Leitsatz (amtlich)
Schulden aus hinterzogenen Steuern können mangels wirtschaftlicher Belastung an Stichtagen vor Aufdeckung der Steuerhinterziehung nicht abgezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn bei dem Steuerschuldner wegen Unregelmäßigkeiten schon einmal eine Steuerfahndungsprüfung durchgeführt worden und damit zu rechnen ist, daß weitere steueraufsichtliche Maßnahmen erforderlich werden, die dazu führen könnten, daß die Hinterziehungen aufgedeckt werden.
Normenkette
BewG i.d.F. vor dem ÄndG-BewG 1963 § 62; BewDV i.d.F. vor dem ÄndG-BewG 1963 § 53a
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb einen Handel mit Holz, Furnieren und Möbeln. Für die Zeit ab II/1948 konnte er Aufzeichnungen über Warenbestand, Forderungen und Schulden seines Gewerbebetriebes nicht vorlegen, weil ihm seine gesamten Buchführungsunterlagen abhanden gekommen seien. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) stellte die steuerlichen Verhältnisse des Klägers für die Zeit von II/1948 bis 1955 durch Steuerfahndungsprüfungen fest.
Am 17. Dezember 1954 teilte der Kläger dem FA mit, er habe sein Gewerbe am 16. Dezember 1954 abgemeldet. Dem FA wurden aber später gewerbliche Beziehungen des Klägers in den Jahren nach 1954 zu Liechtensteiner Firmen bekannt. Deshalb führte es beim Kläger 1961 eine weitere Steuerfahndungsprüfung durch. Bei dieser Prüfung wurden u. a. Unterlagen gefunden, denen zufolge der Kläger unter dem 4. Februar 1958 das auf fremdem Grund und Boden errichtete Lagergebäude sowie die darin lagernden Furniere an die Firma EV verkauft hatte. Zugleich hatte er im Auftrag des Käufers die Verwaltung und den Verkauf des Lagers und der lagernden Waren übernommen. Eine von der EV unter dem 18. Februar 1958 erteilte Vollmacht berechtigte den Kläger auch zum Einkauf von Hölzern, Furnieren und Möbeln.
Aufgrund dieses Sachverhalts und mangels vorgelegter Unterlagen und Erklärungen stellte das FA den Einheitswert des Betriebsvermögens des Klägers zum 1. Januar 1960 auf dem Wege der Schätzung mit 30 000 DM fest.
Der Einspruch war im Ergebnis erfolglos. Im Rahmen der Einspruchsentscheidung erhöhte das FA den Wert der Waren um 7 000 DM, anerkannte aber weitere abzugsfähige Gewerbesteuerschulden in Höhe von 7 099,95 DM, so daß sich unverändert ein Einheitswert von 30 000 DM ergab.
Auf die Klage hob das FG den Feststellungsbescheid vom 1. Januar 1960 auf und stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens mit 0 DM fest. Es zog dabei die am 1. Januar 1960 bestehenden betrieblichen Steuerschulden in voller Höhe vom Rohvermögen ab.
Die zugelassene Revision des FA rügt, das FG setze sich mit seiner Rechtsauffassung, die vom Kläger hinterzogenen Steuern stellten aufgrund der besonderen Verhältnisse seines Falles schon vor Aufdeckung der Hinterziehung eine wirtschaftliche Belastung dar, in Widerspruch zur Rechtsprechung des RFH und des BFH. Bei objektiver Würdigung der Verhältnisse habe vor Aufdeckung der konkreten hinterzogenen Steuerbeträge eine wirtschaftliche Belastung nicht bestanden. Die Möglichkeit der Aufdeckung zu einem späteren Zeitpunkt im Hinblick darauf, daß der Kläger wegen steuerlicher Unregelmäßigkeiten dem FA schon bekannt gewesen sei, sei nicht ausreichend.
Von der Rechtsprechung des BFH ausgehend, hätte das FG die Frage nicht offenlassen dürfen, ob die vom Kläger am 1. Januar 1960 geschuldeten Steuern vorsätzlich verkürzt waren; es hätte dies im einzelnen prüfen und dabei die Grundsätze des Strafverfahrensrechts beachten müssen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision war die Vorentscheidung aufzuheben.
1. Nach § 62 BewG in der für den Feststellungszeitpunkt 1960 maßgebenden Fassung vor dem Gesetz zur Änderung des BewG vom 10. August 1963 - ÄndG-BewG 1963 - (BGBl I 1963, 676, BStBl I 1963, 608) sind zur Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens vom betrieblichen Rohvermögen die Schulden abzuziehen, die mit der Gesamtheit oder mit einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Zu diesen Schulden gehören auch die betrieblichen Steuerschulden. § 53 a BewDV i. d. F. vor dem ÄndG-BewG 1963 bestimmte hierzu ergänzend, daß Schulden aus laufend veranlagten Steuern nur dann abgezogen werden können, wenn sie spätestens im Feststellungszeitpunkt fällig geworden sind oder für einen Zeitraum erhoben werden, der spätestens im Feststellungszeitpunkt geendet hat. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist § 53 a BewDV in vollem Umfang rechtsgültig (vgl. Entscheidung vom 7. März 1958 III 166/56 U, BFHE 66, 568, BStBl III 1958, 220, und vom 17. April 1964 III 340/61 U, BFHE 79, 405, BStBl III 1964, 380). Der Senat teilt die Bedenken des FG nicht, die es gegen die Rechtsgültigkeit des § 53 a BewDV im Hinblick auf das Antragserfordernis für den Abzug der Steuerschulden erhoben hat. Denn durch den Antrag soll nur bewirkt werden, daß die Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen nicht auf Steuerschulden erstreckt zu werden braucht, so lange der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht bei der Sachaufklärung (vgl. § 171 AO) die Steuerschulden nicht geltend macht.
Das FG hat festgestellt, daß die zum 1. Januar 1960 bestehenden betrieblichen Steuerschulden des Klägers in Höhe von 58 876 DM sämtlich für einen Zeitraum erhoben wurden, der spätestens an diesem Feststellungszeitpunkt geendet hat. Es hat jedoch zu Unrecht dahinstehen lassen, ob diese Schulden, die in dieser Höhe erst nach der 1961 durchgeführten Steuerfahndungsprüfung festgestellt werden konnten, wie das FA behauptet, in Höhe eines Betrages von 43 320 DM auf Steuerhinterziehungen beruhen oder nicht.
2. Nach der Rechtsprechung des Senats können solche Steuerschulden nicht abgezogen werden, für die am maßgebenden Feststellungszeitpunkt zwar formell alle Voraussetzungen für den Abzug gegeben sind, die aber für den Steuerschuldner deshalb keine wirtschaftliche Last bedeuten, weil er mit deren Einforderung nicht zu rechnen brauchte. Dieser Sachverhalt ist bei Steuernachholungen gegeben, die dem Steuergläubiger erst durch Aufdeckung einer Steuerhinterziehung bekannt werden (BFH-Entscheidung vom 28. April 1972 III R 111/71, BFHE 105, 405, BStBl II 1972, 524). Die Belastung mit Schulden aus hinterzogenen Steuern unterscheidet sich von der Belastung mit Steuerschulden, die aufgrund von Mißverständnissen oder einer der Rechtslage widersprechenden Rechtsauffassung des Steuerpflichtigen erst nachträglich festgestellt werden dadurch, daß im ersteren Fall der Steuertatbestand bewußt und gewollt verschleiert wird, während bei Nachholungen, die auf unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen Steuerpflichtigem und Finanzverwaltung beruhen, die Sachverhaltselemente des Steuertatbestandes nicht unterdrückt werden. Der Steuerschuldner kann aber immer damit rechnen, daß seine Rechtsauffassung zu bestimmten Steuerrechtsfragen möglicherweise nicht von Bestand sein wird; er braucht dagegen nicht damit zu rechnen, daß Steuertatbestände, die er verschleiert, dem Steuergläubiger bekannt werden.
Der Senat folgt dem FG nicht in der Auffassung, bei dem Kläger hätten besondere Verhältnisse vorgelegen, die, obwohl ein Teil der am 1. Januar 1960 geschuldeten Steuern möglicherweise vorsätzlich verkürzt war, für den Kläger schon vor Aufdeckung dieser Verkürzung eine wirtschaftliche Last bedeuteten. Dies soll nach Auffassung des FG u. a. darin begründet sein, daß der Kläger schon vor 1960 die Aufmerksamkeit der Finanzverwaltung in einer Weise erregt habe, daß seine Verhältnisse durch die Steuerfahndung überprüft worden seien. Hinzu komme, daß der Kläger erklärt habe, er habe seinen gewerblichen Betrieb 1954 eingestellt und daß schon vor 1960 durch die Finanzbehörden festgestellt worden sei, er habe auch noch nach dem angeblichen Zeitpunkt der Aufgabe seiner gewerblichen Tätigkeit tatsächlich weiterhin ein Gewerbe ausgeübt. Der Senat hat dagegen in seiner Entscheidung III R 111/71 die Auffassung vertreten, die potentielle Möglichkeit einer Aufdeckung von Steuerhinterziehungen zu einem späteren Zeitpunkt genüge nicht, um eine wirtschaftliche Belastung mit hinterzogenen Steuerschulden schon vor der Aufdeckung anzuerkennen. An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Der Senat hat stets betont, daß die Versagung des Abzugs hinterzogener Steuern an Stichtagen vor dem Bekanntwerden von Steuerhinterziehungen nicht eine strafähnliche Sanktion ist. Sie beruht allein auf der Erwägung, daß derjenige, der vorsätzlich Steuern verkürzt, in Kenntnis der entstandenen Steuerschuld den Tatbestand verheimlicht, an den das Gesetz die Steuerschuld knüpft. Er kann deshalb nicht, ohne sich in Widerspruch zu der durch sein Handeln geschaffenen objektiven Sachlage zu setzen, nach Aufdeckung der Hinterziehung geltend machen, er habe schon an Stichtagen vor deren Aufdeckung damit rechnen müssen oder können, daß er die verkürzten Steuern entrichten müsse. Dies gilt um so mehr, wenn gegen einen Steuerpflichtigen schon wegen früherer Unregelmäßigkeiten Maßnahmen der Steueraufsicht ergriffen wurden und er im Hinblick auf die gegebenen Verhältnisse mit weiteren Aufsichtsmaßnahmen rechnen kann. Wenn er trotz dieser Gegebenheit nicht zur Selbstanzeige greift, so spricht alles dafür, daß er aufgrund des von ihm geschaffenen objektiven Sachverhalts mit einer Aufdeckung weiterer Unregelmäßigkeiten nicht rechnet. Dies bedeutet aber, daß aus dem objektiven Sachverhalt und aus seinem äußeren Verhalten nur der Schluß gezogen werden kann, er habe sich auch subjektiv mit den hinterzogenen Steuerschulden wirtschaftlich nicht belastet gefühlt.
Der Rechtsauffassung des FG steht auch entgegen, daß kein brauchbarer Maßstab erkennbar ist, nach dem die Gefahr der Aufdeckung noch nicht bekannter Steuerhinterziehungen gemessen werden könnte, um eine alsbaldige Aufdeckung annehmen zu können, die es rechtfertigen könnte, der Schuldner sei auch wirtschaftlich mit Schulden aus demnächst bekanntwerdenden Steuerhinterziehungen schon vor deren Aufdeckung belastet.
3. Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung als der Senat ausgegangen. Seine Entscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, weil das FG, von seiner Rechtsauffassung ausgehend, keine Feststellungen zu treffen brauchte, in welcher Höhe die am 1. Januar 1960 bestehenden betrieblichen Steuerschulden des Klägers als vorsätzlich verkürzt angesehen werden müssen. Sie geht deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO), um diese Feststellungen nachzuholen.
Fundstellen
Haufe-Index 71695 |
BStBl II 1976, 87 |
BFHE 1976, 263 |