Leitsatz (amtlich)
In einer nach SGG § 215 Abs 3 auf das Bayerische Landessozialgericht übergegangenen Sache ist ein nach altem Verfahrensrecht unzulässiges Rechtsmittel als Berufung neuen Rechts auch dann nicht zulässig geworden, wenn bei einem Neufall die Berufung nach SGG § 150 Nr 2 deshalb zulässig wäre, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird.
Normenkette
SGG § 150 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 22. März 1954 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Berufung der Klägerin, mit der sie die Verurteilung des Beklagten, ihr Witwenrente nach dem Bayer. Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (B. KBLG) für die Zeit von der Antragstellung an bis zum 28. Februar 1949 zu gewähren, begehrt hatte, ist durch Urteil des Oberversicherungsamts (OVA.) ... vom 18. Januar 1952 zurückgewiesen worden, da die Klägerin das gesetzliche Erfordernis der dauernden Erwerbsunfähigkeit in dem in Betracht kommenden Zeitraum nicht erfüllt habe. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht Rekurs beim Bayer. Landesversicherungsamt eingelegt, von welchem die am 1. Januar 1954 noch unerledigte Sache nach § 215 Abs. 3 SGG auf das Bayer. Landessozialgericht (LSGer.) überging. Das Bayer. LSGer. hat durch Urteil vom 22. März 1954 die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, da das nach altem Recht (§ 1700 Nr. 13 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) unzulässige Rechtsmittel nach neuem Recht nicht zulässig werden konnte, selbst wenn die Entscheidung des OVA. auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens beruhte.
Die Klägerin hat gegen dieses ihr am 4. Mai 1954 zugestellte Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde, am 8. Mai 1954 durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt mit dem Antrag:
1. das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayer. LSGer. zurückzuverweisen,
2. dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die am 24. Mai 1954 eingegangene Revisionsbegründung räumt ein, daß ein zur Zeit seiner Einlegung unzulässiger Rekurs durch eine nachträgliche Gesetzesänderung im allgemeinen nicht zulässig wird. Sie wendet sich nur gegen die Auffassung des LSGer., der Rekurs sei schon nach § 1700 Nr. 13 RVO unzulässig gewesen. Die Klägerin will geltend machen, das OVA. ... habe ihren auf § 1681 RVO gestützten Antrag, einen bestimmten Arzt (...) über ihre Erwerbsunfähigkeit gutachtlich zu hören, mit Unrecht abgelehnt und dadurch gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen. Hierin liege ein wesentlicher Verfahrensmangel, dessen Rüge die Berufung zulässig mache. Im übrigen wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 21. Mai 1954 verwiesen.
Das Landesversorgungsamt Bayern hat mit Schriftsatz vom 19. Januar 1955, auf den Bezug genommen wird, beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, jedoch nicht statthaft. Das LSGer. hätte allerdings wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage, ob das LSGer. die Berufung der Klägerin als unzulässig verwerfen durfte, die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulassen müssen. Im vorliegenden Falle könnte trotzdem die Statthaftigkeit der Revision damit begründet werden, daß das Urteil des LSGer. auf einem wesentlichen Mangel des Verfahrens beruhe (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Dies wäre der Fall, wenn etwa das LSGer. zu Unrecht es abgelehnt hätte, eine Sachentscheidung zu treffen, oder wenn es auf das Vorbringen der Klägerin, daß das alte Berufungsverfahren an einem wesentlichen Mangel leide, nicht eingegangen wäre. Derartige Verfahrensmängel liegen jedoch nicht vor.
Dem LSGer. ist, wie der Senat in einer anderen Sache bereits entschieden hat (Urteil vom 20.9.1955 - 9 RV 46/54 -), im Ergebnis darin beizupflichten, daß grundsätzlich ein nach altem Recht unzulässiges Rechtsmittel in einer nach § 215 Abs. 3 SGG auf das LSGer. übergegangenen Sache auch dann nicht zulässig geworden ist, wenn das Rechtsmittel als Berufung neuen Rechts zulässig wäre. Dies gilt nicht nur, wenn einer der in den §§ 144 - 149 SGG aufgeführten Berufungs-Ausschließungsgründe nicht vorliegt, sondern auch dann, wenn bei einem Neufall die Berufung ungeachtet der §§ 144 - 149 SGG deshalb zulässig wäre, weil ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 150 Nr.2 SGG).
Das LSGer. hat die Zulässigkeit des Rekurses nach altem Recht, die es von Amts wegen zu prüfen hatte, zutreffend verneint. Auch nach der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) ist ein Rekurs-Ausschließungsgrund nach § 1700 RVO nicht dadurch unwirksam geworden, daß die Anfechtung des Urteils eines OVA. auf formelle Mängel des Verfahrens gestützt wurde: vgl. EuM d.RVA Bd. 16 S. 363; Bd. 21 S. 23. Das Urteil des OVA. war daher nach § 1700 Nr. 13 RVO mit dem Rekurs nicht anfechtbar, obwohl das Rechtsmittel damit begründet wurde, das OVA. habe dadurch, daß es den Antrag der Klägerin auf gutachtliche Anhörung des von ihr benannten ärztlichen Sachverständigen ablehnte, gegen § 1681 RVO verstoßen.
§ 150 Nr. 2 SGG kann auch nicht sinngemäß auf das Verfahren nach den inzwischen aufgehobenen Vorschriften der RVO (§ 224 SGG) angewendet werden. Wie der Senat in dem oben angeführten Urteil (9 RV 46/54) ausgeführt hat, sollten durch die Neuordnung des Verfahrens im Sozialgerichtsgesetz den Prozeßbeteiligten grundsätzlich nicht weitergehende prozessuale Rechte eingeräumt werden, als ihnen zugestanden hätten, wenn die im alten Verfahrensrecht vorgesehenen Gerichte höherer Ordnung die Sache hätten entscheiden können. Es muß daher bei der Unzulässigkeit der Berufung bewenden. Bei dieser Rechtslage konnte und mußte das LSGer. die Frage, ob das OVA. gegen § 1681 RVO verstoßen hat, unentschieden lassen.
Da mithin die von der Klägerin vorgebrachten Tatsachen einen wesentlichen Mangel des Verfahrens des LSGer. nicht ergeben, war die Revision der Klägerin in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSGer.) vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 - als unzulässig zu verwerfen.
Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen