Betrieb des Entleihers keine erste Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers
Rechtslage bei Leiharbeitnehmern bis 31.12.2013
Die Rechtsprechung des BFH zu den Vorgängerregelungen (§§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG) war davon ausgegangen, dass Tätigkeitsmittel-unkt und regelmäßige Arbeitsstätte dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann (vgl. BFH, Urteil v, 24.9.2013, VI R 51/12, BStBl 2014 II S. 342).
Nach diesen Grundsätzen ist der BFH zu dem Schluss gelangt, dass Leiharbeitnehmer typischerweise nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte (so der bisherige Begriff) verfügen und daher die Fahrtkosten zu dem Entleihbetrieb nach Dienstreisekostengrundsätzen (0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer) geltend machen können. Fraglich war, ob dies auch noch nach dem neuen Reisekostenrecht gilt. Danach sind Fahrtkosten zwischen dem Wohnort und der "ersten Tätigkeitsstätte" (neuer gesetzlicher Begriff; § 9 Abs. 4 EStG) auf die sog. Entfernungspauschale (0,30 EUR pro Entfernungskilometer) begrenzt.
Der Fall beim Niedersächsischen FG
Im Streitfall war der Kläger seit Mai 2012 bei einer Leiharbeitsfirma als Helfer beschäftigt. Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis November 2012 befristet und mehrfach bis Mai 2015 verlängert worden. Nach dem Arbeitsvertrag musste der Kläger mit einer jederzeitigen Umsetzung/Versetzung - bundesweit - einverstanden sein. Im Streitjahr 2014 war der Kläger ganzjährig für einen Entleihbetrieb tätig.
Den mit der Einkommensteuererklärung 2014 beantragten Werbungskostenabzug von Aufwendungen für Fahrten zwischen der Wohnung und dem Entleihbetrieb (0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer) beanstandete das Finanzamt (FA) und ließ unter Hinweis auf das neue Reisekostenrecht nur den Abzug der Entfernungspauschale zu. Das FA ging dabei von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleihbetrieb und damit von einer ersten Tätigkeitsstätte des Leiharbeitnehmers aus.
Die Entscheidung des Niedersächsischen FG (gegen BMF-Schreiben v. 24.10.2014)
Das FG hat entschieden, dass die Zuweisung des Leiharbeitsgebers, "bis auf Weiteres" in einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig zu sein, nicht als unbefristet i. S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alt. EStG 2014 angesehen werden kann (Urteil v. 30.11.2016, 9 K 130/16, entgegen BMF, Schreiben v. 24. 10. 2014, BStBl 2014 I S. 1412, Tz. 13) Es könne dahinstehen, ob eine Umsetzung/Versetzung eines dauerhaft beschäftigten Arbeitnehmers "bis auf Weiteres" zu einem anderen Betriebsteil, Werk, Zweigstelle etc. seines Arbeitgebers oder Dritten dazu führt, dass dieser dort unbefristet und damit dauerhaft i. S. des § 9 Abs. 4 EStG 2014 tätig ist. Bei Leiharbeitnehmern verbiete sich jedenfalls aufgrund der Befristung des Leiharbeitsverhältnisses und der vertraglich vereinbarten - jederzeitigen - Flexibilität (wie im Streitfall ggf. bundesweit) eine derartige Betrachtung.
Eine Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses (§ 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alt. EStG 2014) sei bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen nur ausnahmsweise für den Fall denkbar, dass die Zuordnung für die gesamte Dauer zu einem bestimmten Betrieb des Entleihers bereits bei Beginn des Leiharbeitsverhältnisses bzw. der jeweiligen Verlängerung - für den Leiharbeitnehmer erkennbar - feststehe.
Nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zulässig
Außerdem geht das FG davon aus, dass aufgrund der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung bereits aus Rechtsgründen bei Leiharbeitsverhältnissen keine dauerhafte Zuordnung zu einem Entleihbetrieb denkbar ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sei nur eine vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung zulässig.
Praxis-Tipp: Fast 1 Mio. Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer betroffen
Das FG hat die Revision zum BFH wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage und zur Fortbildung des Rechts zugelassen (Az beim BFH VI R 6/17).
Von den Auswirkungen der Entscheidung sind fast eine Million Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer in Deutschland betroffen. In vergleichbaren Fällen sollten Leiharbeitnehmer den Abzug der Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und Betrieb nach Reisekostengrundsätzen mit 0,30 EUR pro gefahrenen Kilometer beantragen und gegen die ablehnenden Bescheide der FÄ unter Hinweis auf das beim BFH anhängige Verfahren das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung durch den BFH nach § 363 Abs. 2 AO beantragen.
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