Anspruch auf Kindergeld während einer Weiterbildung zum Facharzt

Trotz der vom BFH zum Begriff der mehraktigen Berufsausbildung entwickelten Abgrenzungskriterien treten immer wieder Fälle auf, bei denen die Abgrenzung zwischen einer erstmaligen Berufsausbildung oder einer "Zweitausbildung" nicht eindeutig möglich ist.

In der Zeit, in der sich ein Kind in einer erstmaligen Berufsausbildung oder in einem Erststudium befindet, kann es kindergeldrechtlich bis zum 25. Lebensjahr berücksichtigt werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann ein Kind jedoch nur berücksichtigt werden, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit (über 20 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit) nachgeht. Das ergibt sich aus § 32 Abs. 4 EStG.

Fortentwickelte Rechtsprechung: Gesamtwürdigung der Verhältnisse

Nach dem aktuellen Stand der BFH Rechtsprechung (z. B. BFH, Urteil v. 11.12.2018,  III R 26/18,, BStBl 2019 II S. 765) kann es an einer einheitlichen Erstausbildung fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten.

Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weitere Ausbildungsmaßnahme eine nebensächliche Weiterbildung in dem bereits aufgenommenen Berufszweig darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden. Hierfür sind nach Auffassung des BFH insbesondere folgende Kriterien von Bedeutung:

  • Handelt es sich um zeitlich unbefristetes oder auf mehr 26 Wochen befristetes Arbeitsverhältnis?
  • Liegt eine vollzeitige oder nahezu vollzeitige Beschäftigung vor?
  • Setzt das Arbeitsverhältnis den ersten Berufsabschluss voraus?
  • Passt sich die Berufstätigkeit dem jeweiligen Ausbildungsplan an oder findet die Ausbildung neben der Berufstätigkeit statt?

Facharztweiterbildung ist Zweitausbildung

Das Niedersächsische FG hat entschieden, dass es sich bei einer im Anschluss an das Medizinstudium absolvierten Facharztweiterbildung um eine Zweitausbildung handelt, da die Erstausbildung mit dem Abschluss des Medizinstudiums durch Ablegung der ärztlichen Prüfung abgeschlossen sei (Urteil v. 7.11.2021, 9 K 14/21).

Trotz des Vorliegens eines engen sachlichen Zusammenhangs zwischen dem Medizinstudium und der Facharztweiterbildung kommt das FG vor dem Hintergrund der Fortentwicklung und Präzisierung der Rechtsprechungsgrundsätze zu dem Ergebnis, dass die Ausbildung im Rahmen der Facharztweiterbildung hinter der Berufstätigkeit des Kindes zurücktritt. Zudem erhalte das Kind nach Auffassung des FG seine Vergütung vorwiegend für ihre Arbeitsleistung als Ärztin.

Berufstätigkeit im Vordergrund

Das Kind habe im Januar 2021 Facharztweiterbildung mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 42 Stunden aufgenommen. Die Weiterbildung soll mindestens 60 Monate dauern. Das Kind hat sich somit langfristig an einen Arbeitgeber gebunden. Dies spreche dafür, dass die Berufstätigkeit im Vordergrund stehe. Bei seiner Tätigkeit während der Facharztweiterbildung wende das Kind auch bereits die durch die ärztliche Prüfung erlangte Qualifikation an.

Dafür, dass die Berufstätigkeit im Vordergrund stehe, spricht nach Auffassung des FG zudem, dass es sich um eine Weiterbildung zum Facharzt Kinder- und Jugendmedizin handelt. In der Weiterbildungsordnung heiße es unter § 1 Abs. 1, dass es im Rahmen der Weiterbildung um das Erlangen besonderer ärztlicher Kompetenzen nach abgeschlossener ärztlicher Ausbildung und Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung der ärztlichen Tätigkeit geht. Kennzeichnend ist die vertiefte Anwendung ärztlicher Kenntnisse in der Berufsausübung sowie die theoretische Unterweisung. Die Weiterbildungsordnung sieht allerdings nur mindestens einmal jährlich ein Gespräch, in welchem der Stand der Weiterbildung von dem zur Weiterbildung ermächtigten Arzt und dem in Weiterbildung befindlichen Arzt beurteilt und im Logbuch dokumentiert wird, vor. Nach dem äußeren Erscheinungsbild, das sich aus der Weiterbildungsordnung ergebe, werde die Ausbildung daher nur "neben der Berufstätigkei" weiterverfolgt.

Bedeutung der Erlangung der kassenärztlichen Zulassung

Das Berufsziel Kinderärztin und die fehlende Möglichkeit die kassenärztliche Zulassung in diesem Bereich zu erlangen, ohne die Facharztweiterbildung absolviert zu haben, ist für das FG nicht von entscheidender Bedeutung. Dies gelte insbesondere, da es sich bei der Facharztweiterbildung zwar um eine typische Weiterbildung im ärztlichen Bereich handelt. Sie sei jedoch keine zwingende Voraussetzung für jegliche Tätigkeit im medizinischen Bereich nach Abschluss eines Medizinstudiums. Dem Absolventen eines Medizinstudiums stehe beispielsweise auch die Möglichkeit offen in der Forschung oder Lehre oder für ein Pharmaunternehmen tätig zu werden. Das FG geht daher davon aus, dass das Kind mit Abschluss ihres Medizinstudiums seine Erstausbildung beendet hat und es sich bei der Facharztweiterbildung lediglich um eine Zweitausbildung (Weiterbildung) handelt.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Das FG hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf eine Entscheidung des FG Thüringen (Urteil v. 27.3.2018, 2 K 308/17) geboten erschien. In dem Verfahren III R 40/21 muss der BFH die Frage klären, ob ein Kind, welches eine (Hochschul-)Ausbildung zum Arzt absolviert hat, nur bis zum Bestehen der ärztlichen Prüfung berücksichtigt werden kann, und ob die Facharztweiterbildung gegenüber der Berufstätigkeit als in Weiterbildung befindlicher Arzt in den Hintergrund tritt, oder  einen integralen Bestandteil der mehraktigen erstmaligen Berufsausbildung darstellt. Außerdem muss der BFH entscheiden, ob zwischen dem Medizinstudium und der Facharztausbildung ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht.

Betroffene sollten in gleichgelagerten Fällen unter Hinweis auf das o.a. Revisionsver-fahren gegen die ablehnenden Bescheide der Familienkassen Einspruch einlegen  und auf das Ruhen des Verfahrens kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 AO verweisen.

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