Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Unterkunft und Heizung. Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze. Ermessen der Behörde

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 22 Abs 10 SGB II ist auf die Bildung der Angemessenheitsgrenze für Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB XII analog anzuwenden, soweit die Regelungen hierfür im Übrigen im SGB II und SGB XII inhaltsgleich sind (hier bejaht bei Kosten der Unterkunft und Heizung für Mietwohnraum des allgemeinen Wohnungsmarktes).

2. Ob eine Gesamtangemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 10 SGB II gebildet wird, unterliegt nicht einem behördlichen Ermessen.

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 11. April 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Berufung zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten sind im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2017 Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Gestalt höherer Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Orientierung an einer Gesamtangemessenheitsgrenze im Streit (zum Folgezeitraum siehe das Senatsurteil - L 4 SO 144/19 - vom heutigen Tage).

Der 1951 geborene Kläger beantragte am 21. November 2016 Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, die er seit 1. Januar 2017 auch bezieht. Bis 31. Dezember 2016 bezog er Arbeitslosengeld II. Seine 1956 geborene Ehefrau erhielt auch im streitgegenständlichen Zeitraum bis zum 31. Dezember 2017 Arbeitslosengeld II. Beide wohnen in einer laut Mietbescheinigung vom 26. November 2016 insgesamt 78 m² großen Wohnung, deren Grundmiete seinerzeit monatlich 247,50 € zuzüglich monatlichen Betriebskostenvorauszahlungen i.H.v. 74,00 € sowie monatlichen Heizkostenvorauszahlungen (Öl-Zentral) in Höhe von seinerzeit noch 121,00 € betrug, in der Summe Gesamtkosten i.H.v. 442,50 €. Darüber hinaus waren monatlich 20,00 € für eine Garage bzw. einen PKW-Stellplatz zu zahlen.

Das einzige Einkommen des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum war eine monatlich gezahlte Altersrente i.H. eines Zahlbetrages von zunächst 67,12 € (Bl. 68 der Verwaltungsakte), zuletzt 68,40 €. Ausweislich der zur Verwaltungsakte übermittelten Daten des Jobcenters bestand kein relevantes Vermögen. Die Ehefrau des Klägers erzielte wechselndes Einkommen von einer Gebäudereinigungsgesellschaft zwischen monatlich 58,80 € und 71,05 € (vgl. Vermerk Bl. 134 d.A.).

Im April 2017 teilte der Kläger zunächst mit, die Vorauszahlung sei im Jahr 2017 unverändert. Ab April 2017 wurde die Heizkostenvorauszahlung auf anteilig 44,45 € abgesenkt (Bl. 107 der Gerichtsakte). Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2018 korrigierte die Bevollmächtigte die bisherigen Angaben dahingehend, dass die Bruttokaltmiete 321,50 € und die Heizkostenvorauszahlung 88,90 € für beide Bewohner betragen hätte, insgesamt 410,40 €. Der Anteil des Klägers betrug mithin insgesamt 205,20 €.

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 (Bl. 54 der Verwaltungsakten) bewilligte der Beklagte ab 1. Januar 2017 dem Kläger u.a. eine hälftige monatliche Grundmiete i.H.v. 123,75 €, hälftige monatliche Betriebskostenvorauszahlungen i.H.v. 37,00 € und hälftige monatliche Heizkostenvorauszahlungen i.H.v. 60,50 € (Zahlbetrag einschließlich Regelleistung: 585,25 €). Einkommen wurde zunächst noch nicht zur angerechnet, wobei der Beklagte unter dem 8. Dezember 2016 bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Hessen einen Erstattungsanspruch geltend machte. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass nach § 35 Abs. 1 und 4 SGB XII Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht würden, soweit sie angemessen seien. Überstiegen die Aufwendungen für die Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang, seien sie nur so lange anzuerkennen, als es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zuzumuten sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Neben den Kosten für eine Wohnung müsse diese auch hinsichtlich ihrer Größe angemessen sein. Im Landkreis B-Stadt würden dabei für Haushalte mit 2 Personen Wohnungsgrößen bis zu 60 m² als angemessen angesehen. Bei der Feststellung der angemessenen Heizkosten des Klägers sei somit von einem 2-Personenhaushalt und von einer angemessenen Wohnfläche von max. 60,00 m² auszugehen. Nach aktueller sozialgerichtlicher Rechtsprechung (Hinweis auf Urteile des Bundessozialgerichts vom 2. Juli 2019 - B 14 AS 22/08 R und B 14 AS 36/08 R -) seien die tatsächlich anfallenden Kosten als angemessen anzusehen, soweit sie nicht einen Grenzwert überschritten, der auf unangemessenes Heizen hinweise. Insoweit orientiere sich die Prüfung angemessener Heizkosten am bundesweiten Heizspiegel, wonach sich - heruntergebrochen auf eine 60 m² große Wohnung ...

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