Leitsatz (amtlich)
Sind in einem Betrag zugeflossene Einkünfte für eine mehrjährige Tätigkeit nach § 34 Abs. 3 EStG auf Jahre zu verteilen, in denen keine Veranlagung stattgefunden hat, sondern nur Lohnsteuer einbehalten wurde, so ist nach der Verteilung die Einkommensteuer des Zuflußjahres um die Steuerbeträge zu erhöhen, um die die auf das Verteilungsjahr entfallende Einkommensteuer die dafür einbehaltene Lohnsteuer übersteigen würde, wenn eine (an das Lohnsteuerabzugsverfahren nicht gebundene) Veranlagung unter Einbeziehung der betreffenden Teile der begünstigten Einkünfte stattgefunden hätte. Bei der Einbehaltung der Lohnsteuer unterlaufene Fehler können sich dabei zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken.
Normenkette
EStG § 34 Abs. 3
Tatbestand
Im Revisionsverfahren ist noch streitig, wie nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Steuerberechnung durchzuführen ist, wenn in dem vorausgegangenen Jahr, auf das die einmaligen Einkünfte mit zu verteilen sind, keine Einkommensteuerveranlagung, sondern ein Lohnsteuerabzugsverfahren stattgefunden hat.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Geschäftsführer im Angestelltenverhältnis. Im November 1961 wurde er zum Mitglied des Gläubigerausschusses in einem größeren Konkursverfahren bestellt, nachdem er im vorangegangenen Vergleichsverfahren bereits als Mitglied des Gläubigerbeirats mitgewirkt hatte. Das Konkursverfahren endete Anfang März 1967. Durch Beschluß vom 10. März 1967 sprach ihm das Amtsgericht für seine Tätigkeit als Gläubigerausschußmitglied eine Gesamtvergütung von 97 653 DM zu. Hierauf wurden Vorschüsse in Höhe von 54 653 DM angerechnet, die dem Kläger wie folgt zugeflossen waren: in den Jahren 1962 3 000 DM, 1963 10 153 DM, 1964 14 000 DM, 1965 10 000 DM, 1966 15 000 DM und 1967 2 500 DM. Die Abschlußzahlung betrug somit 43 000 DM.
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1967 besteuerte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit (2 500 DM + 43 000 DM) in der Weise, daß er - nach Abzug von 1 200 DM Betriebsausgaben - zur Berechnung der Einkommensteuer antragsgemäß 15 500 DM auf das Jahr 1961 und 28 800 DM auf das Jahr 1967 verteilte.
Der Einspruch des Klägers, mit dem er Einwendungen gegen die Steuerberechnung für 1961 erhob und höhere Betriebsausgaben geltend machte, führte zwar zur Anerkennung weiterer Betriebsausgaben von 1 300 DM (insgesamt also 2 500 DM), insgesamt aber zur Änderung der Steuerfestsetzung zuungunsten des Klägers. Das FA vertrat in der Einspruchsentscheidung den Standpunkt, eine Verteilung der Einkünfte gemäß § 34 Abs. 3 EStG sei nicht möglich, weil die Vergütung für die mehrjährige Tätigkeit als Mitglied des Gläubigerausschusses dem Kläger nicht in einem, sondern in mehreren Veranlagungszeiträumen gewährt worden sei. Es liege somit keine zusammengeballte Zahlung vor. Bei der Abschlußzahlung handele es sich nur um eine nachträgliche Erhöhung des Honorars. Für einen solchen Fall werde die Anwendbarkeit des § 34 Abs. 3 EStG von der Rechtsprechung (zuletzt im Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1972 IV R 8/68, BFHE 105, 255, BStBl II 1972, 529) verneint.
Das FA setzte die Einkommensteuer für 1967 auf 20 458 DM fest. Dagegen wandte sich der Kläger mit der Klage, mit der er beantragte, die Einkommensteuer unter Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG auf 19 658 DM festzusetzen. Bei dieser Berechnung ging er davon aus, daß die Abschlußzahlung von 43 000 DM in Höhe von 15 500 DM auf das Jahr 1961 und in Höhe von 27 500 DM auf das Jahr 1967 zu verteilen sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Sache nach statt (Urteil vom 18. Januar 1974 I 22/73, auszugsweise veröffentlicht in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1974 S. 205 - EFG 1974, 205 -). Es vertrat die Auffassung, daß die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 EStG im Streitfall gegeben seien; es billigte auch die vom Kläger gewählte Verteilung der Abschlußzahlung auf die Jahre 1961 und 1967, und zwar auch der Höhe nach, da sie nicht willkürlich sei. Zur Begründung berief es sich u. a. auch auf das BFH-Urteil vom 30. Juli 1971 VI R 258/68 (BFHE 103, 339, BStBl II 1971, 802).
Die Einkommensteuer, die sich für das Jahr 1961 durch den Ansatz der 15 500 DM ergeben hätte, und den entsprechenden Steuermehrbetrag, der bei der Einkommensteuerveranlagung 1967 hinzuzurechnen war, berechnete das FG wie folgt:
Da im Veranlagungszeitraum 1961 der Kläger nicht veranlagt, sondern nur im Lohnsteuerabzugsverfahren Lohnsteuer einbehalten worden war, führte das FG eine fiktive Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 1961 durch und zog von der sich dabei ergebenden Einkommensteuer die einbehaltene Lohnsteuer ab. Dabei wirkte sich zuungunsten des Klägers aus, daß bei der Abführung der Lohnsteuer im Jahre 1961 irrtümlich die Steuerklasse III 2 angewandt worden war, obwohl der Kläger damals nicht verheiratet war. Statt 3 105 DM Einkommensteuer nach der Grundtabelle waren daher nur 2 436 DM nach der Splitting-Tabelle einbehalten worden. Die vom FG berechnete Einkommensteuer 1967 von 20 327 DM war daher um diese Differenz (3 105 DM abzüglich 2 436 DM = 669 DM) höher als die vom Kläger begehrte Einkommensteuer von 19 658 DM.
Mit der wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Berechnung des Steuererhöhungsbetrages für den Veranlagungszeitraum 1961. Der Kläger meint, zur Berechnung dieses Betrages müßten zwei fiktive Einkommensteuerveranlagungen durchgeführt werden, die eine mit und die andere ohne den Teilbetrag von 15 500 DM. Die Differenz der beiden sich dabei ergebenden Einkommensteuerbeträge sei der Erhöhungsbetrag, der bei der Veranlagung 1967 hinzuzurechnen sei.
Zur Begründung dieser Auffassung trägt der Kläger vor, die Steueriestsetzung für 1961 sei rechtskräftig abgeschlossen. Er habe sogar vom FA einen Bescheid erhalten, wonach die ursprüngliche Lohnsteuernachforderung für 1961 aufgehoben worden sei. Es könne nicht zulässig sein, über § 34 Abs. 3 EStG rechtskräftige Veranlagungen wieder aufzurollen und zu berichtigen. Der Kläger beruft sich u. a. auf das Urteil des Niedersächsischen FG vom 13. März 1958 IV 131/67 (EFG 1958, 277), dem der Leitsatz vorangestellt sei:
"Liegt bei Anwendung der Tarifvergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG 1955 für ein Vorjahr eine Veranlagung vor, so sind bei der gedachten Veranlagung weder Fehler der früheren Veranlagung richtigzustellen noch andere Rechnungsgrößen der früheren Veranlagung, die von der Höhe der Einkünfte oder des Einkommens abhängig sind, zu verändern. Liegt für das Vorjahr noch keine Veranlagung vor, ist die gedachte Veranlagung so vorzunehmen, wie sie nach den für das Vorjahr geltenden Vorschriften hätte durchgeführt werden müssen."
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Die Lohnsteuer sei eine besondere Einkommensteuer, die sich aber von der veranlagten Einkommensteuer im wesentlichen nur durch die Form der Erhebung unterscheide. Im Streitfall sei daher nur eine fiktive Veranlagung für 1961 vorzunehmen, in die die außerordentlichen Einkünfte einzubeziehen seien. Dadurch ergebe sich ein fiktiver Einkommensteuerbetrag. Der andere für die Berechnung des Mehrbetrages erforderliche Einkommensteuerbetrag sei bereits in Form der einbehaltenen Lohnsteuer gegeben. Die Differenz dieser beiden Steuerbeträge ergebe den Steuermehrbetrag für 1961.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Der Senat braucht nicht zu der nach der bisherigen Rechtsprechung des VI. und des erkennenden Senats (vgl. Urteile VI R 258/68 und IV R 8/68) nicht eindeutig zu beantwortenden Frage Stellung zu nehmen, ob das FG dem Kläger für die Abschlußzahlung von 43 000 DM, die Einkünfte aus selbständiger Arbeit darstellen, mit Recht die Steuervergünstigung des § 34 Abs. 3 EStG zugebilligt hat. Denn auch bei Bejahung dieser Frage ist die Revision wegen der begehrten Steuerberechnung unbegründet, und im Falle der Verneinung würde es für eine Abänderung der angefochtenen Vorentscheidung zuungunsten des Klägers an der dafür erforderlichen Revision des FA fehlen. Der Senat hat daher nur über die Steuerberechnung bei Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG zu entscheiden.
2. Zur Frage der Steuerberechnung bei Verteilung der einmaligen Entlohnung auf zurückliegende Jahre, in denen keine Veranlagung stattgefunden hat, sondern Lohnsteuer im Abzugsverfahren einbehalten wurde, hat der VI. Senat im Urteil vom 5. Oktober 1973 VI R 313/70 (BFHE 111, 142, BStBl II 1974, 197) Stellung genommen. Aus der Entscheidung lassen sich folgende Grundsätze entnehmen:
Wird ein Arbeitnehmer zur Einkommensteuer mit Einkünften veranlagt, die eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit darstellen, so ist die Steuer des Zuflußjahres zunächst unter Ausschluß des Teiles dieser Einkünfte festzustellen, der auf andere Jahre zu verteilen ist. Der so errechneten Steuerschuld des Zuflußjahres ist dann die Steuer hinzuzurechnen, um die sich die Einkommensteuer des oder der Verteilungsjahre(s) erhöht haben würde, wenn die verteilten Beträge in diesem oder in diesen Veranlagungszeiträumen besteuert worden wären. Ist der Arbeitnehmer für das Verteilungsjahr noch nicht zur Einkommensteuer veranlagt worden, so sind die Besteuerungsgrundlagen dieses Jahres unabhängig vom Lohnsteuerabzugsverfahren zu ermitteln. Zur Durchführung des § 34 Abs. 3 EStG hat daher eine fiktive Einkommensteuerveranlagung für das oder die Verteilungsjahre zu erfolgen, bei der die Arbeitnehmer nicht auf die dem Lohnsteuerabzug zugrunde liegenden Besteuerungsmerkmale verwiesen werden dürfen. Die Veranlagung ist nur insoweit eine rein gedachte und rechnerische, als sie in der Regel die Steuer des Verteilungsjahres nicht berührt. Die Steuer des Verteilungsjahres wird jedenfalls dann nicht berührt, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Einkommensteuerveranlagung des Verteilungsjahres fehlen, es also bei der einbehaltenen Lohnsteuer verbleiben muß. Bei der fiktiven Einkommensteuerveranlagung für das Verteilungsjahr sind alle für die Besteuerung beachtlichen Umstände zu berücksichtigen, ohne daß eine Bindung an die Berechnungsgrundlagen im Lohnsteuerabzugsverfahren bestünde.
Nach diesen Grundsätzen, die auch in der Literatur Zustimmung gefunden haben (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 34 EStG Anm. 29, mit weiteren Nachweisen; Kayser, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Anmerkungen, Einkommensteuergesetz, § 34 Abs. 3 - ab 1955 -, Rechtsspruch 25, und im Forkel-Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Anm. 75 zu § 34), ist es nicht zweifelhaft, daß der Steuerbetrag, um den sich die Einkommensteuer des Verteilungsjahres erhöht haben würde, wenn die betreffenden Teileinkünfte in diesem Veranlagungszeitraum besteuert worden wären, nur die Differenz zwischen der für dieses Jahr tatsächlich einbehaltenen Lohnsteuer und der fiktiven Einkommensteuer aufgrund der fiktiven Einkommensteuerveranlagung sein kann, bei der diese fiktive Einkommensteuer ohne Bindung an das Lohnsteuerabzugsverfahren selbständig zu berechnen ist. Davon ist auch das FG bei seiner Steuerberechnung zutreffend ausgegangen. Der Kläger meint, bei der Berechnung des Steuerbetrages, um den sich die Einkommensteuer des Verteilungsjahres erhöht haben würde, müsse die einbehaltene Lohnsteuer außer Betracht bleiben, der Steuerbetrag müsse sich vielmehr aus der Differenz zweier gedachter Veranlagungen ergeben, von denen die eine mit und die andere ohne die betreffenden Teileinkünfte zu erfolgen habe. Dies würde aber bedeuten, daß die Besteuerung des Verteilungsjahres trotz Bestandskraft im Rahmen des § 34 Abs. 3 EStG wieder aufgerollt und geändert werden könnte. Es würde also gerade das eintreten, wogegen sich der Kläger wendet. Nur dann, wenn die einbehaltene Lohnsteuer Ausgangspunkt der Berechnung des Erhöhungsbetrages ist, bleibt die Steuer für das Verteilungsjahr unberührt. Daß sich dadurch Fehler bei der Berechnung der tatsächlich einbehaltenen Steuer des Verteilungsjahres im Rahmen des § 34 Abs. 3 EStG zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen auswirken können, liegt in der Natur eines solchen Mehrbetrages, der sich aus der Differenz einer tatsächlich einbehaltenen Steuer und einer fiktiv errechneten Steuer ergibt. Zur Ausschaltung derartiger Auswirkungen kann man aber bei der Berechnung des Mehr- oder Erhöhungsbetrages nicht Veranlagungen und Steuern zugrunde legen, die es tatsächlich nicht gegeben hat. Ebensowenig kann man bei der Berechnung der Einkommensteuer nach der fiktiven Veranlagung Fehler, die bei der Einbehaltung der Lohnsteuer unterlaufen sind, übernehmen. Die Meinung des Klägers, das von ihm zitierte Urteil des Niedersächsischen FG stütze seine Auffassung, verkennt den Gehalt dieser Entscheidung, die von der vom Senat vertretenen Auffassung nicht abweicht.
Die Frage bei der Berechnung des Steuerbetrages, um den sich die Einkommensteuer des Verteilungsjahres erhöht haben würde, lautet demnach: Um welchen Betrag würde sich die als Lohnsteuer tatsächlich einbehaltene Steuer erhöhen, wenn der Steuerpflichtige im Verteilungsjahr mit den betreffenden Teilen seiner einmaligen Einkünfte veranlagt worden wäre? Für den Fall, daß eine Veranlagung im Verteilungsjahr tatsächlich stattgefunden hätte, könnte übrigens insoweit nichts anderes gelten. Auch in diesem Falle müßte die tatsächliche - wenn auch nach einer falschen Steuerklasse - festgesetzte Einkommensteuer der richtig berechneten Einkommensteuer nach der fiktiven Veranlagung gegenübergestellt werden.
Die Revision des Klägers ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 72996 |
BStBl II 1979, 136 |
BFHE 1979, 413 |