Working Out Loud für Steuerberater

Bei "Working Out Loud" (WOL) handelt es sich um eine besondere Art des Netzwerkens, um ein konkretes persönliches Ziel zu erreichen. Auch bei Steuerkanzleien gibt es interessante Anwendungsmöglichkeiten.

Die Grundregeln für einen sog. WOL-Circle sind dabei sehr einfach:

  • 4 bis 5 Personen treffen sich 12 Wochen lang für je 1 Stunde (persönlich oder online).
  • Jeder legt für sich zu Beginn ein individuelles Ziel fest. Es gibt also kein gemeinsames Ziel oder Interessensübereinstimmungen, die Teilnehmer sollen vielmehr von der Unterschiedlichkeit profitieren.
  • Das Ziel wird den anderen Teilnehmern mitgeteilt.
  • Für jedes Wochentreffen gibt es einen Leitfaden mit Ablauf und Übungen. Diese Leitfäden dienen lediglich als Richtschnur und können auch abgewandelt werden.
  • Die Ergebnisse oder Hindernisse werden offen besprochen.
  • Die Gruppenmitglieder unterstützen sich durch Austausch und motivieren sich gegenseitig.

Es wird oft in Zusammenhang mit New Work und agilen Methoden genannt, da Wissen teilen und Kollaboration trainiert werden und die Beziehungsarbeit in persönlichen und sozialen Netzwerken als Erfolgsmethode in den Vordergrund gestellt wird. Fähigkeiten, die immer schon wichtig waren und in der sog. VUKA-Welt an Bedeutung gewinnen:

Volatilität erfordert Veränderungsbereitschaft

Unsicherheit erfordert Mut, etwas auszuprobieren

Komplexität erfordert Zusammenhänge erkennen

Ambiguität erfordert neue Perspektiven

Letztes Jahr habe ich von einem Freund und Personalcoach zum ersten Mal von WOL-Circles gehört. Mein erster spontaner Gedanke: Weight-Watchers für die geistige Fitness. Doch als leidenschaftliche Netzwerkerin hat professionelle Neugierde die Oberhand gewonnen, was genau dahintersteckt und ob und wie es funktioniert. Positiver Überraschungsmoment: Es sind keine Kosten damit verbunden; der Erfinder John Stepper stellt sein Wissen gratis zur Verfügung.

Gleich vorweg: Ich bin – noch – nicht in einem WOL-Circle, kann also keine persönlichen Erfahrungen dazu beisteuern. Doch allein die Auseinandersetzung mit der Methode hat so viele Impulse ausgelöst, dass ich einem meiner Ziele, das ich bislang immer verschoben habe, ein Stück nähergekommen bin (dazu gleich mehr).

Was bringt es persönlich?

Es lohnt sich tatsächlich, einfach die 12 Leitfäden für das Wochentreffen durchzulesen. Jeder Leitfaden hat 10 bis 12 locker geschriebene Seiten, um Denkanstöße für sich zu bekommen, seine Ziele leichter zu erreichen und hilfreiche Beziehungen aufzubauen. Und dabei bekommt man Lust, selbst so einen Circle zu gründen.

Bevor Sie weiterlesen, überlegen Sie sich am besten ein persönliches Ziel, an dem Sie arbeiten wollen. Das kann persönlich oder beruflich sein, z. B. etwas das Sie lernen wollen, eine neue Dienstleistung entwickeln oder etwas Neues ausprobieren.

Suchen Sie Unterstützer – den Fokus ausrichten

"Beziehungen aufbauen" ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren bei WOL. Und wenn Sie ein Ziel formuliert haben, besteht die erste Aufgabe darin, eine Beziehungsliste zu erstellen. Mindestens 10 Namen von Personen oder Unternehmen, die mit dem Ziel in Zusammenhang stehen, gilt es erst einmal nur aufzulisten. Wer spontan keine 10 Namen zusammenbekommt, recherchiert dazu im Internet und fragt seine Circle-Mitglieder.

Was passiert dadurch? Der Fokus verändert sich. Von Motivationstrainer Steffen Kirchner habe ich dazu den passenden Satz gehört "Where the attention goes, the energy flows". Allein die Auseinandersetzung mit dem Ziel und damit verbundenen Menschen und Unternehmen gibt den ersten Energieschub, um das Ziel weiter zu verfolgen. Und die meisten kennen das Phänomen vom gelben Auto: Kaum hat man sich eines gekauft (oder sogar, wenn man es nur vorhat), um besonders individuell zu sein, sieht man plötzlich hunderte davon auf der Straße.

Beispiel: Mein Ziel, mit dem ich die WOL-Methode gedanklich durchexerziert habe, lautet: Ich möchte besser Französisch lernen, um mich im Urlaub mit Franzosen unterhalten zu können. Babbel habe ich zwar, kann mich allerdings nicht aufraffen, kontinuierlich dran zu bleiben. Auf meiner Beziehungsliste stehen jetzt u. a. drei Menschen aus meinem engeren und weiteren Bekanntenkreis, die gut Französisch sprechen, bei der Google-Recherche "Französisch lernen" bin ich auf die App "Jicki Sprachduschen – Französisch lernen für Faule" gestoßen und auf Facebook habe ich die Gruppe "Französisch lernen" gefunden, bei der ich mich gleich angemeldet habe. Das klingt doch schon mal vielversprechend.

Vertrauen aufbauen und Aufmerksamkeit schenken

Die Beziehungsliste wird im nächsten Schritt genutzt, um Kontakt herzustellen. Das klingt für mich im ersten Moment sehr anbiedernd. Ich bin durchaus sehr kontaktfreudig, doch ich habe bis jetzt nichts davon gehalten, mich mit wildfremden Menschen auf xing oder LinkedIn zu vernetzen.

Doch genau dieses Gefühl wird aufgegriffen "Du suchst nach einer unaufdringlichen Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen" und eine Unterteilung des "Beziehungsstatus" in 5 Stufen als Hilfestellung angeboten. Jedem Namen auf der Beziehungsliste wird eine Stufe zugeordnet. Stufe 1 bedeutet, dass die Person nicht weiß, dass es mich gibt bis Stufe 5, in der regelmäßiger Austausch stattfindet.

Die Aufgabe besteht jetzt darin, die Beziehungsstufe um jeweils nur einen Grad zu erhöhen. In Stufe 2 ist man in irgendeiner Art miteinander verbunden. Das kann ein Like eines Beitrags oder das Folgen eines Profils sein oder bei xing oder LinkedIn die Profilansicht ohne Kontaktanfrage. Sich zeigen, heißt hier die Devise, sodass diese Person jetzt zumindest wahrnimmt, dass es mich gibt.

Gutes tun, ohne eine Gegenleistung zu erwarten

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der WOL-Philosophie lautet "Geben ist besser als Nehmen". Eine alte Netzwerk-Regel, die auch hier zur Anwendung kommt. Um mit anderen eine Beziehung aufzubauen, ist ein Vertrauensvorschuss notwendig. Das bedeutet, dem anderen etwas Gutes tun, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Und das ist in den meisten Fällen die Crux: Wir hoffen insgeheim doch immer, dass automatisch etwas zurückkommt und sind enttäuscht, wenn es nicht passiert.

Beispiel: Ich schreibe beispielsweise einen Artikel, um Vertrauen aufzubauen. Sie als Leser profitieren hoffentlich von den Inhalten und wenn ich Glück habe, nehmen Sie mit mir Kontakt auf - gerne über xing oder LinkedIn :-). Doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es nicht passiert – ich schreibe schon lange und weiß wovon ich spreche. Jetzt könnte ich enttäuscht sein und mit dem Schreiben aufhören. Doch ich mache weiter, weil ich mein Wissen wirklich gern weitergebe und auch ohne Rückmeldung überzeugt bin oder es zumindest hoffe, dass es der einen oder dem anderen hilft. Nebeneffekt für mich: Ich bekomme beim Schreiben selbst weitere Impulse für meine eigene Arbeit, weil ich mich mit dem Thema intensiv auseinandersetze.

Anderen Aufmerksamkeit schenken ohne eine Gegenleistung zu erwarten, ist der Schlüssel für gute Beziehungen. Und letztlich tun Sie sich damit etwas Gutes, denn das Schenken selbst löst positive Gefühle aus. Eine Übung, die ich seit kurzem praktiziere: Autoren, deren Bücher ich gern gelesen habe, eine kurze Nachricht über die sozialen Medien zukommen lassen. Dabei bin ich selbst überrascht, wenn Bestseller-Autoren und hochkarätige Referenten sich persönlich dafür bedanken – und das ist öfter als ich vermutet habe.

Tipp: Machen Sie den Großzügigkeitstest

Um herauszufinden, wie man hier tickt, empfiehlt John Stepper – gedanklich oder real - den Großzügigkeitstest: einem fremden Menschen die Tür aufhalten und "Nach Ihnen" sagen. Wie fühlen Sie sich, wenn sich der andere bedankt? In der Regel macht das gute Laune. Wie fühlen Sie sich, wenn sich der andere nicht bedankt – und jetzt heißt es ehrlich mit sich selbst sein? Ärgern Sie sich und schimpfen innerlich? Dann haben Sie eine Gegenleistung erwartet, von der der andere noch nicht einmal wusste. Eine schöne Übung in Zukunft – wenn es die Abstandsregeln wieder zulassen: Tür-Aufhalte-Tage zu etablieren oder andere kleine Aufmerksamkeiten zu praktizieren und sich über die positiven Reaktionen freuen, fehlenden Reaktionen hingegen neutral begegnen.

Termine mit sich selbst machen

Das Buch "Der reichste Mann von Babylon" von George S. Clason ist ein Klassiker (das Buch ist bereits 1926 erschienen), wenn es um Finanzplanung und finanzielle Freiheit geht. In Sachen Zeitmanagement und Ziele erreichen ist es auch hier ein hilfreicher Tipp:

Der reichste Mann von Babylon hat eine Grundregel befolgt. Er hat 10 % aller Einnahmen zurückgelegt, bevor er für irgendetwas anderes Geld ausgegeben hat (wer die Profit First Methode von Mike Michalowicz kennt, findet sie dort ebenfalls wieder mit weiteren guten Hilfestellungen, die Berater an ihre Mandanten weitergeben können).

Befolgen Sie diese Regel auch bei Ihrem Zeitmanagement, wenn Sie Ziele umsetzen wollen: Tragen Sie sich feste Termine in Ihren Kalender ein. Überlegen Sie vorab, welcher Tag und/oder welche Uhrzeit am besten für die Arbeit an diesem Ziel geeignet sind. Manchmal reichen schon 10 Minuten wie bei meinen Französisch Übungen. Am Anfang ist es sogar besser, kleine Zeiteinheiten zu wählen. Die bringt man leicht unter und schiebt sie nicht so schnell wieder weg.

Auch die Uhrzeit spielt eine Rolle. Gibt es natürliche Lücken, in die die Aufgabe hineinpasst? Ist der Tagesstart geeignet, um sich ein erstes Erfolgserlebnis zu schaffen oder der Tagesabschluss, um den Feierabend einzuläuten und die Gedanken dazu nachwirken zu lassen?

Durch das wöchentliche Treffen und Besprechen ist die Wahrscheinlichkeit auf jeden Fall höher, dass Sie die Termine einhalten.

Tipp: Ziel auf die kleinstmögliche Einheit herunterbrechen

Bei einem weiteren Umsetzungstipp dazu musste ich schmunzeln und ich werde es ausprobieren: Wenn Sie sich so gar nicht aufraffen können an Ihrem Ziel zu arbeiten, fassen Sie es zumindest für ein paar Sekunden an. Die Life Coach Martha Beck hat diesen "Trick" erfunden. Wenn man ein Ziel immer vor sich her schiebt und Gründe fürs Nichttun findet, muss man sein Hirn überlisten und das Ziel auf die kleinstmögliche Einheit herunterbrechen. Wer fit werden will und sich nicht zum Laufen aufraffen kann, fasst einfach jeden Tag für ein paar Sekunden nur das Laufband an (oder zieht seine Laufschuhe an). Ich werde die Französisch-App jetzt jeden Tag öffnen und einfach mal nur draufschauen. Das nimmt den Druck raus und die Versagensangst weg.

Empathie lernen – aus der Perspektive des Anderen formulieren

Das ist mein persönlicher Favorit der WOL-Methode: Es geht um die Fähigkeit, den Standpunkt des Gegenüber zu verstehen und die Dinge sowohl aus dem eigenen Blickwinkel als auch aus dem des Anderen zu sehen. Wobei diese Methode oder dieses Erfolgsgeheimnis auch schon lange propagiert wird. Der Beststeller dazu stammt von Dale Carnegie "Wie man Freunde gewinnt" und ist knapp 100 Jahre alt.

Die Übung, die dazu empfohlen wird: Den eigenen E-Mail-Posteingang durchschauen und sich fragen, ob der Absender empathisch geschrieben hat. Wesentlich interessanter finde ich, seine eigenen E-Mails unter dem Gesichtspunkt der Empathie zu lesen und sich zu fragen:

  1. Wie würde ich reagieren, wenn ich der Empfänger wäre?
  2. Warum sollte sich die andere Person darum kümmern?
  3. Warum schreibe ich das?

Diese 3 Fragen kann man einfach auf sich wirken lassen und bei der nächsten E-Mail versuchen, den Inhalt daran anzupassen. Das muss nicht gleich bei jeder sein, denn zumindest am Anfang brauchen Sie mindestens doppelt so viel Zeit. Greifen Sie sich einen Mandanten heraus, und versuchen Sie den Sender "WID-FM" einzustellen. WID-FM steht für "Was Ist Drin – Für Mich", schreiben Sie konkret, welchen Nutzen der Mandant davon hat, dass er Ihre E-Mail gelesen hat und was jetzt zu tun ist.

Beispiel: Bescheide geprüft

Klassischer Kanzleistil: Als Anlage erhalten Sie o.g. Steuerbescheide zu Ihren Akten. Wir haben die Bescheide auftragsgemäß geprüft. Sie entsprechen den Angaben in der Steuererklärung.

Empathischer Kanzleistil: Alles in Ordnung. Die Angaben in der Steuererklärung stimmen mit den Bescheiden überein. Bitte legen Sie die Bescheide bei sich ab.

Viele der WOL-Methoden haben bekannte Vorbilder, und wer sich bereits mit Methoden zur Zielerreichung auseinandergesetzt hat, erlebt keine großartigen Neuheiten. Der Charme von WOL ist die Zusammenstellung des 12-Wochen-Programms und die Durchführung in einer bewusst klein gehaltenen Gruppe.

Welche weiteren Anwendungsmöglichkeiten gibt es für Kanzleien?

Für Steuerberater ergeben sich neben der persönlichen Entwicklung zusätzlich spannende Perspektiven für Teamarbeit und Zusammenarbeit mit den Mandanten - vorausgesetzt, Sie haben positive Erfahrungen damit gesammelt und sind überzeugt von der Wirksamkeit. Zum einen können Sie Ihren Mitarbeitern einen WOL-Circle vorschlagen. Wenn Sie eine größere Kanzlei mit mehreren Teams oder Niederlassungen haben, kann das zu einer Vernetzung der besonderen Art führen.

Ob Sie selbst bei diesem Circle mitmachen oder nicht, hängt dabei von Ihrer Kanzleikultur ab. Ein Nebeneffekt dieser Circle ist nämlich, dass sich die Mitglieder auf eine sehr intensive Art und Weise kennenlernen und enge Beziehungen entstehen. Es wird Neues ausprobiert, Scheitern ist erlaubt und durch den Austausch untereinander sind Perspektivwechsel und das Über den Tellerrand schauen vorprogrammiert – alles Eigenschaften, die künftig immer mehr gefordert werden.

Zum anderen können Sie mit ausgewählten Mandanten einen WOL-Circle initiieren. Und wie wäre es im nächsten Schritt mit einem WOL-Circle mit Mitarbeitern Ihrer Kanzlei und Mitarbeitern Ihrer Mandanten? Das ist Vernetzung und Beziehungsaufbau vom Feinsten.

Weiterführende Informationen:

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