Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertretung der Aktiengesellschaft in Abwicklung bei Anfechtungsklage gegen Beschlüsse der Hauptversammlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Berufung ist unzulässig, wenn sie nicht durch einen von der Beklagten bevollmächtigten Rechtsanwalt eingelegt wird. Liegt eine wirksame Prozessvollmacht bei der Einlegung des Rechtsmittels nicht vor, so ist dieses als unzulässig zu verwerfen.

2. Die Erteilung einer Prozessvollmacht für die Gesellschaft im Beschlussmängelrechtsstreit durch den Abwickler allein ist nicht ausreichend. Nach § 246 Abs. 2 S. 2 AktG wird die Aktiengesellschaft nach dem Prinzip der Doppelvertretung gegenüber der Anfechtungsklage durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten. Dies gilt auch für die Abwicklungsgesellschaft.

3. Nach der Rechtsprechung des BGH kann in Fällen der gesetzlichen Vertretung der Rechtsstreit trotz des Mangels in der Vertretung auch im Rechtsmittelverfahren fortgesetzt werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn es um einen Mangel der gewillkürten Vertretung einer Partei im Prozess geht, da die Partei es in der Hand hat, durch Erteilung einer ordnungsgemäßen Vollmacht den Streit darüber, ob eine wirksam erteilte Vollmacht vorgelegen hat, für die Rechtsmittelinstanz von vornherein auszuräumen, ohne insoweit ein Risiko über die Zulässigkeit des Rechtsmittels einzugehen.

4. Da die Prozessführung ein einheitliches Ganzes ist, kann eine nachträgliche Genehmigung nicht auf einen Teil der Prozesshandlungen oder die Vorinstanz beschränkt werden. Der gesetzliche Vertreter muss entscheiden, ob er die bisherige Prozessführung insgesamt genehmigt oder die Folgen der Prozessunfähigkeit geltend macht. Schränkt er die Genehmigung ein, so ist die eingeschränkte Genehmigung unwirksam.

 

Normenkette

AktG § 78 Abs. 1 S. 1, § 246 Abs. 2 S. 2, § 268 Abs. 2 S. 1, § 273

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 21.03.2019; Aktenzeichen 5 HK O 4981/16)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Landgerichts München I vom 29.06.2018, Az. 5 HK O 4981/16, wird verworfen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I. Die Kläger wenden sich mit der Anfechtungsklage gegen Beschlüsse, die auf der Hauptversammlung der Beklagten am 23.02.2016 gefasst wurden.

Die Beklagte befindet sich bereits seit dem Jahr 2001 in Liquidation. Eine vollständige Verteilung des Vermögens fand nicht statt.

Am 12.01.2014 oder 12.01.2016 erteilte der damalige Abwickler der Beklagten der Kanzlei Dr. F. Rechtsanwälte GbR Prozessvollmacht in Sachen "Aktienbrauerei V. wegen Beendigung der Liquidation" (Anlage B 3).

Am 23.03.2016 reichten die Kläger Anfechtungsklage gegen die Beklagte ein. Als gesetzliche Vertreter benannten die Kläger den Liquidator, Herrn Benedikt H., und den Aufsichtsrat, bestehend aus Frau Anna-Maria H., Frau Daniela F. und Herrn Siegfried R.

Der Liquidator zeigte die Beendigung der Liquidation an und die Beklagte wurde am 05.04.2016 im Handelsregister gelöscht. Das Vermögen der Beklagten wurde nicht vollständig verteilt.

Am 26.04.2016 wurde die Klage dem Aufsichtsratsmitglied Frau H. zugestellt. Die Zustellung an den Liquidator konnte nicht erfolgen. Als Grund war auf der PZU angegeben "Firma erloschen". Mit Schriftsatz vom 03.05.2016 zeigte die Kanzlei Dr. F. an, "die Beklagte zu vertreten". Am 12.05.2016 wurde die Klage der Kanzlei Dr. F. zugestellt.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 19.12.2016 wurde Herr Benedikt H. zum Nachtragsliquidator bestellt.

Die Kläger haben zunächst vorgebracht, die Beklagte sei nicht ordnungsgemäß anwaltlich vertreten, gehen nunmehr aber davon aus, dass die Beklagte am 12.01.2014 oder 12.01.2016 eine wirksame Prozessvollmacht erteilt hat. Die Klage sei daher wirksam an die Beklagte, die wegen des Vorhandenseins von verwertbarem Vermögen trotz der Löschung im Handelsregister fortbestehe, zugestellt worden. Die Klage sei wegen Mängeln bei der Einberufung der Hauptversammlung und Gesetzesverletzungen bei der Beschlussfassung begründet.

Die Kläger haben in 1. Instanz beantragt,

den in der Hauptversammlung der Beklagten vom 23.02.2016 zu TOP 1 gefassten Beschluss über die Feststellung der Liquidationsbilanz vom 31.05.2015, den zu TOP 2 gefassten Beschluss über die Feststellung der Jahresabschlüsse 2007 bis 2015, den zu TOP 3 gefassten Beschluss über die Entlastung des Vorstandes und die Entlastung des Aufsichtsrates und den zu TOP 5 gefassten Beschluss über die Feststellung und Beschlussfassung über die Verteilung des Restvermögens für nichtig zu erklären.

Hilfsweise, festzustellen, dass die Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 1 bis 5 nichtig sind.

Äußerst hilfswei...

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