Keine Sonderregeln für die Vertretung der AG in Liquidation bei Anfechtungsklagen
Hintergrund
Die beklagte Aktiengesellschaft befand sich seit 2001 in Liquidation. Im April 2016 wurde die Gesellschaft aus dem Handelsregister gelöscht. Noch vor Löschung der AG legten die klagenden Aktionäre Anfechtungsklage gegen Hauptversammlungsbeschlüsse ein. Im Prozess wurde die AG von einer Rechtsanwaltskanzlei vertreten. Grundlage für die Vertretung war eine vor Löschung der AG erteilte Prozessvollmacht, die nur von dem Abwickler der AG unterzeichnet worden war.
Im Prozess machte die beklagte AG geltend, sie sei nicht wirksam vor Gericht vertreten und die Klage daher unzulässig. Da die Vollmacht der Kanzlei vor der Löschung der Gesellschaft erteilt worden sei, hätte diese von beiden, dem Aufsichtsrat und dem Abwickler, unterzeichnet werden müssen. Dies verlange das sog. „Prinzip der Doppelvertretung“ bei Anfechtungsklagen, das in § 246 Abs. 2 S. 2 AktG ausdrücklich geregelt ist.
Das LG München hingegen hielt die Vertretung für wirksam. Zwar sei die Gesellschaft nach ihrer Löschung aus dem Handelsregister nicht mehr prozessfähig gewesen. Dies beeinträchtige jedoch nicht die Wirksamkeit der Prozessvollmacht der Kanzlei. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Berufung zum OLG München.
Das Urteil des OLG München vom 09.05.2019, Az. 23 U 2693/18
Das OLG München wies die Berufung mangels wirksamer Vertretung der AG als unzulässig zurück. Zwar führe der Wegfall der Prozessfähigkeit – hier durch Löschung der Gesellschaft im Handelsregister – grundsätzlich nicht zur Unwirksamkeit der Prozessvollmacht (§ 86 ZPO). Dies gelte jedoch nur, wenn die Prozessvollmacht im Zeitpunkt ihrer Erteilung wirksam gewesen sei. Eine wirksame Prozessvollmacht liege hier mangels Unterzeichnung durch beide gesetzliche Vertreter – d.h. durch den Liquidator und den Aufsichtsrat – jedoch nicht vor. Zwar werde eine in Liquidation befindliche Aktiengesellschaft grundsätzlich nur durch ihren Abwickler vertreten (§§ 268 Abs. 2, S. 1, 78 Abs. 1 S. 1 AktG). Allerdings gelte im Fall einer Anfechtungsklage gem. § 246 Abs. 2 S. 2 AktG die Besonderheit, dass die Gesellschaft durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten werde (Prinzip der Doppelvertretung). Dies gelte auch für eine sich in Liquidation befindende Aktiengesellschaft. Da die Rechtsanwaltskanzlei die Gesellschaft auf Grundlage einer nur vom Abwickler unterzeichneten Vollmacht vertreten hatte, war die Vertretung unwirksam.
Anmerkung
Eine Aktiengesellschaft wird grundsätzlich durch ihren Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 78 Abs. 1 AktG). Befindet sich eine Gesellschaft jedoch in der Liquidation, so übernimmt der Abwickler die Vertretung der Gesellschaft (§ 268 Abs. 2 S. 1 AktG). Eine nur vom Abwickler erteilte Vollmacht ist für eine wirksame Vertretung daher grundsätzlich ausreichend.
Im Fall einer Anfechtungsklage eines Aktionärs zur Aufhebung eines Hauptversammlungsbeschlusses wird die Gesellschaft jedoch ausnahmsweise durch Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam vertreten (§ 246 Abs. 2 S. 2 AktG). Dies gilt nach der jüngsten Entscheidung des BGH auch für eine in Liquidation befindliche AG. Das Prinzip der Doppelvertretung soll verhindern, dass ein Beschluss durch „Zusammenwirken“ einer Minderheit der Aktionäre und des Vorstands bzw. Liquidators vor Gericht beseitigt wird, z.B. indem der Vorstand/Liquidator im Prozess ein Anerkenntnis abgibt, ohne dass es hierfür sachliche Gründe gibt, oder indem er einen für die Gesellschaft (und die übrigen Aktionäre!) ungünstigen Vergleich abschließt. Zum Schutz der Gesellschaft müssen im Prozess daher Vorstand/Liquidator und Aufsichtsrat zusammen agieren.
Eine unwirksame Vertretung kann aber durch Genehmigung der gesamten bisherigen Prozessführung der Vertreter geheilt werden, so dass ungünstige Folgen für die AG hierdurch vermieden werden können. Eine teilweise Genehmigung – z.B. beschränkt auf die zweite Instanz – genügt hingegen nicht.
Der eine Anfechtungsklage erhebende Aktionär muss für die Einhaltung der Monatsfrist gem. § 246 Abs. 1 AktG hingegen beachten, dass er auf der Klageschrift sowohl die Adresse des Vorstands/Liquidators als auch des Aufsichtsrats richtig benennt (wobei die Zustellung an jeweils ein Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats genügt). Tut er dies nicht, läuft er Gefahr, dass die Klage nicht zugestellt werden kann und er die Monatsfrist zur Anfechtung versäumt. Zwar genügt für die Einhaltung der Frist, dass die Klage am letzten Tag der Frist unter Darlegung der Anfechtungsgründe bei Gericht eingereicht wird und das Gericht die Klage in den folgenden Tagen zustellt. Kann die Klage jedoch nicht oder nicht zeitnah zugestellt werden, etwa weil der Kläger die Adressen unrichtig oder unvollständig angegeben hat, so geht dies zu Lasten des die Klage einreichenden Aktionärs. Mangels Einhaltung der Monatsfrist ist die Klage dann unzulässig. Problematisch ist in diesem Zusammenhang oftmals die richtige Anschrift der Aufsichtsratsmitglieder: Im Gegensatz zum Vorstand, der seine Geschäftsräume typischerweise in den Räumen der Gesellschaft hat, hat der Aufsichtsrat in der Regel keine eigene Geschäftsanschrift und hält sich auch nicht in den Geschäftsräumen der Gesellschaft auf. Für die Zustellung der Klage an die Aufsichtsratsmitglieder kommt daher oftmals nur die Privatanschrift in Betracht.
Möchte ein Aktionär gegen einen Hauptversammlungsbeschluss eine Anfechtungsklage erheben, sollte er daher die Adressdaten des Vorstands bzw. Liquidators und des Aufsichtsrats vorher sorgfältig prüfen. Die beklagte Aktiengesellschaft muss hingegen auf eine wirksame Vertretung vor Gericht achten.
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