Erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers

Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der ersten Tätigkeitsstätte ist, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.

Dies ergibt sich aus der jüngeren Rechtsprechung des BFH. So wurde beispielsweise im BFH-Urteil vom 4.4.2019, VI R 27/17, entschieden, dass ein Polizeibeamter im Einsatz- und Streifendienst über eine erste Tätigkeitsstätte an seinem ihm zugeordneten Dienstsitz verfügt, wenn er ihn arbeitstäglich aufsucht, um dort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen, die er dienstrechtlich schuldet und die zu dem Berufsbild eines Polizeivollzugsbeamten gehören.

Für die Frage der Zuordnung ist nämlich entscheidend, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen an einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten tätig werden soll.

Tätigkeiten, die zum Berufsbild gehören

Dies sah der BFH im Urteilsfall als erfüllt an, weil der Polizist im Einsatz- und Streifendienst auch in der Polizeiinspektion arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen hatte, die ebenso zum Berufsbild eines Polizeivollzugsbeamten gehören wie der eigentliche Streifendienst. Hierzu gehören beispielsweise die Teilnahme an den Dienstantritts- oder allgemeinen Einsatzbesprechungen, Schichtübernahme oder -übergabe und insbesondere die Erledigung der Schreibarbeiten, wie das Verfassen von Protokollen, Streifen-, Einsatz- oder Unfallberichten.

Eine erste Tätigkeitsstätte hat der BFH etwa auch bei fliegendem Personal angenommen (Urteil v. 10.4.2019, VI R 17/17).

Betriebshof des Müllwerkers

Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 23.5.2019, 4 K 4259/17) ging auch bei dem Betriebshof eines Müllwerkers (der arbeitstäglich als einer von zwei sogenannten Läufern neben dem Kraftfahrer auf dem Lkw mitfährt und die Mülltonnen der Kunden entleert) von einer ersten Tätigkeitsstätte aus, wenn er nach Weisung des Arbeitgebers morgens immer in dessen Betriebshof kommen muss, um sich umzukleiden, die Ansage der Einsatzleitung entgegenzunehmen, das Tourenbuch und die Fahrzeugschlüssel abzuholen und die Beleuchtung des Müllfahrzeugs zu kontrollieren.

BFH reicht es nicht aus

Diese Tätigkeiten reichen dem BFH aber nicht aus (Urteil v. 02.09.2021, VI R 25/19). Der Betriebshof sei - trotz dauerhafter Zuordnung durch den Arbeitgeber - keine erste Tätigkeitsstätte eines Müllwerkers, wenn er dort lediglich die Ansage der Tourenleitung abhört, das Tourenbuch, Fahrzeugpapiere und -schlüssel abholt sowie die Fahrzeugbeleuchtung kontrolliert.

Diese geringfügigen Tätigkeiten allein reichten nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen.

Hinweis: Anknüpfungspunkt für "erste Tätigkeitsstätte"

Der BFH betonte  noch einmal, dass es erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören. Nur dann kann die "erste Tätigkeitsstätte" als Anknüpfungspunkt für den Ansatz von Wegekosten nach Maßgabe der Entfernungspauschale und als Abgrenzungsmerkmal gegenüber einer auswärtigen beruflichen Tätigkeit dienen. Dies folge nach Auffassung des BFH insbesondere aus § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG, der zumindest für den Regelfall davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer an diesem Ort auch tätig werden soll.

Der BFH verwies den Fall an das FG zurück, weil er nicht beurteilen konnte, ob der Kläger auf dem Betriebshof in dem erforderlichen Umfang tätig geworden ist, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte einzuordnen. Dies deshalb, da der Kläger angegeben hat, für die vorbereitenden Tätigkeiten auf dem Betriebshof 45 Minuten aufgewandt zu haben. Dieser Zeitaufwand erschlloss sich dem BFH aufgrund der Geringfügigkeit der vorgenannten Tätigkeiten nicht, zumal vorgetragen wurde, die Fahrzeugprüfung dauere nur wenige Minuten.

Das FG hatte nach Ansicht des BFH bislang auch keine Feststellungen dazu getroffen, welche Tätigkeiten der Kläger nach Rückkehr zum Betriebshof ausgeübt hat, wo er nach seinen Angaben weitere 30 Minuten verbracht hat. Im zweiten Rechtsgang musste das FG daher belastbar feststellen, welche Tätigkeiten der Kläger in den von ihm angegebenen Zeiträumen auf dem Betriebshof tatsächlich ausgeführt hat und ob er diese arbeitsrechtlich schuldete, sowie zu prüfen, ob sie zum Berufsbild des Klägers gehören.

Aktualisierung: FG entscheidet nach Zurückverweisung

Das FG hat nun den Klagefall nun nach Zurückverweisung rechtskräftig entschieden (Urteil v. 16.6.2022, 16 K 4259/17) und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger keine erste Tätigkeitsstätte auf dem Betriebshof des Entsorgers hat. Er habe dort nicht in ausreichendem Umfang Tätigkeiten tatsächlich ausgeführt, die er arbeitsrechtlich schuldete und die zu seinem Berufsbild gehören.

Der Kläger hat sich nach seiner Ankunft am Betriebshof dort jeweils umgekleidet, die Ansage der Einsatzleitung angehört, das Tourenbuch, die Fahrzeugpapiere und die Fahrzeugschlüssel abgeholt und danach mit seinen Kollegen die Blinker sowie die Beleuchtung des Müllfahrzeugs kontrolliert. Nach der Entscheidung des BFH reichen diese geringfügigen Tätigkeiten allein nicht aus, um den Betriebshof als erste Tätigkeitsstätte anzusehen.

Ergänzende Angaben des Klägers zu den tatsächlichen Abläufen

Die vom BFH geäußerte Unklarheit zu den tatsächlichen Abläufen während der vom Kläger geschilderten Anwesenheitszeit auf dem Betriebshof, konnten durch die ergänzenden Angaben des Klägers ausgeräumt werden. Klarheit hätten insbesondere seine Erläuterungen anhand eines Lageplans des Betriebsgeländes und die Ausführungen zu den logistischen Herausforderungen eines zeitgleichen Dienstbeginns von 500 Arbeitnehmern und der zeitgleichen Abfahrt von 120 Fahrzeugen vom Betriebshof gebracht.

Soweit im Detail weitere anlassbezogene Verrichtungen und Tätigkeiten des Klägers auf dem Betriebshof hinzugekommen sind, seien diese mangels Regelmäßigkeit und qualitativer Erheblichkeit nicht geeignet, eine erste Tätigkeitsstätte zu begründen. Dies gelte insbesondere für die Veranlassung von Reparaturen bei Beschädigungen oder Defekten an Müllfahrzeugen, für die gelegentliche Reinigung von Fahrzeugen und für die Betankung von gasbetriebenen Fahrzeugen an der Gastankstelle auf dem Betriebshof, falls der Kläger – zufällig – für eine Tour auf einem solchen Fahrzeug eingeteilt war.

Insgesamt rechtfertigten die tatsächlich vom Kläger auf dem Betriebsgelände vorgenommenen Tätigkeiten die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte daher nicht, da sich gegenüber den festgestellten keine zusätzlichen, auf dem Gelände vorgenommenen Tätigkeiten ergeben haben, als die bereits im ersten Rechtsgang festgestellten Tätigkeiten, die aus Sicht des BFH als Tätigkeiten von untergeordnetem Gewicht nicht zur Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte ausreichten.