Tätigkeitsstätte eines Leiharbeitnehmers

Bei einem unbefristeten Leiharbeitsverhältnis kommt eine dauerhafte Zuordnung des Leiharbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG beim Entleiher regelmäßig nicht in Betracht.

Hintergrund: Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte eines Leiharbeitnehmers

Leih- oder Zeitarbeitnehmer stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Entleiher, sondern zum Verleiher. Fraglich war im Urteilsfall, ob ein Leiharbeitnehmer seine Fahrten zur jeweiligen Arbeitsstelle nach Reisekostengrundsätzen oder lediglich mit der Entfernungspauschale (Pendlerpauschale) geltend machen kann.

Sachverhalt: Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis

Der Kläger war seit dem 23.4.2014 bei einer Zeitarbeitsfirma (Z) angestellt. Das zunächst bis zum 27.11.2015 befristete Arbeitsverhältnis wurde ab dem 28.11.2015 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt und endete am 31.8.2018.

Während dieses Arbeitsverhältnisses war der Kläger im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG bei verschiedenen Entleihfirmen tätig, darunter auch vom 1.4.2015 bis zum 31.8.2018 bei der Entleiherin E. Die Überlassung des Klägers an den jeweiligen Entleiher erfolgte stets vorübergehend. Ab 1.9.2018 war der Kläger bei der Entleiherin E fest angestellt.

  • In seiner Steuererklärung für das Streitjahr 2017 machte der Kläger Fahrtkosten zwischen Wohnung und der Tätigkeitsstätte der E für das gesamte Kalenderjahr nach Reisekostengrundsätzen geltend. Das Finanzamt (FA) berücksichtigte die geltend gemachten Fahrtkosten antragsgemäß.
  • In seiner Steuererklärung für das Streitjahr 2018 machte der Kläger Fahrtkosten zwischen Wohnung und der Tätigkeitsstätte bis zum 31.8.2018 wiederum nach Reisekostengrundsätzen und ab dem 1.9.2018 mit der Entfernungspauschale geltend. Das FA lehnte die Anerkennung der Fahrtkosten nach Reisekostengrundsätzen ab und berücksichtigte diese im Einkommensteuerbescheid für 2018 nur in Höhe der Entfernungspauschale.
  • Gestützt auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO änderte das FA auch die Steuerfestsetzung für 2017 und berücksichtigte die Fahrtkosten ebenfalls nur in Höhe der Entfernungspauschale.
  • Die gegen beide Einkommensteuerbescheide nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG ab.

Entscheidung: Fahrten zur Tätigkeitsstätte können nach Reisekostengrundsätzen berücksichtigt werden

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage. Das FG hat das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte zu Unrecht bejaht. Der Kläger kann die streitigen Aufwendungen für die beruflich veranlassten Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte nach Reisekostengrundsätzen geltend machen.

Legaldefinition der ersten Tätigkeitsstätte

Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

Die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer ersten Tätigkeitsstätte wird nach § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht.

Zuordnung im Fall der Arbeitnehmerüberlassung

Im Fall der Arbeitnehmerüberlassung ist ausschließlich auf die Zuordnungsentscheidung des Verleihers abzustellen, da maßgebliches Arbeitsverhältnis für die Frage, ob der Arbeitnehmer einer betrieblichen Einrichtung i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG dauerhaft zugeordnet ist, das zwischen dem Arbeitgeber (Verleiher) und dem (Leih-)Arbeitnehmer bestehende Arbeitsverhältnis (sog. Leiharbeitsverhältnis) ist. Für die Zuordnung sind daher ausschließlich die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zwischen dem Verleiher und dem (Leih-)Arbeitnehmer maßgebend.

Keine dauerhafte Zuordnung

Von einer dauerhaften Zuordnung ist insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer

  • unbefristet (1. Alternative),
  • für die Dauer des Dienstverhältnisses (2. Alternative) oder
  • über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus (3. Alternative)

an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.

Eine Zuordnung ist unbefristet i. S. d. § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt.

Bei einem Leiharbeitsverhältnis kommt eine unbefristete Zuordnung auf der Grundlage des AÜG regelmäßig nicht in Betracht. So verbot schon § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der bis zum 31.3.2017 geltenden Fassung die mehr als vorübergehende und damit die unbefristete Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher. Nach der seit dem 1.4.2017 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1b AÜG darf der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer demselben Entleiher grundsätzlich nicht länger als 18 Monate überlassen. Scheidet damit eine unbefristete Überlassung des Leiharbeitnehmers an den Entleiher von Gesetzes wegen aus, gilt dies gleichermaßen für die damit zusammenhängende Zuordnung des Leiharbeitnehmers an eine Tätigkeitsstätte des Entleihers.

Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt. Diese Fallgruppe kann sich ausschließlich auf ein – hier in den Streitjahren nicht vorliegendes – befristetes (Leih-)Arbeitsverhältnis beziehen.

Auch keine unbefristete Zuordnung nach Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis

Ändern sich die rechtlichen oder tatsächlichen Umstände des Arbeitsverhältnisses, kann regelmäßig unterstellt werden, dass eine neue Zuordnungsentscheidung vom Arbeitgeber getroffen wird. Eine derartige Veränderung liegt grundsätzlich im Fall einer Umwandlung eines befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vor. Denn bei einem befristeten Arbeitsverhältnis war zunächst nur eine befristete Zuordnung (maximal für die Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses) an die Tätigkeitsstätte möglich. Ab dem Zeitpunkt der Entfristung des Arbeitsverhältnisses kann nunmehr auch eine unbefristete Zuordnung an eine Tätigkeitsstätte erfolgen.

Zutreffend ist das FG im Urteilsfall davon ausgegangen, dass mit der Änderung des befristeten Leiharbeitsverhältnisses in ein unbefristetes zum 28.11.2015 eine wesentliche Änderung des maßgeblichen Arbeitsverhältnisses eingetreten ist, welche eine Neubeurteilung der Zuordnungsentscheidung zu diesem Zeitpunkt erforderte.

Zu Unrecht ist die Vorinstanz jedoch aufgrund der Entfristung des Leiharbeitsverhältnisses und dem Umstand, dass die Überlassung an die Entleiherin vorübergehend erfolgte, von einer ab diesem Zeitpunkt unbefristeten Zuordnung ausgegangen. Einer unbefristeten Zuordnung stand bereits die zu diesem Zeitpunkt noch anzuwendende Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der bis zum 31.3.2017 geltenden Fassung entgegen. Denn diese erlaubte lediglich eine vorübergehende und gerade keine unbefristete Überlassung.

Entsprechend dieser gesetzlichen Vorgaben sahen die jeweiligen streitgegenständlichen Überlassungsverträge nur eine vorübergehende Überlassung vor. Die vom FG gleichwohl vorgenommene Gleichsetzung einer vorübergehenden mit einer unbefristeten Zuordnung ist damit nicht zu vereinbaren.

BFH, Urteil v. 17.6.2025, VI R 22/23; veröffentlicht am 2.10.2025

Alle am 2.10.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen




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