Leitsatz (amtlich)

1. Bereits die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs 4 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) führt zum Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 S 7 Halbs 2 SGB 12. Auf die Bestandskraft der Verlustfeststellung kommt es nicht an.

2. Zu einer eigenständigen Prüfung der materiellen aufenthaltsrechtlichen Lage sind nach Verlustfeststellung weder der Sozialleistungsträger noch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit befugt.

 

Orientierungssatz

Az beim LSG Darmstadt: L 4 SO 160/19 B ER.

 

Tenor

Der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab Antragstellung für einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Zeitraum vorläufig Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe zu gewähren, wird abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der 1961 geborene Antragsteller ist rumänischer Staatsangehöriger. Seit dem 20. Oktober 2011 hält er sich zusammen mit seiner rumänischen Ehefrau in Deutschland auf.

Am 18. Dezember 2017 stellte der Rentenversicherungsträger die volle Erwerbsminderung auf Dauer seit (zumindest) 23. Dezember 2015 fest. Daraufhin forderte ihn der SGB II-Träger, von dem er zu diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB II bezog, am 7. März 2019 auf, einen Antrag nach dem SGB XII bei dem Antragsgegner zustellen. Dem kam der Antragsteller am 13. März 2019 nach.

Bereits zuvor, mit Bescheid vom 31. August 2017, hatte die Ausländerbehörde des Antragsgegners den Verlust der Freizügigkeit festgestellt und verfügt:

1. Das Nichtbestehen Ihres Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) wird gem. § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU festgestellt.

2. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU sind Sie verpflichtet, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.

3. Sollten Sie dieser Ausreiseverpflichtung nicht spätestens zwei Monate nach Bestandskraft dieser Verfügung nachgekommen sein, wird Ihnen hiermit gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 FreizügG/EU die Abschiebung aus dem Bundesgebiet nach Rumänien angedroht. Nach § 11 Abs. 2 FreizügG/EU i.V.m. § 59 Abs. 2 AufenthG (Aufenthaltsgesetz) können Sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, wenn Sie in diesen einreisen dürfen oder dieser Staat zu Ihrer Rücknahme verpflichtet ist.

Dagegen erhob der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt (Az.: 6 K 4545/17.DA), welche nach seiner Auskunft vom 24. Juli 2019 noch anhängig ist.

Mit Bescheid vom 23. Mai 2019 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab, da sich der Antragsteller aufgrund der Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit nicht mehr rechtmäßig in Deutschland aufhalte. Die anhängige Klage führe zu einer aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung, nicht jedoch hinsichtlich des Aufenthaltsrechts.

Dagegen legte der Antragsteller am 17. Juni 2019 Widerspruch ein unter Verweis auf die Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 10. Juli 2018, L 9 AS 142/18 B ER. Seine Ehefrau habe ihre Tätigkeit zwar zum 1. Februar 2019 aufgeben müssen. Dies sei jedoch unfreiwillig geschehen, sodass nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU das Freizügigkeitsrecht fortbestehe. Zum anderen habe seine Ehefrau zum 10. Juni 2019 eine neue Tätigkeit als Reinigungskraft aufgenommen. Er halte sich somit nicht allein zur Arbeitssuche in Deutschland auf. Nach dem beigefügten Arbeitsvertrag erhält die Ehefrau des Antragstellers für eine in dem Vertrag zeitlich nicht näherbestimmte Tätigkeit als Reinigungskraft eine monatliche Vergütung von 450,00 €.

Am 3. Juli 2019 hat der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz bei dem Sozialgericht Darmstadt beantragt. Zur Begründung trägt der Antragsteller vor, dass das Hessische Landessozialgericht in seinem Beschluss vom 10. Juli 2018 für den Leistungsanspruch nach dem SGB II festgestellt habe, dass dieser bereits aus dem langjährigen Anspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II folge. Die Verlustfeststellung habe, solange der Bescheid nicht bestandkräftig und auch nicht für sofort vollziehbar erklärt worden sei, keine Auswirkungen auf den bereits bestehenden Anspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II. Gleiches habe für die Vorschrift des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII zu gelten. Darüber hinaus sei er als Ehemann einer Arbeitnehmerin gem. § 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Er habe bis zum 30. Juni 2019 ergänzende Leistungen nach dem SGB II bezogen. Diese seien mit Bescheid vom 24. Juni 2019 eingestellt worden. Er verfüge derzeit über keinerlei Einkommen und Vermögen. Hinsichtlich eines Aufenthaltsrechts nach § 3 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU habe die Verlustfeststellung keine Tatbestandswirkung. Mit der Aufnahme einer Tätigkeit durch seine Ehefrau sei zum 10. Juni 2019 ein neuer Sachverhalt eingetreten. Seine Ehefrau habe damit ihre Arbeitnehmereigenschaft neu begründet. Damit entstehe ein neues Aufenthaltsrecht nach § 2 FreizügG/EU; die Ausreisepflicht werde gegenstandslos. Er sei als Familienangehöriger gemäß § 3 FreizügG/EU freizügigkei...

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