Erweiterung der Prozessfähigkeit einer Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter
Hintergrund:
Die klagende GmbH & Co. KG („Klägerin“) nahm die Beklagte auf Erstattung von Mietwagenkosten in Anspruch. Bei der Klägerin handelte es sich um eine zweigliedrige Gesellschaft mit zwei Gesellschaftern, einer Komplementär-GmbH und einem Kommanditisten, der zugleich der einzige Geschäftsführer der Komplementär-GmbH war. Die Klägerin erteilte ihrer Prokuristin im Jahre 2009 Einzelprokura. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH – zugleich einziger Kommanditist – verstarb im Jahre 2010, so dass die Klägerin ab diesem Zeitpunkt ohne gesetzlichen Vertreter war.
Die Zahlungsklage der Klägerin wies das LG im Jahre 2014 als unbegründet ab. Die Prokuristin erteilte daraufhin einem anderen Rechtsanwalt Prozessvollmacht und beauftragte ihn, im Namen der Klägerin Berufung gegen das Urteil des LG einzulegen. Das OLG verwarf die Berufung als unzulässig, da die Klägerin aufgrund des Todes des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH i) weder bei Erteilung der Prozessvollmacht, ii) noch im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung mangels gesetzlicher Vertretung prozessfähig gewesen sei. Hiergegen erhob die Klägerin Rechtsbeschwerde zum BGH.
Beschluss des BGH vom 06.02.2019, Az. VII ZB 78/18
Die Klägerin hatte mit ihrer Rechtsbeschwerde Erfolg – der BGH hob den Beschluss auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurück.
Zwar sei die Klägerin im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung nicht gesetzlich vertreten und damit nicht prozessfähig gewesen. Dies führe jedoch nicht zur Unzulässigkeit der Berufung, da der Prokuristin, die die Prozessvollmacht und den Auftrag zur Einlegung der Berufung erteilte, noch vor dem Tod des Geschäftsführers wirksam Einzelprokura erteilt worden war.
Für die zulässige Einlegung eines Rechtsmittels durch eine Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter sei es grundsätzlich ausreichend, wenn diese noch als prozessfähige Gesellschaft einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und Auftrag zur Einlegung des Rechtsmittels erteilt habe. Diese Vollmacht werde gemäß § 86 ZPO durch den Verlust der Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers nicht berührt.
Entsprechendes gelte, wenn eine partei- und prozessfähige Handelsgesellschaft eine Prokura erteilt habe, da diese die Vollmacht zur Prozessführung für alle Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf den Betrieb des Handelsgeschäfts mit umfasse. Die Prokura ermächtige daher ihrerseits zur Erteilung einer Prozessvollmacht, sofern es sich um eine Streitigkeit handle, die der Prokurist wegen mangelnder Postulationsfähigkeit nicht selbst führen dürfe.
Die Prokuristin sei daher aufgrund der wirksam erteilten Einzelprokura unbeschadet der Führungslosigkeit der Klägerin befugt gewesen, dem Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen und diesen mit Einlegung der Berufung zu beauftragen, da ihr Prokura zu einem Zeitpunkt erteilt wurde, in welchem die Klägerin noch prozessfähig gewesen ist.
Anmerkung:
Der BGH erweitert mit diesem Beschluss die Prozessfähigkeit einer Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter durch entsprechende Anwendung des § 86 ZPO im „Zusammenspiel“ mit einer Prokura, die zu einem Zeitpunkt erteilt worden ist, zu dem die Gesellschaft noch prozessfähig gewesen ist. Es findet eine Vorverlagerung der Wirkung von § 86 ZPO auf den Zeitpunkt der Prokuraerteilung statt, da die Prokura immer auch mit dem Recht einhergeht, eine Prozessvollmacht erteilen zu dürfen.
Das bedeutet, dass eine Gesellschaft ohne gesetzlichen Vertreter noch als prozessfähig angesehen wird, sofern sie im Stadium der Prozessfähigkeit einen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und Auftrag zur Einlegung eines Rechtsmittels erteilt hat. Der Schutz wird auf diese Weise vorverlagert, dass die Gesellschaft sogar als prozessfähig gilt, wenn ein wirksam bestellter Prokurist eine Prozessvollmacht erteilt hat. Das wird darauf gestützt, dass die Prokura grundsätzlich die Befugnis zur Erteilung einer Prozessvollmacht enthält und diese Möglichkeit nach § 86 ZPO analog in gleichem Maße schutzwürdig ist. Mit anderen Worten: die Prokura wird entsprechend § 86 ZPO über dessen Wortlaut und Anwendungsbereich hinaus wie eine Prozessvollmacht behandelt und gleichermaßen rechtlich geschützt.
Die Rolle des Prokuristen sowie die Bedeutung der Prokura werden durch diese Rechtsprechung erneut hervorgehoben und gestärkt. Wenn es in der Praxis noch nicht gewünscht ist, einen zweiten vertretungsberechtigten Geschäftsführer zu bestellen, kann auch die Bestellung eines Prokuristen weitgehend die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherstellen.
Rechtsanwälte Dr. Hendrik Thies und Rechtsanwältin Lisa Werle, Friedrich Graf von Westphalen & Partner mbB, Freiburg
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