Untreue durch Klageerhebung trotz mangelnder Erfolgsaussicht?

Wer eine Klage einreicht, kann seinen Mandanten dadurch schädigen. Damit durch eine aussichtslose Klage den Tatbestand der Untreue erfüllt wird, muss der Anwalt aber einen sehr weitgehenden Spielraum für Entscheidungen haben.

Das Landgericht Rostock hatte einen Anwalt zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten wegen Untreue verurteilt. Begründung: Der Anwalt habe allein aus Gebühreninteressen eine Millionen schwere und von vornherein aussichtslose Klage eingereicht. Hatte er sein Gewinnstreben wirklich deutlich über die Interessen seiner Mandantschaft gesetzt?

Aus Gebühreninteressen eine Millionen schwere aussichtslose Klage eingereicht?

Erst der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung wieder auf und setzte dabei die Grenzen fest, ab wann sich ein Anwalt wegen Untreue strafbar macht.

Der Anwalt hatte über Jahre eine Sparkasse juristisch beraten. Diese geriet später in finanzielle Schwierigkeiten. Dafür verantwortlich machte die Bank zwei Vorstände. Die Meinungsverschiedenheiten, die sich auf der Suche nach einem Weg aus der Krise daraus zwischen dem Verwaltungsrat und den beiden Vorständen entwickelten, endeten damit, dass der Verwaltungsrat die fristlose Abberufung der Vorstände beschloss. Hiergegen setzten sich die beiden Vorstände vor dem Landgericht Stralsund zur Wehr.

Chaos in der Sparkasse

In der Folgezeit beauftragte der neue Vorstandsvorsitzende der Bank eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit der Überprüfung des Kredit- und Wertpapiergeschäfts sowie der personalpolitischen Maßnahmen der früheren Vorstände.

  • In ihrem Gutachten kamen die Wirtschaftsprüfer zu dem Ergebnis, dass der Bank unter den ehemaligen Vorständen in den genannten Geschäftsbereichen jeweils Verluste in Höhe von mehreren Millionen Euro entstanden seien. Eventuelle zivil- und strafrechtliche Konsequenzen seien einer rechtlichen Prüfung vorzubehalten.
  • Auf der Grundlage dieses Gutachtens erteilten die Vorstände der Bank der Kanzlei des Angeklagten die Vollmacht zur Erhebung einer auf den Ausgleich der insgesamt entstandenen Verluste gerichteten Widerklage gegen die Ex-Vorstände.
  • Der später angeklagte Anwalt erhob dementsprechend eine Widerklage auf Zahlung von 18.748.000 EUR. In seiner Widerklageschrift übernahm der Angeklagte weitgehend nahezu wörtlich die Ausführungen aus dem Gutachten der Wirtschaftsprüfer.
  • Mit Anwaltsschreiben an den neuen Vorstandsvorsitzenden boten die Ex-Vorstände einen Vergleich an. Dieser wurde von der Sparkasse ohne Mitwirkung ihres Anwalts abgelehnt. Das Landgericht Stralsund und später das OLG Rostock wiesen die Widerklage letztendlich als unbegründet ab. Das rief den Staatsanwalt auf den Plan. 

Keine Untreue: Anwalt war nicht selbstständig und weisungsfrei

Voraussetzung des Treubruchstatbestandes gemäß § 266 Abs. 1 StGB ist laut BGH, dass sich die Vermögensfürsorge als Hauptpflicht, also als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige Verpflichtung darstellt. Es muss hinzukommen, dass dem Täter die ihm übertragene Tätigkeit nicht durch ins Einzelne gehende Weisungen vorgezeichnet ist, sondern ihm Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen wird. Hierbei ist nicht nur auf die Weite des dem Täter eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen.

In Anwendung dieser Grundsätze hat die Rechtsprechung die zivilrechtlich als Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 675 BGB einzuordnende Rechtsbeziehung zwischen einem mit der Führung eines bürgerlichen Rechtsstreits beauftragten Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber grundsätzlich als Rechtsverhältnis angesehen, das für den Rechtsanwalt Treuepflichten im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründen kann. Sie hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob dies immer der Fall ist und im Zusammenhang mit der Beauftragung des Rechtsanwalts zur Einziehung und Durchsetzung von Forderungen auf den Einzelfall abgestellt.

Danach wurde eine strafbewehrte Pflicht zur Betreuung fremden Vermögens etwa unter der Voraussetzung angenommen, dass der Rechtsanwalt eine Geldforderung von beträchtlicher Höhe geltend zu machen hatte, er damit wegen seiner besonderen Sachkunde betraut war, es ihm überlassen war, wie er die Forderung durchsetzte, er an besondere Weisungen oder Beschränkungen nicht gebunden und zum Abschluss eines Vergleichs ermächtigt war. 

Übernahme der Gutachtenergebnisse spricht gegen Vermögensbetreuungspflicht

Die Urteilsgründe des Landgerichts Rostock teilen bereits Näheres zu Zustandekommen, Inhalt und Ausgestaltung des Mandatsverhältnisses zwischen dem Angeklagten und der Bank nicht mit, monierten die obersten Strafrichter. Ihnen sei daher nicht zu entnehmen, dass dem Angeklagten die Entscheidung über das „ob" und „wie" der Widerklage zur selbstverantwortlichen Umsetzung nach eigener Beurteilung übertragen worden war.

„Eine derartige Selbständigkeit ergibt sich auch nicht aus ihrem Zusammenhang. Der festgestellte Kontext der Widerklageerhebung spricht im Gegenteil eher dagegen, dass der Angeklagte im Zusammenhang hiermit über einen Freiraum verfügte, der ausreichte, um eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB begründen zu können“, betonte das Gericht.

Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft lag der Klage zugrunde

So holte die Bank vor Erhebung der Widerklage ein Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein. Der Inhalt der Widerklage beruhte gerade nicht auf Vorgaben des Angeklagten, sondern folgte ganz weitgehend den Ausführungen des Gutachtens. Hinzu kommt, dass die Bank mit den Widerbeklagten während des erstinstanzlichen Zivilverfahrens über eine einverständliche Beendigung des Rechtsstreits verhandelte, ohne dass ihr Anwalt hiervon überhaupt wusste und in die Vergleichsverhandlungen eingebunden war.

(BGH, Beschluss vom 5.3.2013, 3 StR 438/12).


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