Arbeitsunfall durch beißende Gerüche im Flugzeug?

Seit einigen Jahren berichten Piloten, Stewardessen und Flugbegleiter vermehrt über Erkrankungen aufgrund Kabinenluft. In Flugzeugen treten immer wieder und aus unterschiedlichen Ursachen Gerüche auf, die die Betroffenen als unangenehm empfinden und denen sie im Flugzeug auch nicht ausweichen können. Ob dabei ein Arbeitsunfall vorliegt, hatte das Sozialgericht Gießen zu entscheiden.

Bei den meisten Verkehrsflugzeugen wird die Frischluft für Kabine und Cockpit an den Triebwerken als sogenannte Zapfluft abgegriffen. Hierbei kann es zum Eintrag von geringen Mengen von Ölen oder deren Zersetzungsprodukten in die Luftströmung kommen. Besondere Vorkommnisse, bei denen in der Kabine plötzlich ein beißender, miefiger Geruch wahrgenommen wird, bezeichnet die Wissenschaft dabei als „Fume-Event“. Umstritten ist, ob aus diesem Vorgang oder aus Gerüchen anderer Ursache Gefährdungen für die Gesundheit von Crewmitgliedern und Passagieren erwachsen können. Als Ursache wird Trikresylphosphat (TCP), ein Organophosphat und chemischer Zusatzstoff des Turbinenöls, der im Verdacht steht, gesundheitliche Beschwerden auszulösen, genannt.

Flugbegleiterin klagt auf Anerkennung als Arbeitsunfall 

Geklagt hatte eine 1979 geborene, in Gießen lebende Flugbegleiterin, die bei der Lufthansa AG tätig war. Im Oktober 2011 begab sie sich in ärztliche Behandlung. Ihren Angaben zufolge war es am 9.10.2011 bei einem Langstreckenflug zu einem Fume-Event an Bord ihres Flugzeugs gekommen. Im Juni 2012 beantragte die Klägerin bei der zuständigen Unfallversicherung, der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation, die Anerkennung eines Arbeitsunfalls. Mit Bescheiden vom 28.5.2013 und 14.11.2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil nicht feststehe, dass gesundheitsgefährdende Gefahrstoffe in das Flugzeug eingetreten seien. Mit ihrer im Dezember 2012 erhobenen Klage machte die Klägerin geltend, dass bei ihr ein Arbeitsunfall vorliege.

Sozialgericht weist Klage ab

Nach weiteren umfassenden medizinischen Ermittlungen wies die 1. Kammer des Sozialgerichts Gießen die Klage ab. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine toxische Einwirkung auf dem Flug stattgefunden habe. Voraussetzung für die Feststellung eines Arbeitsunfalles sei, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, wegen der Entschädigungsleistungen beansprucht werden, nachgewiesen seien. Dagegen genüge für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge schädigender Einwirkungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

Vollbeweis nicht gegeben

Der Vollbeweis sei dann geführt, wenn die beweisbedürftige Tatsache mit Gewissheit nachgewiesen sei. Hieran fehle es. Das Gericht übersehe nicht, dass zahlreiche Aspekte dieses Themenkomplexes wie etwa die Möglichkeit, dass das Auftreten von sogenannten Fume(Events mit im Verfahren zur Gewinnung der Kabinenluft in Zusammenhang stehe, bisher ungeklärt oder umstritten seien. Dies führe aber nicht dazu, dass bei sämtlichen subjektiv oder objektiv wahrgenommenen Geruchsveränderungen während eines Fluges eine Beweiserleichterung oder sogar eine Beweislastumkehr eintrete. Dies sei lediglich dann denkbar, wenn auf einem solchen Flug Passagiere und Versicherte in größerer Zahl nachweislich erkranken würden, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei. Fest stehe lediglich, dass ein unangenehmer Geruch von der Klägerin und anderen Crewmitgliedern wahrgenommen worden sei. Eine chemisch-toxische Belastung sei weder während des Fluges noch danach gesichert worden.

Hinweis: Sozialgericht Gießen, Urteil v. 1.2.2019, S 1 U 61/15, nicht rechtskräftig

SG Gießen