Leitsatz (redaktionell)
Formale Mitgliedschaft nach RVO § 315a in den Fällen des ArVNG Art 2 § 51a Abs 4 (AnVNG Art 2 § 49a Abs 4):
Auch in den Fällen, in denen die Wartezeit für die Rente nur aufgrund von nachentrichteten Beiträgen erfüllt und deshalb die KVdR nach ArVNG Art 2 § 51a Abs 4 (AnVNG Art 2 § 49a Abs 4) ausgeschlossen wird, ist vom Tage der Rentenantragstellung an eine formale Mitgliedschaft nach RVO § 315a durchzuführen mit der Folge, daß der Antragsteller Beiträge nach RVO § 381 Abs 3 S 2 zu entrichten hat, die nach RVO § 381 Abs 3 S 3 nicht erstattet werden können; die formale Mitgliedschaft endet in diesen Fällen in entsprechender Anwendung des RVO § 315a Abs 2 S 2 mit dem Ablauf des Monats, in dem die Rente bestandskräftig bewilligt worden ist.
Normenkette
RVO § 315a Abs. 2 S. 2 Fassung: 1956-06-12, § 381 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1969-07-27, S. 3 Fassung: 1956-06-12; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 4 Fassung: 1972-10-16; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1967-12-21, § 315a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1967-12-21; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 10.12.1975; Aktenzeichen L 9 Kr 90/74) |
SG Berlin (Entscheidung vom 19.09.1974; Aktenzeichen S 74 Kr 225/74) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 1975 und des Sozialgerichts Berlin vom 19. September 1974 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger Beiträge zur Rentnerkrankenversicherung (KVdR) für die Zeit ab Rentenantragstellung zu entrichten hat, obwohl die Rentengewährung keine Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) begründet (Art 2 § 49 a Abs 4 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -).
Der Kläger beantragte am 25. Juni 1973 die Gewährung von Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres und meldete sich einige Zeit danach zur Krankenversicherung der Rentner gemäß § 317 Abs 4 RVO an. Als er erfahren hatte, daß er die Beiträge von Rentenantragstellung bis Rentenbewilligung allein tragen müsse, focht er die Meldung zur KVdR an und beantragte Befreiung nach § 173 a RVO.
Nachdem dem Kläger durch Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) am 6. September 1973 Altersruhegeld bewilligt worden war und in diesem Bescheid festgestellt wurde, daß die Rente auf nachentrichteten Beiträgen nach Art 2 § 49 a AnVNG beruhe, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 1974 fest, daß der Kläger durch die Rentenbewilligung nicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO pflichtversichert sei, wohl aber für die Zeit zwischen Rentenantragstellung und Rentenbewilligung nach § 315 a Abs 2 RVO eine Mitgliedschaft in der KVdR bestehe und der Kläger für diese Zeit gemäß § 381 Abs 3 RVO die Beiträge allein zu tragen habe. In einem weiteren Bescheid vom 28. Oktober 1975 wurden die Beiträge angefordert.
Der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. In dem Widerspruchsbescheid wurde auch der Antrag auf Befreiung nach § 173 a RVO abgelehnt (Widerspruchsbescheid vom 2. April 1974). Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger für die streitige Zeit vom 25. Juni 1973 bis 31. Oktober 1973 keine Krankenversicherungsbeiträge schuldet (Urteil vom 19. September 1974). Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Berlin vom 10. Dezember 1975). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Regelungen der §§ 165 Abs 1 Nr 3, 315 a und 381 Abs 3 Satz 2 RVO in untrennbarem Zusammenhang stehen und deshalb die Versicherungspflicht des Rentenantragstellers ausgeschlossen sei, wenn eine Versicherungspflicht für den Rentenbezieher nicht eintrete. Schon aus dem Wortlaut des § 315 a RVO sei dies abzulesen. Die Formalmitgliedschaft nach dieser Vorschrift dauere nämlich nur bis zur endgültigen Ablehnung des Rentenantrages; bei Renten, die auf nachentrichteten Beiträgen nach Art 2 § 49 a AnVNG beruhten, komme es jedoch nicht zur Ablehnung. Auch nach dem Sinn der Vorschrift komme eine Mitgliedschaft nicht in Betracht. Das soziale Schutzbedürfnis, das zur Krankenversicherung der Rentenantragsteller geführt habe, treffe für den Personenkreis, der nach Art 2 § 49 a AnVNG berechtigt sei, nicht zu. Verwaltungsmäßige Schwierigkeiten stünden dieser Lösung nicht entgegen. Es ließen sich durchaus praktikable Lösungen finden, durch die schon vor Erlaß des Rentenbescheides die Krankenkasse Kenntnis davon erhalte, daß es sich voraussichtlich um eine Rente aufgrund von Beiträgen nach Art 2 § 49 a AnVNG handeln werde.
Mit der Revision macht die Beklagte geltend, daß der Wortlaut des § 315 a RVO nicht überbewertet werden dürfe. Es könne im Einzelfall zweifelhaft sein, ob und aufgrund welcher Voraussetzungen der Anspruch auf eine Rente gegeben sei. Der Gesetzgeber habe deshalb den Eintritt des Krankenversicherungsschutzes mit Stellung des Rentenantrags auf jeden Fall sicherstellen wollen. Die Beklagte beruft sich hierzu auf das Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Dezember 1975 - 11 RA 186/74 - (BSGE 41, 85).
Die Beklagte beantragt,
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die Urteile des LSG und SG aufzuheben, und die Klage abzuweisen. |
Der Kläger hat keinen Antrag gestellt.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage.
Die Beklagte hat von dem Kläger zu Recht für die Zeit von der Rentenantragstellung (25. Juli 1973) bis zum Ablauf des Monats, in dem der Bescheid über die Bewilligung der Rente endgültig geworden ist (31. Oktober 1973) die Beiträge erhoben. Der Kläger war in dieser Zeit als Rentenbewerber verpflichtet, die Beiträge als Kassenmitglied nach § 315 a RVO zu tragen (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Wird eine Rente beantragt, ist der Antragsteller entweder kraft Gesetzes nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO in der Krankenversicherung versichert oder nach § 315 a RVO Formalmitglied der Krankenkasse. Welche dieser Vorschrift anzuwenden ist, hängt davon ab, ob der Rentenantragsteller die Voraussetzung für den Bezug einer Rente erfüllt. Das stellt sich jedoch in der Regel erst im Laufe des Rentenverfahrens heraus. Bis dahin kann zweifelhaft sein, ob die versicherungstechnischen, medizinischen oder sonstigen Rentenvoraussetzungen bestehen. Der Krankenkasse kann nicht zugemutet werden, selbst vorweg festzustellen, ob ein Rentenanspruch besteht und welcher Art die beantragte Rente sein wird. Auch den Rentenversicherungsträger würde eine solche Vorwegprüfung vor organisatorische und technische Schwierigkeiten stellen. Der Gesetzgeber will jedoch in jedem Fall sicherstellen, daß Krankenversicherungsschutz mit der Antragstellung eintritt. Er erreicht das mit Hilfe der Alternativen der §§ 165 Abs 1 Nr 3 und 315 a RVO. Welche dieser Vorschriften anzuwenden ist, kann der Träger der Krankenversicherung zunächst offenlassen, zumal die Rechtsfolgen vorerst gleich sind. Der Antragsteller muß zunächst die Beiträge zur Krankenversicherung zahlen (§ 381 Abs 3 Satz 2 RVO). Unterschiedliche Folgen ergeben sich erst nach der Bestandskraft des Bescheides des Rentenversicherungsträgers. Wird Rente bewilligt, gehört der Antragsteller zu den in § 165 Abs 1 Nr 3 RVO bezeichneten Versicherten; der Rentenversicherungsträger hat nach § 381 Abs 2 RVO ab Rentenbeginn Beiträge an den Träger der Krankenversicherung zu leisten. Infolgedessen zahlt dieser die vom Antragsteller zur Krankenversicherung geleisteten Beiträge gemäß § 381 Abs 3 Satz 3 RVO an den Antragsteller zurück. Wird dagegen Rente abgelehnt, entsteht weder eine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers noch kann der Antragsteller verlangen, daß ihm die Beiträge vom Krankenversicherungsträger zurückgezahlt werden.
Mit dem letztgenannten Fall ist jener gleichzusetzen, in dem eine Rente - hier das Altersruhegeld des Klägers - allein auf nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträge beruht. Denn eine solche Rente gilt nach Abs 4 derselben Vorschrift "nicht als Rente im Sinne der §§ 165, 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung". Die durch das Rentenreformgesetz zugelassene Nachentrichtung von Beiträgen gemäß Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG ist eine Sondervergünstigung, die über die den Pflichtversicherten eingeräumte Möglichkeit hinausgeht. Durch solche Beiträge sollen daher keine dauernden Ansprüche auf Leistungen aus der KVdR entstehen (vgl BT-Drucks VI/2916 S. 48). Der Rentner mit einer auf nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruhenden Rente kann also nicht nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO in der Krankenversicherung versichert sein.
Von der Stellung des Rentenantrags bis zum Ablauf des Monats, in dem dem Antragsteller die Rente, die allein auf nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruht, bestandskräftig bewilligt wird, besteht aber eine Formalmitgliedschaft nach § 315 a RVO. Denn auch diese Rentenantragsteller erfüllen die Voraussetzungen des § 315 a Abs 1 Satz 1 RVO. Danach gelten auch solche Personen als Mitglieder der Krankenkasse, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben, ohne die Voraussetzungen für den Bezug der Rente - nämlich einer Rente, die den Versicherungsschutz nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO begründen kann - zu erfüllen. Nur solche Renten sind in § 315 a Abs 1 RVO gemeint (BSGE 41,85). Wie der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 16. Dezember 1975 - 11 RA 186/74 - (BSG aaO.) bereits ausgeführt hat, endet die Formalmitgliedschaft der Klägerin daher in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 315 a Abs 2 Satz 2 RVO mit Ablauf des Monats, in dem ihr die Rente, die allein auf den nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG nachentrichteten Beiträgen beruht, bestandskräftig bewilligt worden ist.
Eine solche Anwendung des § 315 a RVO auf die Bezieher einer sog. "Artikelrente" entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 315 a Abs 1 RVO, wonach Lücken im Krankenversicherungsschutz verhindert werden und Ungewißheit über den Krankenversicherungsschutz sowohl beim Krankenversicherungsträger als auch beim Rentenantragsteller vermieden werden sollen (vgl BSGE 23, 293, 295; SozR Nr 3 zu § 315 a RVO; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, RVO § 315 a Anm 1; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd II S 448 i).
Eine solche Ungewißheit besteht regelmäßig auch dann, wenn der Antragsteller seinen Antrag lediglich auf Beiträge stützt, die nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG nachentrichtet worden sind (vgl als anschauliches Beispiel: BSG, Urteil vom 14. Dezember 1976 - 3 RK 24/75 - das einen Fall betraf, in dem streitig war, ob die Wartezeit von 60 Kalendermonaten erfüllt war). Schwierigkeiten können sich außer bei der Prüfung der Wartezeit auch bei der Prüfung der Halbbelegung ergeben, ua wenn Beiträge entrichtet sind, die unter Art 2 § 54 a AnVNG subsumiert werden können, und ferner wenn Beitrags- und Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, an die der Antragsteller selbst bei Antragstellung nicht gedacht hatte.
Zur Klärung, welche Rente in Betracht käme, kann nämlich auch nicht auf den Antrag des Versicherten abgestellt werden. Dem Antrag auf Gewährung einer Rente aus Beiträgen nach Art 2 § 49 a Abs 2 AnVNG kann keine Beschränkung auf Gewährung einer Rente aus diesen Beiträgen entnommen werden. Ebensowenig liegt in dem Auslassen bestimmter Beitrags- oder Beschäftigungszeiten bei der Antragstellung eine Beschränkung auf die tatsächlich angegebenen Versicherungszeiten. Diese sind vielmehr von Amts wegen zu ermitteln und zu berücksichtigen.
Bis zum 30. Juni 1977 ist es dem Antragsteller auch nicht möglich gewesen, durch eine Willenserklärung die Formalversicherung nach § 315 a RVO auszuschließen. Eine solche Möglichkeit hat der Gesetzgeber erst durch die Einführung des § 315 b RVO ab 1. Juli 1977 im Gesetz zur Dämpfung der Ausgabenentwicklung und zur Strukturverbesserung in der gesetzlichen Krankenversicherung - Krankenversicherungskostendämpfungsgesetz (KVKG - Art 1 § 1 Nr 26 iVm Art 2 § 17 -) - geschaffen. Daraus ist zu folgern, daß bis zum 30. Juni 1977 mit der Stellung eines Rentenantrages - ohne Rücksicht auf seine Formulierung - der Beginn der Formalversicherung nach § 315 a RVO in keinem Fall ausgeschaltet werden konnte. Dies alles läßt erkennen, daß es dem Sinn und Zweck des § 315 a Abs 1 RVO entspricht, einen Antragsteller auch dann als Formalmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehen, wenn er später eine Rente im Sinne des Art 2 § 49 a Abs 4 AnVNG erhält.
Durch die Einbeziehung der Rentenantragsteller, die mit Dem Rentenbescheid nur eine auf nach Art 2 § 49 a AnVNG nachentrichteten Beiträge beruhende Rente beziehen, in die Regelung des § 315 a RVO wird der Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes - GG -) nicht verletzt.
Die Formalversicherung nach § 315 a RVO bringt dem hier betroffenen Rentenantragsteller keineswegs nur Nachteile. Das widerlegt schon der gewährte Versicherungsschutz. Außerdem bestehen wie bei anderen Versicherten Freistellungsmöglichkeiten nach den §§ 165 Abs 6, 173 a RVO. Der Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht hatte nur deshalb keinen Erfolg, weil die - auch für andere Versicherte geltenden - Voraussetzungen nicht vorlagen.
Bei Vergleich mit anderen Versicherten ist zu beachten, daß die hier in Betracht kommenden Versicherten zwar später eine Rente erhalten, aber eine solche, die eine Mitgliedschaft in der KVdR (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO) gemäß Art 2 § 49 a Abs 4 AnVNG nicht begründet. Insoweit sind sie wesentlich gleich mit denjenigen Rentenantragstellern, deren Rente abgelehnt wird und die deshalb ebenfalls nicht in die KVdR nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO gelangen können. Die Regelung ist somit vom Gesetzgeber nicht willkürlich, dh ohne sachlich einleuchtenden Grund getroffen, so daß der Gleichheitssatz nicht verletzt ist (BVerfGE 1, 52; 35, 272).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen