Leitsatz (amtlich)

Wird ein Arbeitnehmer zur Einkommensteuer mit Einkünften veranlagt, die eine Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit darstellen, so ist die Steuer des Zuflußjahres zunächst unter Ausschluß dieser Einkünfte festzustellen und danach um die Steuer zu erhöhen, die sich bei ihrer steuerlichen Berücksichtigung im Verteilungsjahr ergeben hätte. Soweit der Arbeitnehmer für das Verteilungsjahr noch nicht zur Einkommensteuer veranlagt worden ist, sind dabei die Besteuerungsgrundlagen unabhängig vom Lohnsteuerabzugsverfahren zu ermitteln.

 

Normenkette

EStG § 34 Abs. 3, §§ 38-39; EStDV 1965 § 71 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Betriebsleiter. Seit 1955 erhält er neben seinem Gehalt und sonstigen Bezügen eine gewinnunabhängige Tantieme von jährlich 9 000 DM. Der Zufluß erfolgt seit 1957 im Wege der Verrechnung mit einem Wohnungsbaudarlehen, das der Kläger von seiner Arbeitgeberin erhalten hat. Die Gutschrift wird bei der Erstellung der jeweiligen Jahresbilanz der Arbeitgeberin vorgenommen, also im allgemeinen erst im übernächsten Jahr nach dem Zeitraum, für den der Tantiemeanspruch besteht. Im Streitjahr 1961 sind dem Kläger die Tantiemen für 1958 und 1959 gutgeschrieben und versteuert worden. Der Kläger begehrte die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG in der Weise, daß die Tantieme 1958 in Höhe von 9 000 DM dem Einkommen 1960 zugerechnet und entsprechend die Steuer ermittelt wird. Eine Veranlagung für 1960 hat nicht stattgefunden. Der Kläger hat zwar eine Einkommensteuererklärung für 1960 eingereicht und neben seinen positiven Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit negative aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 9 835 DM erklärt. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hat den Antrag auf Veranlagung wegen berechtigten Interesses aber als verspätet abgelehnt. Er versagte auch bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 3 EStG.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das FG führte aus, daß es sich bei den regelmäßig an den Kläger gezahlten Tantiemen nicht um außerordentliche Einkünfte handele. Der BFH habe in diesem Sinne bei laufend ausgezahlten gewinnabhängigen Tantiemen entschieden (Urteil vom 30. August 1966 VI 211/65, BFHE 86, 512, BStBl III 1966, 545). Der Fall des Klägers weise aber keine wesentlichen Unterschiede im Sachverhalt auf. Das FG war außerdem der Ansicht, daß § 34 Abs. 3 EStG auch deshalb nicht anwendbar sei, weil § 34 Abs. 3 EStG eine Tarifvorschrift sei und daher eine Wiederaufrollung der Veranlagung von Jahren, auf die die Einkünfte rein rechnerisch zu verteilen wären, nicht erfolgen könne. Es sei zwar in diesem Zusammenhang noch nicht abschließend geklärt, wie zu verfahren sei, wenn Veranlagungen für die entscheidenden Jahre überhaupt nicht vorlägen. Eine "gedachte" Veranlagung sei aber nur zulässig, wenn bisher eine steuerliche Erfassung der Einkünfte unterblieben sei. In Lohnsteuerfällen sei dagegen eine der Veranlagung gleichzusetzende Grundlage für die Zurechnung der außerordentlichen Einkünfte gegeben. Es sei daher nicht gerechtfertigt, dem Kläger durch eine gedachte Veranlagung die Möglichkeit zu verschaffen, bisher Versäumtes nachzuholen. Dazu kämen praktische Schwierigkeiten, die im vorliegenden Fall wegen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung besonders deutlich zu erkennen seien. Gehe man aber von dem Lohnsteuerabzug und den diesem entsprechenden Einkünften des Klägers in 1960 aus, dann würde er sich bei Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG im steuerlichen Gesamtergebnis nicht besser, sondern schlechter stellen.

Der Kläger rügt mit der Revision unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 11. Juni 1970 VI R 338/67 (BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639) falsche Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG. Unabhängig von der steuerlichen Auswirkung auf das Streitjahr sei er an einer grundsätzlichen Entscheidung über die Besteuerung seiner Tantiemen interessiert, weil diese Frage auch für künftige Veranlagungen Bedeutung habe. Er beantragt, die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG auf die Tantieme 1958 zuzulassen.

 

Entscheidungsgründe

Auf die vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision des Klägers war das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Dem FG ist zwar zu folgen, daß die Tantiemen 1958 und 1959 jeweils nur ein einzelnes Jahr betreffen. Wie der Senat aber mit Urteil VI R 338/67, auf das sich der Kläger beruft, entschieden hat, schließt das die Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG nicht aus. Da der Zufluß im Fall des Klägers im Streitjahr zwei Jahre, nämlich 1958 und 1959, betrifft, kann von einer Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit und von einer Zusammenballung von Einkünften ausgegangen werden. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß diese Form der Entlohnung willkürlich erfolgte. Nach den Feststellungen des FG-Urteils, an die der Senat gebunden ist (§ 118 Abs. 2 FGO), wurden die Tantiemen im Wege der Verrechnung jeweils bei Erstellung der Jahresbilanz der Firma M. gutgeschrieben, und zwar ungeachtet ihrer Gewinnunabhängigkeit. Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, daß bei der Sonderberechnung der Einkommensteuer 1961 für den auf die Tantieme 1958 entfallenden Teil der Einkünfte auf den Lohnsteuerabzug 1960 abzustellen sei. Zur Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG war zunächst für das Streitjahr 1961 die Einkommensteuerschuld zu ermitteln, die sich ohne Hinzurechnung der Tantieme 1958 ergab. Der so errechneten Steuerschuld war dann die Steuer hinzuzurechnen, um die sich die Einkommensteuer des Verteilungsjahres 1960 erhöht haben würde, wenn die Tantieme in diesem Veranlagungszeitraum besteuert worden wäre. Dabei ist zwar davon auszugehen, daß § 34 Abs. 3 EStG nur eine Tarifvorschrift und keine Einkünfte- oder Einkommensermittlungsbestimmung ist, so daß die Einkommensteuerveranlagung des Verteilungsjahres nicht wieder aufgerollt werden kann (BFH-Urteile vom 28. Februar 1958 VI 155/56 U, BFHE 66, 435, BStBl III 1958, 169, und vom 9. März 1961 IV 311/58 U, BFHE 73, 722, BStBl III 1961, 530). Diese Grundsätze können hier aber deshalb nicht uneingeschränkt angewandt werden, weil der Kläger für das Jahr 1960 nicht zur Einkommensteuer veranlagt wurde.

Der Senat hat wiederholt die Zweigleisigkeit des Lohnsteuerabzugsverfahrens (einschließlich der Eintragung von Freibeträgen auf der Lohnsteuerkarte und des Lohnsteuer-Jahresausgleichs) und des Veranlagungsverfahrens betont (Urteil vom 21. April 1966 VI 262/65, BFHE 86, 137, BStBl III 1966, 396). Das muß auch bei Anwendung des § 34 Abs. 3 EStG gelten. Zur Durchführung des § 34 Abs. 3 EStG hat daher eine Einkommensteuerveranlagung für das Verteilungsjahr zu erfolgen, bei der die Arbeitnehmer nicht auf die dem Lohnsteuerabzug zugrunde liegenden Besteuerungsmerkmale verwiesen werden dürfen. Die Veranlagung ist nur insoweit eine rein rechnerische und gedachte, als sie in der Regel die Steuer des Verteilungsjahres nicht berührt. Durch § 34 Abs. 3 EStG wird aber nicht ausgeschlossen, daß auch mit steuerlicher Auswirkung für das Verteilungsjahr eine bisher unterlassene Veranlagung nachgeholt, eine noch nicht rechtskräftige Veranlagung geändert oder eine rechtskräftige Veranlagung berichtigt werden kann, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen. In jedem Fall hat die Besteuerung der Tantieme aber im Zuflußjahr zu erfolgen (BFH-Urteil vom 25. August 1955 IV 426/53 U, BFHE 61, 462, BStBl III 1955, 378).

Soweit das FG bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, daß es nicht gerechtfertigt sei, die vom Kläger versäumte Antragsveranlagung 1960 auf dem Weg über § 34 Abs. 3 EStG nachzuholen, ist auf das BFH-Urteil vom 3. April 1973 VIII R 19/73 (BFHE 109, 130, BStBl II 1973, 484) hinzuweisen, mit dem die Rechtsungültigkeit des § 71 Abs. 2 EStDV 1965 festgestellt wurde. Auf dieser Bestimmung beruhte aber die Ablehnung der vom Kläger beantragten Einkommensteuerveranlagung 1960 durch das FA.

 

Fundstellen

Haufe-Index 70765

BStBl II 1974, 197

BFHE 1974, 142

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