Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhausbehandlung. keine Erfüllung des Qualitätsgebots durch allogene Stammzelltransplantation nach "klassischer" myeloablativer Konditionierung im Jahr 2005 bei B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom. keine grundrechtsorientierte Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Behandlung eines Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der an einem chemotherapie-refraktären Rezidiv bei großzelligem B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom litt, mit allogener Stammzelltransplantation nach "klassischer" myeloablativer Konditionierung entsprach im Jahr 2005 nicht dem Qualitätsgebot nach § 2 Abs 1 S 3 SGB V.

2. Ein Anspruch auf diese Behandlung ergab sich auch nicht aufgrund einer grundrechtsorientierten Auslegung des Leistungsrechts der GKV, wenn eine Behandlung des Versicherten im Rahmen einer klinischen Studie möglich gewesen wäre.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz 2 vgl BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5.

 

Normenkette

SGB V § 2 Abs. 1 S. 3, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 5, § 39 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 108, 109 Abs. 4 Sätze 2-3, § 112 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 137c Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Fassung: 2003-11-14; KHEntgG § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 11; KHG § 17b Abs. 1 Sätze 1-3, § 18 Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1; SGG § 54 Abs. 5, § 197a Abs. 1; VwGO § 154 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11.02.2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 100.363,91 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Der bei der Beklagten versicherte E. A. (im Folgenden: Versicherter), geboren am 31.03.1946, wurde vom 04.07.2005 bis zu seinem Tod am 04.09.2005 im Hochschulklinikum des Klägers stationär behandelt. Bei dem Versicherten wurde im Mai 1999 die Erstdiagnose eines follikulären B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms Grad I-II, Stadium IVA gestellt. Nach einer Beobachtungsphase erfolgten von März bis Juli 2001 6 Zyklen Chemotherapie nach dem CHOP-Protokoll bei ausgedehntem Progress im Bereich des linken Oberschenkels mit kompletter Remission. Im Juni 2003 trat ein Rezidiv im Bereich des rechten Unterschenkels mit Hautinfiltration auf (follikuläres Lymphom Grad I). Anschließend erfolgte eine Radiatio des rechten Unterschenkels (Juli/August 2003) und der rechten Inguinalregion (September/Oktober 2003). Im Januar 2004 wurde ein Übergang zu einem aggressiven großzelligen B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom (Grad III) festgestellt. Von Februar bis April 2004 erfolgten 4 Zyklen Chemo-Immun-Therapie nach dem R-CHOP-Protokoll, anschließend im Mai 2004 ein Zyklus Chemotherapie nach dem VIPE-Protokoll und im Juni 2004 ein Zyklus Chemotherapie nach dem VIP-Protokoll. Im Juli 2004 erfolgte eine Hochdosis-Chemotherapie nach dem BEAM-Protokoll mit anschließender autologer Stammzelltransplantation. Im September 2004 lag eine Remission der Tumormanifestationen inguinal und suprasymphysär vor, jedoch ein Progress im Bereich des rechten Unterschenkels. Angeschlossen wurde eine Rituximab-Erhaltungstherapie bis Januar 2005. Bei erneut größenprogredienten Lymphknoten wurde im März 2005 eine Zevalin-Behandlung durchgeführt und bei weiterem Lymphomprogress im April 2005 erfolgte eine Behandlung nach Block C des B-ALL-Protokolls mit anschließender Stammzellretransfusion. Als Komplikation trat ein pilztypisches pulmonales Infiltrat im linken Unterlappen auf, das sich nach antimykotischer Therapie bis Juni 2005 nahezu komplett zurückbildete. Am 08.06.2005 zeigte sich ein erneuter Lymphomprogress mit Hautmanifestationen. Am 14.07.2005 erfolgte eine allogene Stammzelltransplantation (HLA-identischer, nicht verwandter Spender) nach myeloablativer Konditionierung (Cyclophosphamid 2 x 60 mg/kg und Ganzkörperbestrahlung 12 Gy). Ab 04.08.2005 entwickelte der Versicherte zunehmend Atembeschwerden und musste auf die Intensivstation verlegt werden. Er verstarb am 04.09.2005 aufgrund eines Lungenversagens.

Unter Ansatz der Diagnosis Related Group (DRG) A04D (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, ohne In-vitro-Aufbereitung, HLA-identisch) forderte der Kläger zunächst mit Rechnung vom 27.10.2005 von der Beklagten einen Gesamtbetrag iHv 99.139,75 €. Diese Rechnung wurde unter dem 08.08.2006 storniert und mit stationärer Endabrechnung mit gleichem Datum nunmehr ein Betrag iHv 100.363,91 € gefordert. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Auf Veranlassung der Beklagten überprüfte Dr. Dr. E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) die Krankenhausabrechnung und kam in seinem Gutachten vom 22.12.2005 zu dem Ergebnis, die fremd-allogene Stammzelltransplantation bei hochmalignen Lymphomen therapierefraktär nach autologer Stammzelltransplantation stelle ein hochexperimentelles, nicht evidenzgesichertes Therapieverfahren dar. Solche Therapi...

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