Leitsatz (redaktionell)

1. Ein gerügter Verfahrensmangel muß auch dann zur Statthaftigkeit der Revision führen, wenn der Mangel auch nur einer der vom Berufungsgericht gegebenen zwei selbständigen Begründungen für seine Entscheidung anhaftet. Ob aber der gerügte Verfahrensmangel zur Aufhebung des Berufungsurteils führen muß oder ob das Berufungsurteil etwa allein aus der anderen Begründung gemäß SGG § 170 Abs 1 S 2 aufrecht erhalten werden kann, ist eine andere Frage.

2. Hat ein Hirnverletzter innerhalb kurzer Zeit mehrere Verkehrsunfälle mit einem Kraftfahrzeug verursacht und fährt er trotzdem wieder ein Kraftfahrzeug, so sind die Schädigungsfolgen nicht Ursache seines Todes bei einem weiteren Unfall.

Enthalten die Urteilsgründe zwei selbständige Begründungen für die Entscheidungen des LSG, so ist die Revision schon dann statthaft, wenn eine dieser Begründungen verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustande gekommen ist.

 

Normenkette

BVG § 38 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; SGG § 170 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 1962 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2) bis 5), der im Jahre 1917 geborene Kaufmann K L - nachfolgend mit L. bezeichnet -, erhielt zuletzt aufgrund des Umanerkennungsbescheides vom 27. Juni 1952 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v. H. nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Anerkannt waren als Schädigungsfolgen "Knochendefekt am rechten Scheitelbein hinten, dem rechten Felsenbein aufliegender Stecksplitter am Schädelgrund, Gesichtsfeldeinschränkung nach links, kleine Rippenfellschwarte rechts nach Schußverletzung".

Am 15. Februar 1956 verursachte L. auf vereister Straße einen Verkehrsunfall, bei dem er zwei Frauen verletzte. Das Amtsgericht Gummersbach verurteilte ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von DM 50,-. Am 9. Mai 1956 streifte L. auf der Bundesstraße 54 infolge überhöhter Geschwindigkeit in einer leichten Linkskurve drei auf der rechten Straßenseite stehende Bäume und prallte sodann auf einen vierten Baum. Er erlitt dabei schwere Verletzungen. Das von der Staatsanwaltschaft (StA) eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde mangels eines nachweisbaren Verschuldens eingestellt. Am 18. Juli 1956 fuhr L. auf einer völlig verkehrsfreien Straße in Bonn auf einen auf dieser Straße liegenden Pappkarton, geriet gegen die rechte Bordsteinkante und fuhr etwa 117 m weiter gegen einen Baum. Er erlitt dabei eine Gehirnerschütterung. Auch das hierauf eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Am 1. September 1956 fuhr L. in einer leichten Rechtskurve auf freier Straße mit hoher Geschwindigkeit von der rechten auf die linke Fahrbahnseite, überfuhr den Gehweg und prallte gegen einen Straßenbaum. Er starb an den dabei erlittenen schweren Verletzungen.

Die Kläger stellten am 24. Oktober 1956 Antrag auf Hinterbliebenenrente und am 8. Februar 1957 Antrag auf Bewilligung des vollen Bestattungsgeldes. Das Versorgungsamt (VersorgA) lehnte die Gewährung des vollen Bestattungsgeldes mit Bescheid vom 7. Oktober 1957 ab und gewährte ein Bestattungsgeld von DM 150,-. Der Hinterbliebenenrentenantrag wurde mit Bescheid vom 8. Oktober 1957 abgelehnt. Der Widerspruch gegen diese beiden Bescheide war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. März 1958).

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat mit Urteil vom 21. Januar 1959 die Klage gegen beide Bescheide abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat im Berufungsverfahren ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N vom Medizinisch-Psychologischen Institut für Verkehrs- und Betriebssicherheit in K eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 5. Mai 1960 wörtlich ausgeführt: "Dadurch, daß dem tödlichen Unfall jeweils im Abstand weniger Monate noch zwei weitere Unfälle vorausgegangen sind und weil von allen mindestens zwei nicht näher aufgeklärt werden konnten, müssen die genannten kurzfristigen Bewußtseinsstörungen ein beweismäßiges Übergewicht vor den anderen schädigungsunabhängigen Gründen, die als Unfallursache in Frage kämen, gewinnen ..." "Der Tod des L. ist also mit Wahrscheinlichkeit wesentlich auf die anerkannte Wehrdienstbeschädigung zurückzuführen. L. ist infolge des Versorgungsleidens, genauer wegen der genannten Anfälle und der Gesichtsfeldeinschränkung absolut kraftfahruntauglich ... für alle Fahrzeugklassen. Da L. nach den Akten voll zurechnungsfähig gewesen ist, hätte er erkennen müssen, daß er sich bei der Art seines Leidens nicht an das Steuer eines Kraftfahrzeuges setzen durfte und hätte das Autofahren, insbesondere nach den gehäuften unerklärlichen Unfällen des Jahres 1956, aufgeben müssen. Inwieweit durch sein Verhalten im rechtlichen Sinne die von der Kriegsbeschädigung zum Unfall führende Kausalkette durchbrochen worden ist, kann allerdings ärztlicherseits nicht geklärt werden und obliegt zu entscheiden allein dem Gericht". Im Termin zur mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil des LSG folgte, haben die Kläger noch vorgetragen, daß L. sich nach dem Unfall im Mai 1956 nach Rücksprache mit einem Arzt vorwiegend von dritten Personen habe fahren lassen und nur ganz vereinzelt und meist nur auf kürzeren Strecken den Wagen selbst gefahren habe.

Das LSG hat mit Urteil vom 24. Oktober 1962 die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Dortmund vom 21. Januar 1959 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß L. nicht an seiner anerkannten Schädigungsfolge verstorben sei; der tödliche Verkehrsunfall vom 1. September 1956 könne nicht auf die anerkannten Schädigungsfolgen zurückgeführt werden. Die Tatsache der Anerkennung der Schädigungsfolgen allein reiche nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen den anerkannten Schädigungsfolgen und dem Verkehrsunfall anzunehmen "denn nach dem Bericht des Polizeibeamten Sauer, der den Unfall aufgenommen hat, war L. ohne feststellbaren Grund und ohne Spuren zu hinterlassen von seiner Fahrbahnseite nach links hinübergefahren und fast frontal gegen einen Straßenbaum geprallt". Danach sei überhaupt nicht festzustellen, aus welchem Grunde L. von seiner Fahrbahn abgewichen und gegen den Baum gefahren sei. Es sei also nicht erwiesen, daß die Hirntraumafolgen und insbesondere die Gesichtsfeldeinschränkung die Ursache für das Versagen von L. gewesen seien. Nach den Grundsätzen über die objektive Beweislast im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit müßten die Kläger die Folgen des Nichtfestgestelltseins der anspruchsbegründenden Tatsachen selbst tragen.

Das LSG führt sodann weiter aus: "Aber selbst wenn feststehen würde, daß Auswirkungen der anerkannten Schädigungsfolgen den unmittelbaren Anlaß für den tödlichen Unfall gegeben hätten, könnte dem Anspruch der Kläger nicht stattgegeben werden." In diesem Fall seien die anerkannten Schädigungsfolgen im Sinne der in der Kriegsopferversorgung (KOV) geltenden Kausalitätsnorm nur eine unwesentliche Teilursache für den Unfall. Aus den vorangegangenen drei Unfällen hätte L., der trotz der Hirnverletzung voll zurechnungsfähig gewesen sei, die Lehre ziehen müssen, daß er sich bei der Art seiner Leiden überhaupt nicht mehr an das Steuer eines Kfz. setzen durfte. Es habe nicht genügt, daß er sich nur bei längeren Fahrten von anderen Personen habe fahren lassen. Er hätte vielmehr überhaupt auf jegliches Führen eines Kfz. verzichten müssen. Dem Umstand, daß er sich trotz seiner Leiden und der vorangegangenen Unfälle auch weiterhin ans Steuer seines Wagens gesetzt habe, sei die entscheidende Bedeutung für den Unfall vom 1. September 1956 beizumessen. Diesem Umstand käme gegenüber anderen Ursachen, insbesondere auch der Tatsache der Hirnverletzung, überragende Bedeutung zu. Das Selbstfahren des Kfz. durch L. sei somit allein die wesentliche Bedingung für den tödlichen Unfall. Bei dieser Sach- und Rechtslage sei es nicht mehr erforderlich gewesen, die von den Klägern benannten Zeugen zu hören, weil die in das Wissen dieser Zeugen gestellten Tatsachen als zutreffend unterstellt worden seien und die Entscheidung nicht hätten beeinflussen können.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Die Kläger haben gegen dieses am 20. November 1962 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 30. November 1962, der an demselben Tage beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen ist, Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 7. Dezember 1962, eingegangen beim BSG am 12. Dezember 1962, begründet.

Sie beantragen,

1. unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Dortmund vom 21. Januar 1959 sowie der Bescheide des Beklagten vom 7. und 8. Oktober 1957 und vom 28. März 1958 den Beklagten zu verurteilen, den Klägern das volle Bestattungsgeld und ab 1. November 1956 Hinterbliebenenrente zu gewähren,

2. hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen,

3. den Beklagten ferner zu verurteilen, den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

In der Revisionsbegründung vom 7. Dezember 1962, auf die im übrigen Bezug genommen wird, rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und eine Verletzung des Gesetzes bei der Anwendung der in der KOV geltenden Kausalitätsnorm (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG) durch das LSG. Sie tragen hierzu vor, daß das LSG nicht alle Umstände berücksichtigt und geprüft habe, die zu beachten gewesen wären. Da nach dem Bericht des Polizeibeamten S feststehe, daß der Verunglückte ohne erkennbaren äußeren Grund und ohne Spuren zu hinterlassen gegen einen Straßenbaum gefahren sei, sei nur bewiesen, daß die Straßen- und Verkehrslage sowie die Beschaffenheit des Fahrzeuges als Unfallursache auszuscheiden hätten. Den sonstigen Umständen nach müßten die Folgen der Hirnverletzung als Ursache des Unfalls angesehen werden. Soweit das LSG seine Ablehnung damit begründet habe, daß die anspruchsbegründenden Tatsachen nicht nachgewiesen seien, habe es § 128 SGG auch deshalb verletzt, weil das Gutachten von Dr. N nicht berücksichtigt worden sei. Eine Würdigung dieses Gutachtens sei notwendig gewesen, weil Dr. N unter eingehender Würdigung und Abwägung aller Umstände den tödlichen Unfall eindeutig auf die anerkannte Wehrdienstbeschädigung zurückgeführt habe. Das LSG habe somit seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.

Das angefochtene Urteil sei aber auch insoweit nicht bedenkenfrei, als das LSG bei der Unterstellung eines Zusammenhangs zwischen dem Unfall und den anerkannten Schädigungsfolgen diese nur als eine unwesentliche Teilursache des Unfalls angesehen habe. Bei richtiger Anwendung der auf dem Gebiet der KOV geltenden Kausalitätsnorm hätte das LSG die anerkannten Schädigungsfolgen zumindest als eine wesentliche Teilursache ansehen müssen. Wenn das LSG seine Feststellungen damit begründe, daß L. trotz seiner Hirnverletzung voll zurechnungsfähig gewesen sei und aus den voraufgegangenen Unfällen seine Fahruntüchtigkeit hätte erkennen müssen, so trage diese Argumentation den tatsächlichen Verhältnissen keine Rechnung. Zwar habe auch der Gutachter in seinem Gutachten vom 5. Mai 1960 L. für voll zurechnungsfähig gehalten, jedoch sei damit noch nichts über die Einsichtsfähigkeit des L. gesagt. Aus den in den Versorgungsakten befindlichen Gutachten ergebe sich, daß L. als Folge der anerkannten Hirnverletzungen an bestimmten Ausfallserscheinungen gelitten habe. Das hätte aber das LSG berücksichtigen müssen. Es hätte daher die rein ärztlicherseits zu beurteilende Frage der vollen Zurechnungsfähigkeit nicht von sich aus beantworten dürfen, sondern sich gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt durch Einholung eines Gutachtens eines Psychologen oder Neurologen dahingehend aufzuklären, ob L. infolge seiner Hirnverletzung eine so genügende Krankheitseinsicht gehabt habe, um bereits nach den vorangegangenen Unfällen das Autofahren völlig aufzugeben. Das LSG wäre dann zu der Feststellung gelangt, daß es L. infolge seiner Hirnverletzung an einer ausreichenden Einsicht gefehlt habe, und daß er deshalb für das Fahren mit seinem Kraftwagen nicht verantwortlich zu machen sei. Weiterhin hätte das LSG noch aufklären müssen, ob die den L. behandelnden Ärzte überhaupt jemals das Autofahren vollständig verboten hatten. Hierzu wäre der behandelnde Arzt Dr. med. W. v. S zu hören gewesen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er hält die von den Klägern erhobenen Rügen für nicht gerechtfertigt; wegen seines Vorbringens wird auf den Inhalt seines Schriftsatzes vom 11. Januar 1963 verwiesen.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, findet sie nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).

Zwischen den Beteiligten besteht Streit darüber, ob die Kläger einen Anspruch auf das volle Bestattungsgeld (§ 36 BVG) und Hinterbliebenenbezüge (§ 38 BVG) haben. Das LSG hat diese Ansprüche der Kläger mit zwei verschiedenen Begründungen verneint. Es hat zunächst ausgeführt, es sei nicht erwiesen, daß der Verkehrsunfall vom 1. September 1956 tatsächlich auf die bei L. anerkannten Schädigungsfolgen zurückzuführen ist. Sodann verneint es die Ansprüche selbst für den Fall, daß ein tatsächlicher Zusammenhang bestehen würde, weil dann nicht die Hirnverletzung des L., sondern dessen eigenes Verhalten die wesentliche Bedingung für den tödlichen Unfall gewesen sei.

Wortlaut und Inhalt der Urteilsgründe ergeben, daß das LSG seine Entscheidung mit zwei selbständigen Begründungen rechtfertigen wollte, wobei es jeweils unterschiedliche Tatbestände hinsichtlich des Bestehens eines tatsächlichen Zusammenhangs zugrunde legte und wobei jede Begründung für sich allein die Ablehnung der geltend gemachten Ansprüche rechtfertigen sollte. Jedenfalls ergibt sich aus dem Urteil nicht, daß nur die eine Begründung die Entscheidung tragen und die andere nur eine bedeutungslose Erwägung des Gerichts sein soll. Bei einer solchen doppelten Begründung ist die Revision schon dann statthaft, wenn auch nur eine dieser Begründungen verfahrensrechtlich nicht einwandfrei zustande gekommen ist; es kommt für die Statthaftigkeit der Revision nicht darauf an, ob auch die hinsichtlich der anderen Begründung geltend gemachten Rügen wesentlicher Mängel des Verfahrens durchgreifen.

Da es der Sinn der Verfahrensrevision ist, d. h. der Statthaftmachung der Revision durch die Rüge von Verfahrensmängeln, ein auf fehlerhaftem Verfahren beruhendes Berufungsurteil der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zuzuführen, muß ein gerügter Verfahrensmangel auch dann zur Statthaftigkeit der Revision führen, wenn der Mangel auch nur einer der vom Berufungsgericht gegebenen Begründungen für seine Entscheidung anhaftet. Ob dieser Mangel aber zur Aufhebung des Berufungsurteils führen muß oder ob das Berufungsurteil etwa allein aus der anderen vom Berufungsgericht gegebenen Begründung gemäß § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG aufrecht erhalten werden kann, ist eine andere Frage.

Im vorliegenden Fall rügen die Kläger zu Recht, daß das Verfahren des LSG hinsichtlich seiner ersten Begründung an einem wesentlichen Mangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG leidet. Das LSG hat ausgeführt, die Tatsache der Hirnverletzung allein reiche nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen den Schädigungsfolgen und dem Unfall anzunehmen, "denn nach dem Bericht des Polizeibeamten S ... war L. ohne feststellbaren Grund ... gegen einen Straßenbaum geprallt". Zwar gibt diese Schlußfolgerung Anlaß zu Bedenken, weil aus dem Umstand, daß die Polizei keinen Grund für den tödlichen Unfall feststellen konnte, noch nicht ohne weiteres zu folgern ist, daß also auch die Hirnverletzung des L. nicht Ursache des Unfalles gewesen sein könne. Das LSG wollte jedoch offensichtlich nur auf die für die Kläger ungünstige Beweislage hinweisen; denn es fährt sodann fort, "danach ist überhaupt nicht festzustellen, aus welchem Grunde L. von seiner Fahrbahn abgewichen und gegen den Baum gefahren ist ...". Bei vernünftiger Würdigung auch der weiteren Darlegungen über die Folgen der objektiven Beweislosigkeit hat das LSG die Feststellung treffen wollen, daß sich aus der Fahrweise des L. am Unfalltage kein Beweis für die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs des Verkehrsunfalls mit seiner Hirnverletzung habe erbringen lassen. Die gegen diese Feststellung gerichtete Rüge, das LSG habe dabei das Gutachten des Dr. N vom 5. Mai 1960 nicht berücksichtigt und damit sein Urteil nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (§ 128 SGG), greift durch. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es hat in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für seine Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel in bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das LSG die gesetzlichen Grenzen seines Rechts, die Beweise frei zu würdigen, überschritten, insbesondere gegen Erfahrungssätze des täglichen Lebens oder gegen Denkgesetze verstoßen hat (BSG 2, 236). Das Gericht verstößt auch dann gegen § 128 Abs. 1 SGG, wenn das Gutachten eines Sachverständigen in einem für die Entscheidung des Rechtsstreits wesentlichen Punkt in den Urteilsgründen übergangen worden ist und deshalb das Urteil nicht erkennen läßt, daß das Gericht seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat (BSG in SozR SGG § 162 Bl. Da 15 Nr. 58). Zwar bedarf es für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht notwendig eines ausdrücklichen Eingehens auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten oder einer ausdrücklichen Auseinandersetzung mit jedem Gutachten, jedoch muß sich aus dem Urteil ergeben, daß das LSG alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat (siehe dazu BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 1 Nr. 1). Im vorliegenden Fall hat das LSG bei seiner ersten Begründung das Gutachten des Dr. N vom 5. Mai 1960 weder gewürdigt noch sonst ersichtlich berücksichtigt, obwohl Dr. N vornehmlich unter Berücksichtigung der vorausgegangenen ungeklärten Unfälle zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Folgen der Hirnverletzung und insbesondere die Sehfeldeinschränkung nach links mit Wahrscheinlichkeit als Ursache des tödlichen Unfalls in Betracht kommen. Das LSG hätte innerhalb dieses Abschnittes seiner Urteilsgründe dieses Gutachten würdigen müssen, weil in diesem Gutachten gerade zu der Frage Stellung genommen ist, von der das LSG seine Entscheidung mit der ersten Begründung abhängig gemacht hat. Wenn es ohne erkennbare Berücksichtigung dieses Gutachtens zu dem Ergebnis gekommen ist, daß die Ursächlichkeit der Hirnverletzung für den tödlichen Unfall nicht hätte festgestellt werden können, so hat es damit § 128 SGG verletzt. Die Revision ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft.

Die Revision ist jedoch nicht begründet, denn die Entscheidung stellt sich aus anderen Gründen, nämlich aus den Gründen, die das LSG im zweiten Teil seiner Entscheidungsgründe angeführt hat, als richtig dar (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG). Bei dieser Begründung, bei welcher das LSG unterstellt hat, daß in tatsächlicher Beziehung auch die Hirnverletzung Ursache für den Eintritt des tödlichen Unfalls des L. gewesen ist, hat es ohne Rechtsirrtum angenommen, daß der Anspruch der Kläger auf das volle Bestattungsgeld (§ 36 Abs. 1 BVG) und auf Hinterbliebenenrente (§ 38 Abs. 1 BVG) im vorliegenden Fall nur dann begründet wäre, wenn die anerkannte Hirnverletzung des L. auch wesentliche Bedingung, d. h. Ursache im Rechtssinne für den Unfall vom 1. September 1956 gewesen ist. Das LSG ist bei dieser Beurteilung von der für das Gebiet der KOV geltenden Kausalitätsnorm ausgegangen, wonach nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß der Erfolg entfiele, als ursächlich anzusehen ist (Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne), sondern nur diejenige, die im Verhältnis zu den anderen Einzelbedingungen wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (BSG 1, 72, 150, 268 mit weiteren Hinweisen). Das LSG hat zu seiner Beurteilung über die Wesentlichkeit der Bedingungen für den Unfall festgestellt, daß L. trotz der bei ihm anerkannten schweren Hirnverletzung voll zurechnungsfähig war. Es hat daraus gefolgert, daß L. aus den drei voraufgegangenen Unfällen hätte die Lehre ziehen müssen, daß er sich bei der Art seines Leidens überhaupt nicht mehr ans Steuer eines Kraftwagens setzen durfte. Er habe dieser Erkenntnis nicht dadurch genügt, daß er sich nur bei längeren Fahrten von anderen Personen habe fahren lassen, vielmehr hätte er überhaupt auf jegliches Führen eines Kraftfahrzeuges verzichten müssen. Das hat L. aber nicht getan. Das LSG hat daher gegenüber den Auswirkungen der anerkannten Schädigungsfolgen das Verhalten des L. als die allein wesentliche Bedingung für seinen Tod am 1. September 1956 angesehen. Die hiergegen von der Revision vorgetragenen Rügen richten sich in erster Linie gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG, die das LSG zur Beurteilung der Wesentlichkeit des Verhaltens des L. für den Eintritt des Unfalls getroffen hat. Diese Rügen greifen jedoch nicht durch. Soweit sich die Kläger gegen die Feststellung des LSG wenden, L. sei zurechnungsfähig gewesen, wollen sie offensichtlich eine Verletzung der §§ 103 und 128 SGG geltend machen. Eine solche Verletzung ist nicht ersichtlich. Entgegen der Auffassung der Revision hat das LSG die Feststellung über die Zurechnungsfähigkeit des L. nicht ohne das Gutachten eines Sachverständigen getroffen. Ihm hat vielmehr das Gutachten des Dr. N. vom 5. Mai 1960 zur Verfügung gestanden, das vom LSG im Tatbestand des Urteils zum großen Teil wörtlich auch insoweit inhaltlich wiedergegeben ist, als der Gutachter zur Frage der Zurechnungsfähigkeit des L. Stellung genommen hat. Das LSG durfte somit auf Grund der Ausführungen des Dr. N die Feststellung treffen, daß L. zurechnungsfähig gewesen ist, zumal der Sachverständige die Ausfallserscheinungen, deren Berücksichtigung die Kläger bei der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des L. notwendig ansehen, ausdrücklich bei seiner Gesamtbeurteilung gewürdigt hat. Die Revision hat keine Tatsachen und Beweismittel im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG dafür angegeben, daß das LSG noch andere die Zurechnungsfähigkeit des L. betreffende Tatsachen hätte aufklären oder berücksichtigen müssen. Ebenso fehlt es an Angaben der Kläger darüber, wie nach dem Tod des L. anders als an Hand der vorhandenen Akten eine gutachtliche Äußerung eines Sachverständigen über die Zurechnungsfähigkeit des L. hätte erfolgen können und welche Beweismittel dem LSG dafür zur Verfügung gestanden hätten (s. a. BSG in SozR SGG § 164 Bl. Da 10 Nr. 28). Gleichermaßen geht die Auffassung der Kläger fehl, das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, über die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit hinaus noch Beweis darüber zu erheben (§ 103 SGG), ob L. infolge seiner Hirnverletzung eine so genügende Krankheitseinsicht gehabt habe, um nach den voraufgegangenen Unfällen das Autofahren völlig aufzugeben. Abgesehen davon, daß die Kläger gegenüber dem LSG keine Tatsachen angegeben haben, aus denen ersichtlich gewesen wäre, daß L. in seiner Einsichtsfähigkeit vermindert gewesen ist, umfaßt die bei L. festgestellte Zurechnungsfähigkeit gleichzeitig dessen Einsichtsfähigkeit. Das ergibt sich schon aus dem Begriff der Zurechnungsfähigkeit, wie er auch in § 51 des Strafgesetzbuches gebraucht wird, wonach die Zurechnungsfähigkeit das Vorhandensein der Einsichtsfähigkeit und der Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, voraussetzt. Daß auch Dr. N in seinem Gutachten vom 5. Mai 1960 den Begriff der Zurechnungsfähigkeit in diesem Sinne gebraucht hat, konnte das LSG ohne weiteres aus der Stellung dieses Gutachters beim Medizinisch-psychologischen Institut für Verkehrs- und Betriebssicherheit annehmen, außerdem spricht der Gutachter ausdrücklich die Einsichtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit des L., wenn er ausführt, L. hätte erkennen müssen, daß er sich bei der Art seines Leidens nicht an das Steuer eines Kraftwagens setzen durfte, und hätte das Autofahren aufgeben müssen. Das LSG hatte sonst keinen Anlaß, noch besonders über die Einsichtsfähigkeit des L. einen Sachverständigen zu hören.

Soweit die Kläger offenbar die Feststellung der Zurechnungsfähigkeit des L. angreifen wollen und dazu vortragen, L. habe nicht erkennen müssen, daß er nicht mehr ein Kraftfahrzeug führen dürfe, weil er in den Jahren 1946 bis 1956 rund 500000 km unfallfrei gefahren sei, so kann dieses Vorbringen, mit dem die Kläger eine Verletzung des § 128 SGG durch das LSG rügen wollen, schon deshalb nicht berücksichtigt werden, weil es sich hierbei um ein neues tatsächliches Vorbringen in der Revisionsinstanz handelt. Die Bescheinigung des Fahrlehrers von R vom 9. Juli 1962 befindet sich nicht in den Akten, so daß ihr Inhalt dem LSG nicht bekannt war und daher auch bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt werden konnte. Im übrigen war es für die Entscheidung des LSG ohne Bedeutung, wie lange L. vor 1956 unfallfrei gefahren ist, denn das LSG hat allein die späteren drei Unfälle, die dem tödlichen Unfall vorausgingen, als ausschlaggebend dafür angesehen, daß L. seine Fahruntüchtigkeit erkennen und das Fahren seines Kraftfahrzeuges aufgeben mußte. Weiterhin war auch das LSG auf die Behauptung der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung hin, "daß L. sich nach dem Unfall im Mai 1956 nach Rücksprache mit einem Arzt vorwiegend von Dritten habe fahren lassen und nur vereinzelt und meist kürzere Strecken selbst den Wagen geführt habe", nicht gehalten, noch den behandelnden Arzt Dr. v. S. zu hören. Von dieser Behauptung der Kläger hat das LSG als Tatsache unterstellt, daß L. sich auf längeren Fahrten von anderen Kraftfahrern habe fahren lassen. Nur für diese Behauptung hatten die Kläger Beweismittel angegeben. Im übrigen hatten sie weder den Arzt benannt, mit dem L. angeblich Rücksprache genommen hatte, noch hatten sie überhaupt Näheres über den Gegenstand und das Ergebnis der Rücksprache angegeben. Unter diesen Umständen war das LSG nicht gehalten, nach dem beratenden Arzt und dem Inhalt der Beratung zu forschen, denn es konnte annehmen, daß die Kläger selbst hierzu Näheres angegeben hätten, wenn sie in der Richtung eine ihnen günstige Tatsache hätten behaupten wollen und können. Hinzu kommt, daß die Kläger selbst nicht behauptet hatten, der tödliche Unfall habe sich beim Antritt einer "kürzeren Fahrt" ereignet, die von dem angeblichen Fahrverbot des Klägers nicht erfaßt sei, so daß auch insofern der Inhalt der Rücksprache zwischen L. und dem Arzt für die Entscheidung des LSG ohne Bedeutung sein konnte. Ferner kommt hinzu, daß die Rücksprache des L. mit einem Arzt bereits nach dem Unfall im Mai 1956 stattgefunden haben soll, dagegen hatte L. noch im Juli 1956 wiederum einen Unfall, der nach Ansicht des LSG der letzte Anlaß für den Kläger bilden mußte, das Fahren aufzugeben, so daß auch insofern für das LSG nicht mehr ausschlaggebend sein konnte, ob früher einmal unter anderen Verhältnissen ein Arzt dem L. das Führen seines Kraftfahrzeuges nur auf längeren Fahrten verboten hatte. Ob der eine oder andere Grund für das Verfahren des LSG ausschlaggebend gewesen ist, kann dahinstehen, jedenfalls bestand für das LSG den gegebenen Umständen nach kein Anlaß, den behandelnden Arzt Dr. v. S. zu hören.

Die tatsächlichen Feststellungen des LSG haben die Kläger somit nicht mit Erfolg angreifen können. Die Wertung, die das LSG aufgrund dieser Feststellungen hinsichtlich der Frage vorgenommen hat, ob die Hirnverletzung des L. oder andere Tatsachen die wesentliche oder eine der wesentlichen Bedingungen im Sinne der in der KOV geltenden Kausalitätsnorm für den Tod des L. gewesen sind, ist aber frei von einem Rechtsirrtum. Das LSG hat zutreffend angenommen, daß die wesentliche Bedingung für den tödlichen Unfall am 1. September 1956 L. selbst durch sein eigenes Verhalten, für das er verantwortlich war, gesetzt hat; der Hirnverletzung kommt demgegenüber nur eine untergeordnete nicht wesentliche Bedeutung zu. Diese ist nicht Ursache im Rechtssinne für den Tod des L. gewesen. Die Kläger haben daher keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente oder auf die Gewährung des vollen Bestattungsgeldes im Sinne der §§ 36, 38 BVG, wie das LSG richtig entschieden hat. Die Revision der Kläger ist somit unbegründet und war gemäß § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340605

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