Gerichtsstand: Sitz erfordert keine Geschäftstätigkeit

Der Begriff des „satzungsmäßigen Sitzes“ i.S.d. Art. 63 Abs. 1 lit. a EuGVVO setzt keine Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit am Ort des Satzungssitzes voraus. Damit sind Klagen am Sitz der Gesellschaft – mangels abweichender Vereinbarung – unabhängig von der tatsächlichen Tätigkeit vor Ort zulässig. Bedeutsam ist die Unterscheidung von Satzungs- und Verwaltungssitz aber für das Steuerrecht und für Personengesellschaften.

Hintergrund

Die beklagte GmbH mit Satzungssitz in Hannover und Verwaltungssitz in Meran/Italien wurde vor dem Landgericht Hannover auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Das Landgericht Hannover wies die Klage als unzulässig ab, da ohne Verwaltungstätigkeit vor Ort kein „Sitz“ im Sinne des maßgeblichen Prozessrechts vorliege. Das OLG Celle hob das Urteil auf und wies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück. Das LG Hannover sei gem. Art. 63 Abs. 1 EuGVVO und § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO zuständig, weil sich der satzungsmäßige Sitz der Beklagten in Hannover befinde. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Begründung, der „Sitz“ setze ein Mindestmaß an Unternehmenstätigkeit an diesem Ort voraus.

Das Urteil des BGH vom 14.11.2017 – VI ZR 73/17

In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung entschied der BGH, dass der satzungsmäßige Sitz im Sinne des Art. 63 Abs. 1 EUGVVO keine Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeiten voraussetze. Die Entscheidung gilt sowohl für die Neufassung der EuGVVO als auch für die der Entscheidung zugrunde liegende alte Fassung. Gesellschaften und juristische Personen haben nach Art. 63 Abs. 1 lit. a EuGVVO ihren Wohnsitz an dem Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Falls sich hieraus unterschiedliche Gerichtsstände ergeben, habe der Kläger ein Wahlrecht. Satzungsmäßiger Sitz sei dabei der in der Gesellschaftssatzung genannte Ort, eine dortige Verwaltungs- oder Geschäftstätigkeit sei schon nach dem klaren Wortlaut nicht erforderlich (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - II ZR 28/10, BGHZ 190, 242).

Zudem ergebe sich aus den Erwägungsgründen zur EuGVVO, dass die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein sollen. Das Erfordernis eines Mindestmaßes von Verwaltungs- und/oder Geschäftstätigkeit würde die vom Verordnungsgeber gewollte Vorhersehbarkeit und Transparenz einschränken.

Anmerkung

Die Zuständigkeit deutscher Gerichte kann daher zu Recht allein durch den Unterhalt einer sogenannten Briefkastenfirma begründet werden, die einen nur auf dem Papier bestehenden Satzungssitz in Deutschland hat. Denn eine GmbH oder AG besteht auch dann wirksam, wenn ein Satzungssitz in Deutschland besteht. Für das Bestehen kommt es nicht auf den Verwaltungssitz an. Die Ausübung unternehmerischer Tätigkeit oder die Unterhaltung von Büroräumen am diesem Ort ist insoweit für das Prozessrecht nicht erforderlich. Das wird entsprechend gelten für den Gerichtsstand nach § 17 Abs. 1 ZPO.

Bei Personengesellschaften hingegen ist umstritten, ob Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderfallen können. Diskutiert wird daher teilweise, ob ein ausländischer Verwaltungssitz (etwa bei der BV & Co. KG mit Sitz der BV-Geschäftsleitung in Holland) dazu führt, dass es sich gar nicht mehr um eine deutsche KG handelt.

Der Verwaltungssitz ist außerdem auch im Steuerrecht äußerst relevant. Im internationalen Steuerrecht knüpft die Besteuerung in der Regel an den Verwaltungssitz als Betriebsstätte an. Nach den Doppelbesteuerungsabkommen erfolgt in der Regel eine Besteuerung am Ort des Verwaltungssitzes. Wird der Verwaltungssitz – etwa durch eine Bestellung (nur) ausländischer Geschäftsführer, die die Geschäftsführung nur aus dem Ausland wahrnehmen - vom In- ins Ausland verlegt, sind daher die steuerlichen Folgen nach in- und ausländischem Steuerrecht vorher zu prüfen.

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