Gewinnentstehung bei einer erteilten Restschuldbefreiung

Wird die Restschuldbefreiung erteilt, sind dadurch wegfallende betriebliche Verbindlichkeiten als Ertrag zu erfassen. Dabei stellt sich die Frage, ob bei einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe die steuerliche Gewinnrealisierung grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe zurückwirkt oder ob sie erst im Zeitpunkt der wirksamen Erteilung der Restschuldbefreiung stattfindet. 

Diese Frage kann z. B. dann von Bedeutung sein, wenn sich in den Jahren nach der Betriebsveräußerung- oder aufgabe Verlustabzugsbeträge nach § 10d EStG steuermindernd ausgewirkt haben.

Wirkung der Restschuldbefreiung

Im Insolvenzverfahren können natürliche Personen als Schuldner einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, um nach einer Wohlverhaltensperiode von 6 (bzw. 3 oder 5) Jahren die Befreiung von bislang gegenüber den Insolvenzgläubigern nicht erfüllten Verbindlichkeiten zu erlangen. Durch den rechtskräftigen Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung werden die Verbindlichkeiten zu erfüllbaren, aber nicht erzwingbaren Verbindlichkeiten und stellen für den Schuldner demnach grundsätzlich keine wirtschaftliche Belastung mehr dar.

Die Erteilung der Restschuldbefreiung wirkt faktisch ähnlich wie ein Forderungsverzicht der Gläubiger und führt bei einem Schuldner, der vor der Eröffnung des Insolvenzvefahrens einen Geschäftsbetrieb geführt hat, hinsichtlich der zum Betrieb gehörenden Verbindlichkeiten zu einer Betriebsvermögensmehrung, die grundsätzlich einen außerordentlichen Ertrag darstellt. 

Beispiel: Wegfall betrieblicher Schulden im Rahmen einer Restschuldbefreiung

A stellte seinen Betrieb  im November 2008 ein. Zudem wurde im Januar 2009 über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Während des Insolvenzverahrens gingen er und seine Ehefrau (ab 2009 verheiratet) ausschließlich einer nichtselbstständigen Tätigkeit nach. Da das Finanzamt zum 31.12.2008 einen verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer von 1.100.000 EUR feststellte (ausschließlich Verluste aus der gewerblichen Tätigkeit), wurde der positive Gesamtbetrag der Einkünfte der Jahre 2009 bis 2014 mit dem Verlustvortrag verrechnet, so dass alle Steuerfestsetzungen zu Steuererstattungen führten. Im Februar 2015 wurde A die Restschuldbefreiung erteilt. Die Summe der anerkannten betrieblichen Verbindlichkeiten betrug zu diesem Zeitpunkt noch 1.200.000 EUR. 

Würde hier der außerordentliche Ertrag auf das Jahr der Betriebsaufgabe (2008, vor der Insolvenz) zurückwirken, wäre der verbleibende Verlustvortrag zum 31.12.2008 komplett aufgebraucht, was bedeuten könnte, dass A die Steuererstattungen von 2009-2014 (zusätzlich auch die Ehefrau) wieder zurückzahlen muss. Dies erscheint aber mit der Zielsetzung der Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung nicht vereinbar zu sein, wenn der gerade erst befreiten Schuldner wieder in akute Zahlungsschwierigkeiten gebracht wird.

BFH zum späteren Erlass fortgeführter Betriebsschulden und FG Münster zur Restschuldbefreiung

Wird eine Verbindlichkeit, die bei Veräußerung oder Aufgabe eines Gewerbebetriebs im Betriebsvermögen verbleibt, später erlassen, so führt dieser Vorgang rückwirkend zu einer Erhöhung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns (BFH, Urteil v. 6.3.1997, IV R 47/95, BStBl 1997 II S. 509), was regelmäßig eine Korrektur des Steuerbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur Folge hat. Hierzu passend ist das FG Münster aktuell auch bei einer Restschuldbefreiung der Auffassung (Urteil v. 21.7.2016, 9 K 3457/15 E, F), dass sich diese nicht auf die Besteuerungsgrundlagen des Jahres der Erteilung auswirkt, sondern der Gewinn dem Jahr der Betriebsaufgabe i. S. d. § 16 EStG zuzuordnen ist.

Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen zwar regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz gelte jedoch nur, als sich nicht aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen ergibt, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung steuerlicher Rechtsfolgen führt. Eine solche Rechtslage sei insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an einen einmaligen Vorgang anknüpfen, und bei denen nachträgliche Änderungen nicht in einer Folgebilanz oder nach den Grundsätzen des Zuflussprinzips in einem späteren Veranlagungszeitraum berücksichtigt werden können.

Durch die Rückwirkung solle eine sachgerechte (Einmal-) Besteuerung nach Maßgabe des einschlägigen Besteuerungstatbestandes erfolgen. Von einer derartigen Rückwirkung gehe der BFH auch in Bezug auf späteren Erlass fortgeführter Betriebsschulden nach einer Betriebsaufgabe aus. Die Restschuldbefreiung sei wirtschaftlich gesehen, mit einem Erlass der fortgeführten Betriebsschulden vergleichbar.

Gegen die Entscheidung des FG Münster läuft ein Revisionsverfahren vor dem BFH (IX R 30/16), welches es abzuwarten gilt. 

Praxis-Tipp: Auf BMF-Schreiben berufen

Die Finanzverwaltung vertritt dagegen die Auffassung (BMF, Schreiben v. 22.12.2009, BStBl 2010 I S. 18), dass der entstandene Gewinn kein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt. Die Gewinnrealisierung findet danach erst im Zeitpunkt der wirksamen Erteilung der Restschuldbefreiung statt und führt in Fällen vorheriger Betriebsveräußerung oder -aufgabe zu nachträglichen betrieblichen Einkünften.

Zusätzlich wurde in diesem Zusammenhang geregelt, dass für den Gewinn auf Antrag ein Erlass von Steuerbeträgen aus sachlichen Billigkeitsgründen (BMF, Schreiben v. 27.3.2003, BStBl 2003 I S. 240 zur ertragsteuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen) möglich ist. Rn. 2 Satz 2 des BMF-Schreibens v. 27.3.2003, das lediglich die Begünstigung einer unternehmensbezogenen Sanierung vorsieht, ist in den Fällen der Restschuldbefreiung nicht anzuwenden. Insoweit lässt die Finanzverwaltung eine unternehmerbezogene Sanierung zu. Um eine Doppelbegünstigung zu vermeiden, müssen aber vor einem Erlass noch vorhandene vortragsfähige Verluste mit dem Sanierungsgewinn verrechnet werden. Damit ist aber - wie hier – gewährleistet, dass die während der Wohlverhaltensphase verbrauchten Verluste und Steuererstattungen (auch für den Ehegatten) erhalten bleiben. 

Schlagworte zum Thema:  Einkommensteuer, Insolvenz, Insolvenzverfahren