichtig, darauf aufmerksam zu machen und klarzumachen: Wegducken ist keine Option mehr. Mit unseren Angeboten – vom Arbeitskreis Digitalstrategie bis hin zu regionalen Initiativen der Mitgliedsverbände – wollen wir Kanzleien gezielt unterstützen und ihnen helfen, die nächsten Schritte zu gehen.
Welche konkreten Angebote macht der DStV, um Mitglieder bei den Herausforderungen rund um KI und Digitalisierung zu unterstützen?
Als Verband bieten wir vor allem Orte für Austausch und Weiterbildung. Ein Beispiel ist unser erfolgreicher ‚KI Tools Day‘, bei dem über 500 Teilnehmende praktische Einblicke in aktuelle Tools und Use Cases erhalten haben. Solche Veranstaltungen zeigen Kanzleien direkt anwendbare Lösungen auf.
Darüber hinaus veröffentlichen wir regelmäßig Artikel und Whitepaper, wie etwa zu KI-Assistenten oder -Agenten, die einen technologischen Ausblick geben. Für Kanzleien am Anfang ihrer digitalen Reise entwickeln wir Checklisten und Leitfäden, die Schritt für Schritt durch den Prozess führen. Auch unsere Mitgliedsverbände bieten umfangreiche Webinare und Seminare an.
Was möchten Sie Kolleginnen und Kollegen mitgeben, die sich überfordert fühlen?
Viele wissen gar nicht, dass auch in etablierten Lösungen, die bereits im Einsatz sind, KI steckt. Es lohnt sich also schon, einfach mal genauer hinzusehen: Welche Funktionen gibt es alle? Wie kann ich sie nutzen? Gleichzeitig möchte ich Mut machen: Oft reicht es schon aus, klein anzufangen –Transformation bedeutet eben nicht nur Technologieeinführung; es geht darum, Prozesse kontinuierlich zu verbessern und langfristig zufriedenere Teams sowie Mandantenbeziehungen aufzubauen.
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