Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. arbeitstechnische Voraussetzung. aromatische Amine. o-Toluidin-Exposition über 20 Jahre. haftungsbegründende Kausalität. Beweisschwierigkeiten hinsichtlich Expositionshöhe. Billigkeitserwägungen: Schätzung. Harnblasenkrebs. Kfz-Mechaniker

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hinsichtlich des Nachweises einer kumulativen Exposition gegenüber o-Toluidin im Bereich von mindestens 30 g und damit der Forderung nach einer Mindest- oder Schwellendosis herrscht kein Konsens in der Wissenschaft.

2. Bei den auftretenden Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Exposition gegenüber aromatischen Aminen sind im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 128 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in die auch Billigkeitserwägungen einfließen dürfen, an den Vollbeweis keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es genügt insoweit eine Schätzung, wenn ausreichende Grundlagen hierfür vorhanden sind.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Februar 2013 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. September 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2011 verurteilt, bei dem Kläger eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers für beide Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit der Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) bzw. einer „Wie-BK“ streitig.

Der 1961 geborene Kläger ist Kfz-Mechaniker-Meister. Er übte folgende Tätigkeiten aus:

Seine Ausbildung absolvierte er von Juni 1977 bis Juli 1980 bei der C. GmbH in A-Stadt, wo er anschließend bis 31. März 1983 als Kfz-Mechaniker beschäftigt war. Nach einem Inhaberwechsel setzte er diese Tätigkeit nunmehr im D. Autohaus mit im Wesentlichen gleichen Aufgaben fort. Es handelte sich hierbei um typische Instandhaltungsarbeiten wie Ölwechsel, Motor- und Vergasereinstellungen, Austausch von größeren Baugruppen, Kupplungs- und Bremsendienst sowie sonstige Reparaturen, aber auch um Entkonservierung von Neuwagen und Motorreinigungen sowie Reinigung der Gruben und Sammelbecken. Während der Tätigkeit im D. Autohaus kamen außerdem vermehrt Arbeiten an Dieselfahrzeugen mit Abgasuntersuchungen hinzu.

Im Januar 1985 wechselte der Kläger als Kundendienstberater zu der Firma E. in E-Stadt. Seine wesentlichen Aufgaben beinhalteten dort die Annahme von Fahrzeugen, Diagnose und Werkstattkoordination und ggf. auch Mitarbeit, die Durchführung von Abgasuntersuchungen, Kundendienstmaßnahmen sowie den Verkauf von Ersatzteilen.

Ab Januar 1988 war der Kläger dann bei der Fa. F. GmbH in F-Stadt als Kundendienstberater und mitarbeitender Kfz-Mechaniker tätig, wobei er die Tätigkeit im ersten Halbjahr 1988 für die Absolvierung eines Meisterkurses unterbrach. In diesem Unternehmen, das überwiegend Fahrzeugtuning durchführte, war der Kläger jeweils hälftig mit administrativen und technischen Aufgaben betraut. Es handelte sich insbesondere um Arbeiten am Motor, wie Diagnose, Motorein- und Ausbau, Reinigung und Endkontrolle.

Nach Liquidation der Firma F. GmbH im Juni 1992 wurde diese im Juli 1992 unter dem Namen G. Ing. Büro GmbH neu gegründet und später in F. Technik GmbH umbenannt. Bei der Fa. G. war der Kläger als Geschäftsführer, bei der Fa. F. Technik GmbH wiederum als Kundendienst- und Werkstattmeister im Bereich der Leistungssteigerung von Motoren tätig.

Ab Juli 2003 war der Kläger sodann bei der Fa. H. HX. als Serviceberater tätig. Seine Hauptaufgaben bestanden dort in der Diagnose von Störungen am Fahrzeug, der Werkstattkoordination, Qualitätskontrolle, der Führung von Kundengesprächen und ähnlichem.

Im September 1999 wurde bei dem Kläger erstmals ein Harnblasenkarzinom diagnostiziert; in den Jahren 2002 und 2005 traten Rezidive auf, im Juni 2006 ein Nierenbeckenurothelcarcinom mit im April 2014 erfolgter Nierenharnleiterentfernung links. Nach umfangreicher operativer Versorgung eines Urothelkarzinoms der prostatischen Harnröhre im Juni 2009, erfolgte unter dem 27. Oktober 2009 durch die Techniker Krankenkasse die Anzeige des Verdachts einer Berufskrankheit.

Die Beklagte holte Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes zur Arbeitsplatzexposition des Klägers bezüglich der BK Nr. 1301 vom 18. Dezember 2009 und vom 19. Januar 2010 ein, wonach im Zeitraum von 1964 bis 1994 in Ottokraftstoffen (Normal und Super) Bleiverbindungen eingesetzt worden seien, die auch einen Farbstoff enthielten. Als Farbstoff zur Kennzeichnung dieser Bleifluids sei in der Regel Sudan Rot verwendet worden, das im Wesentlichen aus Methylderivaten des Azobenzols 4‘ Azo-2 Naphtol bestanden habe. 1986 sei in Deutschland das verbleite Normalbenzin verboten und 1996 auch der Verkauf von verbleitem Superbenzin eingestellt worden. Der Anteil des Azo-Farbstoffes i...

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