Haftung der Verkäufer im Post-M&A-Verfahren wegen Wertminderung

M&A-Verträge enthalten regelmäßig Schiedsvereinbarungen. Selten – und damit besonders interessant – sind daher die wenigen Entscheidungen staatlicher Gerichte in Post-M&A-Streitigkeiten: Sie haben schon aufgrund ihrer Seltenheit ganz wesentliche Ausstrahlungswirkung und müssen bei der Vertragsgestaltung berücksichtigt werden. Jüngst hat die auf M&A spezialisierte 24. Beschlusskammer des LG Düsseldorf recht grundsätzlich zu Fragen der Haftung des Verkäufers nach einem typischen Anteilskaufvertrag Stellung bezogen.

Sachverhalt

Hintergrund des Streits war ein Unternehmenskauf, bei dem 80 % der Anteile an der Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe für einen Preis von 250 Mio. EUR erworben wurden. Die Haftung der Verkäufer war, wie üblich, außerhalb bestimmter Garantien auf Arglist und Vorsatz der Verkäufer oder ihrer Vertreter (Seller's Re-presentatives) beschränkt

Die Käuferin machte geltend, das Ergebnis der Zielgruppe sei wegen insgesamt 22 Fehlbuchungen vorsätzlich zu hoch dargestellt worden, der Unternehmenswert betrage bei Korrektur der Fehlbuchungen null. Sie machte daher Wertminderung in Höhe des gesamten Kaufpreises geltend und verlangte zur Sicherung ihrer Ansprüche dinglichen Arrest verschiedener Vermögensgegenstände der Arrestbeklagten. Im Anteilskaufvertrag hatten die Parteien die Haftung der Verkäufer (wie häufig) auf Fälle von Arglist und Vorsatz beschränkt und im Übrigen ausgeschlossen. 

Das Amtsgericht hatte den Antrag zuvor abgelehnt, da ein Anspruch nicht glaubhaft vorgetragen sei. Es ging vielmehr davon aus, dass Ansprüche wegen Wertminderungen aufgrund der umfassenden Haftungsbeschränkung ausgeschlossen seien. 
Das Berufungsgericht wies den Antrag mit einer im Wesentlichen identischen Begründung zurück. Die Entscheidung ist indes spannend, weil das Gericht bei dieser Gelegenheit zu zwei grundsätzlichen Fragen rund um vertragliche Haftungsausschlüsse Stellung nehmen konnte, die in Post-M&A-Streitigkeiten typisch sind.

Die zwei wesentlichen Aussagen des Gericht

Bei einem vertraglichen Schadensersatzanspruch hat der Schuldner, wenn er nicht haften will, grundsätzlich zu beweisen, dass er den Schaden nicht zu vertreten hat. Diese gesetzliche Regelung findet, so die erste Kernaussage der Entscheidung, indes keine Anwendung, wenn der Anteilskaufvertrag (wie üblich) gerade keine Verschuldenshaftung auf Schadensersatz vorsieht, sondern gesetzliche Ansprüche weitestmöglich ausschließt. Das Gericht erläutert, dass ein solcher Haftungsausschluss nach dem Willen der Parteien umfassend zu Gunsten der Verkäufer gilt; umgekehrt greift die Ausnahme in Fällen von Arglist und Vorsatz nur in den zwingenden gesetzlichen Grenzen vertraglicher Haftungsbeschränkungen (etwa §§ 202 Abs. 1, 276 Abs. 3, 444 BGB). Damit müssen in derartigen Konstellationen die  Verkäufer nicht fehlenden Vorsatz beweisen. Die Verkäufer trifft auch keine sekundäre Darlegungslast, d.h. sie müssen keine näheren Angaben über die sie betreffenden Verhältnisse machen. Es gilt daher für die Frage der Beweislast die Regelung des § 444 BGB, wonach der Käufer Arglist oder Vorsatz des Verkäufers nachzuweisen hat. Diese Vorschrift ist, so das Gericht, auch und gerade auf M&A-Konstellationen anwendbar.

Reichweite eines vertraglichen Haftungsausschlusses


Die zweite Kernaussage des Gerichts befasst sich mit der Reichweite eines vertraglichen Haftungsausschlusses. Konkret ging es um die Frage, ob einem Verkäufer die Berufung auf einen vertraglichen Haftungsausschluss insgesamt verwehrt ist, wenn ihm eine vorsätzliche oder arglistige Schädigung angelastet werden kann. Auch insoweit räumt das Gericht der vertraglichen Regelung allerdings Vorrang ein: Ist die Haftung im Anteilskaufvertrag grundsätzlich ausgeschlossen, kommt eine Haftung nur und nur insoweit in Betracht, wie Arglist oder Vorsatz konkret reichen. Auf dem Weg zu diesem Ergebnis legt das Gericht die Haftungsabrede nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte aus. Nach dem Gericht herrscht im Transaktionsgeschäft die Verkehrssitte, die im BGB definierte gesetzliche Haftung möglichst umfassend durch ein eigenes Haftungsregime zu ersetzen. Rückausnahmen bei Arglist und Vorsatz tragen regelmäßig nur zwingenden gesetzlichen Regelungen Rechnung. Die Haftungsbegrenzung soll danach ihre Geltung nicht weiter verlieren, als die gesetzlichen Vorschriften es erforderlich machen. Diese Argumentation dürfte in den meisten M&A-Transaktionen anwendbar sein: Die Parteien legen vertraglich ein Haftungsregime fest, das die Transaktion bei Mängeln nicht insgesamt gefährdet, sondern nur einen finanziellen Ausgleich für besonders vereinbarte Garantieverletzungen verlangt. 

(LG Düsseldorf, Beschluss vom 18.8.2022,  24 S 1/221)

Hinweise für die Praxis

Dass das Gericht dieses Ergebnis im Wege der Auslegung findet, zeigt eindrücklich, welche Bedeutung den Regelungen zum Haftungsregime bei der Vertragsgestaltung im M&A-Bereich zukommt. Denn eine Auslegung war (und ist) nur erforderlich, wenn die vertragliche Regelung den streitigen Fall nicht eindeutig regelt. Es ist leicht vorstellbar, dass die Käuferin – wenn die Regelungen im Vertrag nur ein wenig anders formuliert gewesen wären – mit ihrem Anspruch auf Wertminderung in voller Höhe erfolgreich gewesen wäre. Immerhin ein Unterschied von 250 Mio. EUR.
Um derartige Unsicherheiten zu vermeiden, ist in M&A-Prozessen professionelle Unterstützung durch erfahrene Berater unverzichtbar. Aufgrund ihrer Seltenheit sorgen Entscheidungen staatlicher Gerichte in diesem Bereich oft für eine noch feiner ausdifferenzierte Vertragsgestaltung. Wenn also künftig die gesetzlichen Regelungen ausgeschlossen werden, sollten die vertraglichen Haftungsregelungen noch genauer auf die (ggf. abgestuften) Verschuldenserfordernisse eingehen, um den Bedürfnissen der Parteien, des Zielunternehmens und der Transaktion gerecht werden.


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