Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Fortsetzungsfeststellungsklage. Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Übernahme von Fahrtkosten aufgrund eines Promotionsstudiums. Arbeitsförderung. Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. besondere Leistungen. Teilnahmekosten für eine Maßnahme. eingliederungsbegleitende Dienste. Kraftfahrzeughilfe. Ermessensleistung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Einer Fortsetzungsfeststellungsklage ist stattzugeben, wenn sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig erwiesen hat, der Senat die notwendige Ermessensbetätigung nicht ersetzen und der Beklagte diese wegen der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes gem § 39 Abs 2 SGB X nicht nachholen kann.

2. Die Förderung einer Promotion kommt durch die Übernahme von Fahrtkosten als besondere Leistung in Betracht, wenn auf andere Weise keine Teilhabe am Arbeitsleben zu erreichen wäre (§ 109 Abs 2 SGB III iVm § 33 Abs 3 Nr 6, Abs 8 Nr 1 SGB IX iVm § 9 Abs 1 S 1 Nr 2 KfzHV).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 18. September 2009 abgeändert. Es wird festgestellt, dass der Bescheid des Beklagten vom 17. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2009 rechtswidrig war.

Der Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Rechtszüge zu einem Zehntel.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Übernahme von Fahrtkosten von H. nach B. aufgrund eines Promotionsstudiums des Klägers.

Der am 16. Mai 1978 geborene Kläger ist an einer rechtsbetonten, vom Gehirn ausgelösten Bewegungsstörung vom extrapyramidalen Mischtyp erkrankt. Er kann sich deshalb nur im Rollstuhl fortbewegen. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G, aG und H festgestellt. Er bezog bis 2016 Leistungen der - damaligen - Pflegestufe II.

Der Kläger schloss 1998 nach dem Erwerb des Realschulabschlusses eine dreijährige Ausbildung zum Bürokaufmann bei einem Berufsbildungswerk erfolgreich ab, besuchte im Anschluss das Gymnasium und bestand 2002 die Abiturprüfung. Sodann schloss der Kläger ein Studium an der Universität L. Anfang 2008 mit dem Magister in den Studienfächern Mittlere und Neuere Geschichte sowie Philosophie ab. In diesem Rahmen übernahm der Beklagte die Kosten für die Fahrten von H. - dem Wohnort der Eltern des Klägers und dessen Wohnort - für maximal eine Heimfahrt in der Woche, durchgeführt durch das Rote Kreuz.

Am 3. März 2008 beantragte der Kläger bei dem L. H. als örtlichem Träger der Sozialhilfe die Übernahme der Fahrtkosten für Fahrten nach B. beziehungsweise H ... Der Kläger gab zur Begründung an, aufgrund seiner sehr guten Leistungen im Studium als Doktorand akzeptiert worden zu sein. Durch die Doktorarbeit zum Thema " ..." verlängere sich sein Studium um etwa drei Jahre. Das Thema der Doktorarbeit erfordere regelmäßige, umfangreiche Recherchen im Bundesarchiv in B.-S ... Mit den Archivarbeiten solle ab April 2008 begonnen werden. Zielort der Fahrten solle in der Regel B. sein. Im Frühjahr 2008 habe er eine weitere Wohnung in B. angemietet.

Der L. H. lehnte den Antrag des Klägers im Namen des Beklagten mit Bescheid vom 17. März 2008 ab, weil sich der Kläger mit dem Studienabschluss als Magister eine ausreichende Lebensgrundlage geschaffen habe. Denn mit diesem Abschluss sei er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 28. März 2008 Widerspruch ein und führte aus, er sehe keine Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Weiter legte er im Verlauf des Widerspruchsverfahrens unter anderem ein Schreiben des ihn als Doktorvater betreuenden Prof. Dr. H. vom 27. März 2008 vor, in dem dieser mitteilte, zwar sei das Studium mit dem Abschluss als Magister formal abgeschlossen, mit den Studienfächern Geschichte und Philosophie sei es aber auf dem "allgemeinen Arbeitsmarkt" zur Zeit so gut wie unmöglich, "sich eine ausreichende Lebensgrundlage" zu schaffen. Ohne eine weitere akademische Qualifikation werde es dem Kläger - auch wegen seiner starken körperlichen Behinderung - nicht möglich sein, eine Stelle als Historiker oder Archivar im wissenschaftlichen oder regional-kommunalen Bereich zu bekommen. Angesichts des heutzutage hohen wissenschaftlichen Standards erreichten nur 3 Prozent der gegenwärtig Studierenden den Status eines Promovenden. Das Promotionsstudium stelle zugleich ein Aufbaustudium dar.

Der L. H. fragte sodann bei der Agentur für Arbeit H. zu den Chancen und Möglichkeiten der beruflichen Eingliederung des Klägers und Stellenangeboten nach. Diese antwortete, die Bestandszahlen an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Berufsfeld Historiker stiegen an und blieben im Berufsfeld Archivar seit 2003 konstant, während sie zuvor gesunken seien. Ausweislich der bundesweiten Stellensuchläufe gebe es derzeit sehr wenige Stellen für Historiker. Für die für Archivare an...

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