Entscheidungsstichwort (Thema)

Unterhaltsanspruch. Schuldausspruch des Ehescheidungsurteils

 

Leitsatz (amtlich)

Im Verfahren wegen Gewährung der Witwenrente an die frühere Ehefrau (BVG § 42) kann der Schuldausspruch des rechtskräftigen, die Aufhebung der Ehe aussprechenden Urteils von Versorgungsbehörden und Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit auf seine sachliche Richtigkeit nicht geprüft werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Schuldausspruch des Eheaufhebungsurteils ist entscheidend für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch eines der Ehegatten.

2. Ist der Ehemann bei Aufhebung der Ehe nicht für schuldig erklärt worden, so stand der Ehefrau kein Unterhaltsanspruch gegen ihn zu. Sie hat daher auch keinen Rentenanspruch nach BVG § 42.

 

Normenkette

BVG § 42 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20; EheG § 42 Abs. 2 Fassung: 1938-07-06, § 66 Fassung: 1938-07-06, § 67 Fassung: 1938-07-06, § 68 Fassung: 1938-07-06, § 69 Abs. 2 Fassung: 1938-07-06

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 1956 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Der frühere Ehemann der Klägerin, W Sch, hat 1940 gegen die Klägerin Scheidungsklage wegen Zerrüttung der Ehe durch Verschulden der Klägerin erhoben. Die Klägerin erhob Widerklage auf Aufhebung der Ehe wegen Irrtums und arglistiger Täuschung, weil W Sch ihr seine Vorstrafen nicht mitgeteilt habe. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts (LG.) München I vom 3. Juli 1941 wurde die Scheidungsklage abgewiesen und auf die Widerklage die Ehe nach dem Ehegesetz (EheG) vom 6. Juli 1938 aufgehoben. Die Urteilsformel enthält keinen Schuldausspruch. In den Gründen ist ausgeführt, arglistige Täuschung sei nicht anzunehmen; es bestehe keine genügende Veranlassung, den Ehemann für schuldig anzusehen, weil keine Anhaltspunkte dafür vorlägen, daß ihm bei Eingehen der Ehe bewußt war, daß die Ehefrau über seine kriminelle Unbescholtenheit im Irrtum gewesen und daß dies für ihren Entschluß, ihn zu heiraten, von ursächlicher Bedeutung gewesen sei. Seit 1944 ist W Sch vermißt.

Das Versorgungsamt (VersorgA.) hat mit Bescheid vom 24. Oktober 1951 den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) abgelehnt, weil der Vermißte nach den eherechtlichen Vorschriften nicht Unterhalt zu gewähren hätte.

Das Oberversicherungsamt (OVA.) hat mit Urteil vom 25. Juni 1952 die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Das LG. habe zu Recht im Eheaufhebungsurteil eine Schuld des Ehemannes nicht festgestellt.

Der Rekurs der Klägerin ist als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) übergegangen. Dieses hat mit Urteil vom 20. April 1956 die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Frage, ob eine Unterhaltspflicht des Verschollenen gegenüber der Klägerin bestehen würde, wenn er noch lebte, müsse aus dem Eheaufhebungsurteil beantwortet werden. Aus den Gründen dieses Urteils ergebe sich, daß das LG. keine Veranlassung gesehen habe, den Ehemann für schuldig an der Aufhebung der Ehe zu erklären. Die aus dem Fehlen eines Schuldausspruchs in der Urteilsformel in Verbindung mit den Urteilsgründen sich ergebende Feststellung, daß kein Verschulden vorgelegen habe, sei der Rechtskraft fähig. Nach § 17 der Durchführungsverordnung (DurchfVO) zum EheG vom 27. Juli 1938 (RGBl. I S. 923) mußte im Urteil ausgesprochen werden, wenn bei Aufhebung der Ehe ein Ehegatte als schuldig anzusehen war. Dem Begehren der Klägerin, die Ehe als wegen arglistiger Täuschung aufgehoben und den Ehemann für schuldig anzusehen, stehe die Rechtskraft des Urteils vom 3. Juli 1941 entgegen. Eine Überprüfung dieses Urteils im Schuldausspruch durch das OVA. sei unzulässig gewesen. Der Klägerin stehe daher gegen ihren früheren Ehemann, wenn dieser noch lebte, nach den eherechtlichen Vorschriften kein Unterhaltsanspruch zu. Revision wurde zugelassen.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt,

1. unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. April 1956 und der diesem Urteil zugrunde liegenden Vorentscheidungen den Revisionsbeklagten zu verurteilen, der Revisionsklägerin ab 1. Oktober 1950 Witwenrente nach den Vorschriften des BVG zu zahlen,

2. hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische LSG. zurückzuverweisen,

3. den Revisionsbeklagten zu verurteilen, der Revisionsklägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision rügt Verkennung des Umfangs der Rechtskraft des Eheaufhebungsurteils sowie unzutreffende Auslegung der eherechtlichen Vorschriften und des § 42 BVG. Das LSG. hätte prüfen müssen, ob entgegen dem Urteil vom 3. Juli 1941 die Ehe aus Verschulden des Ehemannes hätte aufgehoben werden müssen. Das LSG. habe den objektiven Tatbestand der §§ 37, 38 EheG 1938 (Irrtum und arglistige Täuschung) festgestellt, aber das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des § 38 EheG 1938 verkannt.

Der Anspruch auf Witwenrente ergebe sich nach der Verwaltungsvorschrift (VV) Nr. 3 zu § 42 BVG auch daraus, daß der Ehemann die Scheidung beantragt habe. Daher sei seine Unterhaltspflicht gegeben, auch wenn das Eheaufhebungsurteil keinen Schuldausspruch enthalte. Es sei in diesem Fall unerheblich, ob die Scheidungsklage zum Erfolg geführt habe. Der Ehemann sei der Initiator der Eheauflösung.

Der Beklagte hat Zurückweisung der Revision beantragt. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit seien an den durch das Urteil des LG. rechtskräftig gestalteten Zustand gebunden. Dies ergebe sich auch aus § 114 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Sie ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sachlich ist sie nicht begründet.

Nach § 42 Abs. 1 BVG erhält im Falle der Scheidung oder Aufhebung der Ehe die frühere Ehefrau des Verstorbenen Rente (§§ 40, 41), wenn dieser nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte. Die frühere Ehefrau müßte demnach gegen den früheren Ehemann, wenn er zur Zeit ihres Rentenantrags noch lebte, einen Unterhaltsanspruch nach den eherechtlichen Vorschriften haben. Das Bestehen eines solchen gesetzlichen Unterhaltsanspruches ist Anspruchsvoraussetzung für § 42 BVG, bei dessen Feststellung die Versorgungsbehörden und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die Sach- und Rechtslage zugrunde legen müssen, von der auch die frühere Ehefrau, wenn sie zur Zeit ihres Rentenantrages einen Unterhaltsanspruch erheben würde, und die ordentlichen Gerichte ausgehen müßten.

Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Unterhaltsanspruch der Klägerin nach dem EheG 1938 oder nach dem EheG vom 20. Februar 1946 zu beurteilen ist, weil in einem Fall wie dem vorliegenden der Unterhaltsanspruch eines Ehegatten nach Aufhebung der Ehe in beiden Gesetzen gleich geregelt ist (vgl. Palandt, BGB, 18. Aufl. Einführung 2 vor § 54 EheG 1946 mit Literaturangaben; NJW 1951 S. 202 Nr. 22; Godin, EheG., Anm. 5 zu § 80). Nach beiden Gesetzen ist der Schuldausspruch des Eheaufhebungsurteils entscheidend für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch der Ehegatten (§§ 42, 66 bis 69 EheG 1938, §§ 37, 58 bis 61 EheG 1946).

Die Aufhebung der Ehe der Klägerin ist nach dem Urteil vom 3. Juli 1941 auf § 37 des EheG. 1938 (Irrtum über die kriminelle Unbescholtenheit des Ehemannes) gestützt. Nach § 42 Abs. 2 a.a.O. war in den Fällen des § 37 der Ehegatte als schuldig anzusehen, der den Aufhebungsgrund bei Eingehen der Ehe kannte. Die Schuld des Ehegatten war im Urteil auszusprechen (§ 17 DurchfVO vom 27.7.1938). Enthält das Urteil keinen Schuldausspruch, so ist keiner der Ehegatten als Schuldig anzusehen.

Das Urteil, das die Ehe aufhebt, ist ein Gestaltungsurteil (Rosenberg, ZPO, 7. Aufl., § 87 II 1 u. § 161 I 1), seine Wirkung tritt ein für und gegen alle (Rosenberg a.a.O. § 87 I 1 u. 3). Auch der Schuldausspruch - als notwendiger und wesentlicher Bestandteil des Urteils (§ 17 DurchfVO vom 27.7.1938, Weitergeltung nach § 79 Satz 2 EheG 1946, s. Palandt, BGB, 18. Aufl., Einleitung 3 vor EheG 1946 u. Anm. 1 zu § 29 EheG 1946) - ist Gestaltungsurteil (Rosenberg a.a.O. § 161 V 1 a) und wirkt gleichfalls für und gegen alle. Deshalb sind, ebenso wie andere Behörden und Gerichte, auch die Versorgungsbehörden und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an die rechtskräftige Entscheidung über die Schuldfrage bei Aufhebung der Ehe gebunden. Sie können nicht mehr selbst sachlich prüfen, ob diese Entscheidung des ordentlichen Gerichts zu Recht ergangen ist.

Wenn der frühere Ehemann noch lebte und die Klägerin gegen ihn einen Unterhaltsanspruch geltend machen würde, müßte das rechtskräftige Urteil vom 3. Juli 1941 auch der Beurteilung eines Unterhaltsanspruchs zugrunde gelegt werden, d.h. die Klägerin könnte nicht entgegen dem Urteilsausspruch ein Verschulden des früheren Ehemannes zur Begründung des Unterhaltsanspruchs geltend machen. Hiervon müssen auch die Versorgungsbehörden und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit bei der Feststellung, ob die Klägerin einen Unterhaltsanspruch hätte, ausgehen. Der Auffassung des LSG., das Urteil des LG. vom 3. Juli 1941, insbesondere dessen Schuldausspruch, könne im sozialgerichtlichen Verfahren nicht auf seine Vereinbarkeit mit dem EheG nachgeprüft werden, ist daher zuzustimmen. Die Versorgungsbehörde ist bei der Entscheidung über den Rentenanspruch der Klägerin mit Recht davon ausgegangen, daß der Ehemann nicht für schuldig erklärt worden ist.

Nach § 69 Abs. 2 EheG 1938, § 61 Abs. 2 EheG 1946 könnte die Klägerin keinen Unterhalt von dem früheren Ehemann verlangen, weil das Urteil vom 3. Juli 1941 nicht dessen Schuld an der Aufhebung der Ehe feststellt und er durch seine Scheidungsklage die Aufhebung der Ehe nicht bewirkt hat (vgl. Achilles-Greif, BGB, 17. Aufl., 3 zu § 69 EheG 1938, und 21. Aufl., 4 zu § 61 EheG 1946).

Das Vorbringen der Klägerin, der frühere Ehemann sei der Initiator der Auflösung der Ehe, weil er Scheidungsklage erhoben habe, könnte von Bedeutung sein, wenn das Aufhebungsurteil nach § 18 DurchfVO zum EheG 1938 (Weitergeltung für das EheG 1946 s. Palandt, BGB, 18. Aufl, Anm. 1 zu § 29 EheG 1946) ergangen wäre. § 18 DurchfVO bestimmt für den Fall, daß in demselben Rechtsstreit Aufhebung und Scheidung der Ehe begehrt werden und beide Begehren begründet sind, daß nur auf Aufhebung der Ehe zu erkennen ist. Hier wurde die Scheidungsklage des früheren Ehemannes abgewiesen, es waren also nicht beide Begehren begründet. Daher brauchte nicht geprüft zu werden, welche Rechtsfolgen es für die Unterhaltspflicht hätte, wenn auch die vom Ehemann zuerst erhobene Scheidungsklage begründet gewesen und nur wegen des Vorrangs der Aufhebungsklage auf Aufhebung erkannt worden wäre.

Im vorliegenden Fall ist somit schon die unveränderliche Voraussetzung eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihren früheren Ehemann nicht gegeben, weil das Eheaufhebungsurteil nicht die Schuld des früheren Ehemannes ausgesprochen und dieser mit seiner Scheidungsklage die Aufhebung der Ehe nicht herbeigeführt hat. Es kommt daher hier nicht mehr darauf an, ob § 42 Abs. 1 BVG eine konkrete Unterhaltspflicht des früheren Ehemannes, wenn er noch leben würde, verlangt, d.h. ob zu der grundsätzlichen unveränderlichen Voraussetzung (Schuld oder Erfolg der Aufhebungsklage des Mannes) auch die weiteren veränderlichen Voraussetzungen, wie besondere Einkommens- und Vermögensverhältnisse der früheren Ehegatten, insbesondere der früheren Ehefrau, zur Zeit der Aufhebung der Ehe bzw. zur Zeit des Rentenantrags vorliegen müssen (§§ 66 bis 69 EheG 1938, §§ 58 bis 61 EheG 1946; vgl. die Entscheidungen des BSG. zu den von § 42 BVG teilweise verschiedenen Vorschriften der Rentenversicherung - Unterhaltsverpflichtung zur Zeit des Todes - §§ 1256 Abs. 4 a.F., 1265 n.F. RVO und § 42 n.F. AVG in BSG. 3 S. 197, 5 S. 179 und 276, 8 S. 24 und BSG. vom 18.11.1958 in SozR. RVO § 1265 Aa 2 Nr. 3).

Das LSG. hat somit einen Rentenanspruch der Klägerin nach § 42 BVG zu Recht verneint. Die Revision der Klägerin ist daher nicht begründet. Sie war nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 171

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