Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Regelungsanordnung. Anordnungsanspruch. Sozialhilfe für Ausländer. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Glaubhaftmachung der Hilfebedürftigkeit. Verpflichtungserklärung eines Dritten nach § 68 Abs 1 S 1 AufenthG 2004

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs 1 AufenthG (in der Fassung bis 5.8.2016; juris: AufenthG 2004) steht dem Anspruch eines im Übrigen hilfebedürftigen Ausländers, der als anerkannter Flüchtling über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 2 AufenthG verfügt, auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nicht entgegen.

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2016 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern in der Zeit vom 14.11.2016 bis 31.03.2017 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe der jeweiligen Regelbedarfe nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Den Antragstellern wird für das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S. I N. 4, 48231 X, beigeordnet.

Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen zur Hälfte. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten Beschwerden der Antragsteller vom 21.12.2016 gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 23.11.2016, mit dem es den auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren abgelehnt hat, sind hinsichtlich des Eilantrages im tenorierten Umfang sowie des PKH-Antrages vollumfänglich begründet. Das Sozialgericht hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt, soweit die Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt in Form der für sie geltenden Regelbedarfe begehren. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Antragsgegnerin hinsichtlich der Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung erfolglos bleibt.

1.) Die Antragsteller sind dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und haben im tenorierten Umfang Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der für sie jeweils geltenden Regelbedarfe (unter b.), nicht aber auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung (unter c.).

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. BSG, Beschl. v. 07.04.2011 - B 9 VG 15/10 B -, juris Rn. 6). Allerdings ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes - (GG) und Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn - wie hier - die Gewährung existenzsichernder Leistungen im Streit steht. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgen dabei Vorgaben für den Prüfungsmaßstab. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. der 3. Kammer des Ersten Senats v. 06.08.2014 - 1 BvR 1453/12 -, juris Rn. 10, 12).

b) Die Antragsteller haben ab dem 14.11.2016 (Antragstellung bei dem Sozialgericht) hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Vierten Kapitel des SGB XII in Form der für sie jeweils g...

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