Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Versagung von Grundsicherung für Arbeitsuchende

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Gegen die Versagung einer laufenden Sozialleistung ist der Antrag auf einstweilige Anordnung der zutreffende Rechtsbehelf.

2. Wenn ein Antragsteller auf einstweiligen Rechtsschutz keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, muss das Gericht eine Folgenabwägung vornehmen. Das gilt auch, wenn die Entscheidung von weiteren Ermittlungen in der Hauptsache abhängig ist.

3. Die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet kann nicht allein mit einer fehlenden melderechtlichen Erfassung verneint werden.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 7 Ab S. 2 Nr. 2, § 7 Ab S. 4, § 7 Ab S. 5, § 7 Ab S. 6, § 9 Abs. 1, § 39 Nr. 1, § 41 Abs. 3 S. 2 Nr. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 2; SGG § 73a Abs. 1 S. 1, § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 193; ZPO §§ 114, 920 Abs. 2

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 18.10.2021 geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Gestalt der Regelbedarfe nach § 20 SGB II und der Bedarfe für Unterkunft und Heizung iHv monatlich 720 EUR vom 01.01.2022 bis zum 30.06.2022 zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, L, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Die Antragsteller begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige. Die Antragstellerin zu 1) ist am 00.00.1991 geboren. Der am 00.00.2007 geborene Antragsteller zu 2) und die am 00.00.2009 geborene Antragstellerin zu 3) sind nach Angaben der Antragsteller Kinder der Antragstellerin zu 1) aus einer früheren Beziehung. Der am 00.00.1974 geborene Antragsteller zu 4) ist seit dem 26.11.2020 mit der Antragstellerin zu 1) verheiratet.

Die Antragsteller beantragten am 11.11.2020 beim Antragsgegner Leistungen. Sie gaben den Familiennamen des Antragstellers zu 4) mit "A" an und erklärten, dieser sei der Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1). Sie fügten dem Antrag Meldebestätigungen der Stadt L bei, gemäß denen sie seit dem 22.10.2020 in der C-Str. 7 gemeldet waren. Weiter legten sie Kopien bulgarischer Ausweisdokumente vor. Der Nachname der Antragstellerin zu 1) wird in dem Ausweis mit "N", der Geburtsname (Father’s name) mit "U" angegeben. Überdies fügten sie Unterlagen über frühere Beschäftigungen des Antragstellers zu 4) bei, namentlich einen Arbeitsvertrag der Fa. O-Kurierdienst, Z, vom 12.10.2016 über eine Tätigkeit als Beifahrer ab dem 19.10.2016, eine Bescheinigung der Fa. E Logistik GmbH, F, über ein versicherungspflichtiges Beschäftigungverhältnis ab dem 01.01.2017 und ein Schreiben vom 08.12.2017 über die Kündigung des letztgenannten Arbeitsverhältnisses zum 22.12.2017 bei. Eine von ihnen zur Akte gereichte Mietbescheinigung über die Wohnung C-Str. 7 weist Herrn K als Vermieter und die Antragstellerin zu 1) als Mieterin aus. Die monatliche Kaltmiete beläuft sich hiernach auf 600 EUR, die Betriebskosten auf 120 EUR. Gemäß der Bescheinigung leben neben der Antragstellerin zu 1) fünf weitere Personen in der Wohnung. Der ebenfalls vorgelegte Mietvertrag datiert vom 22.10.2020.

Die Antragstellerin zu 1) erklärte am 18.11.2020 gemäß einem Vermerk des Antragsgegners fernmündlich, seit neun Jahren mit dem Antragsteller zu 4) zusammenzuleben. Die Antragsteller zu 2) und 3) seien Kinder der Antragstellerin zu 1) und des Herrn B, der in Bulgarien lebe und zu dem kein Kontakt bestehe. Die Antragsteller zu 2) und 3) seien vor zwei Monaten nach Deutschland eingereist und hätten zuvor bei der Großmutter gelebt. Sie habe den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft bislang mit Prostitution sichergestellt, diese Tätigkeit aber jetzt beendet. Mit Schreiben vom 03.12.2020 legten die Antragsteller zu 1) und 4) die Kopie einer auf den 26.11.2020 datierten Urkunde über eine Eheschließung zwischen der Antragstellerin zu 1) und dem Antragsteller zu 4) in Q/Bulgarien am 25.11.2020 vor. Der Antragsteller zu 4) heiße nunmehr "N.". Die Antragstellerin zu 1) beziehe kein Kindergeld und habe keinen Sozialversicherungsausweis. Überdies fügten die Antragsteller dem Schreiben Meldebestätigungen über einen Einzug des Antragstellers zu 4) in der M-Straße 67 in L am 10.10.2016 und im D-Straße 318 in F am 17.01.2019 sowie über einen Einzug der Antragstellerin zu 1) in die Wohnung M-Straße 67 in L am 13.10.2016 und in die Wohnung D-Straße 318 in F am 10.01.2020 bei. Mit Bescheid vom 18.12.2020 lehnte der Antragsgegner den Antrag unter Verweis auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Dieser...

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