BGH gibt Pressefreiheit Vorrang vor Persönlichkeitsrechten

Im Falle einer Verdachtsberichterstattung muss ein Presseorgan sich nicht nachträglich selbst ins Unrecht setzen, wenn der Verdacht sich später als unbegründet erweist. Das Presseorgan ist aber verpflichtet, die Ausräumung des Verdachts in einem Nachtrag mitzuteilen.

Das Wochenmagazin „Der Spiegel“ hatte über den ehemaligen Chefjustiziar einer Großbank berichtet. Die Staatsanwaltschaft verdächtigte den Justiziar, daran mitgewirkt zu haben, das Büro eines ehemaligen Vorstandsmitglieds der Bank zu verwanzen, dessen Privatwohnung unbefugt zu durchsuchen und Dokumente zu frisieren. Diese Umstände hatten zur Entlassung des Vorstandsmitglieds geführt.

Justiziar verlangt Richtigstellung

Der Verdacht der Beteiligung des Justiziars beruhte auf den Aussagen eines Sicherheitsberaters der Bank, der diese Aussagen später widerrief. Darauf wurde das Ermittlungsverfahren gegen den Chefjustiziar eingestellt. Wegen der nachwirkenden Beeinträchtigung seines Rufs, verlangte der Justiziar vom Spiegel eine Richtigstellung und verfolgte diesen Anspruch vor Gericht.

Spiegel zunächst zur Richtigstellung verurteilt

Das LG Hamburg verurteilte die Verlegerin des Magazins zum Abdruck einer Richtigstellung. Das zweitinstanzlich mit der Sache befasste OLG blieb hinter dem Urteil des LG zurück und verurteilte den Spiegel lediglich zur Abgabe der Erklärung, dass der zunächst erweckte Verdacht nicht aufrechterhalten werde. Eine förmliche Richtigstellung könne nicht verlangt werden - so der OLG Senat –, weil die Verdachtsberichterstattung zum damaligen Zeitpunkt zutreffend gewesen sei.

BGH formuliert Grundsätze zur Verdachtsberichterstattung

Der unter anderem für die Frage von Persönlichkeitsrechten zuständige Zivilsenat des BGH hob nun auch das Urteil des OLG auf und stellte klar, dass bei Vorliegen eines Informationsinteresses der Allgemeinheit Presseorgane auch über bestehende Verdachtsmomente gegen eine Person berichten dürfen. Voraussetzung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung sei, dass

  • es sich um einen Vorwurf von gravierenden Gewicht handle,
  • der durch einen Mindestbestand ein Belegtatsachen gestützt werde,
  • das Presseorgan die Informationsquelle geprüft und für zuverlässig erachtet habe und
  • dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben wurde, sich zu den Vorwürfen zu äußern.

Recht auf ergänzenden Nachtrag

Der BGH-Senat sah Anhaltspunkte dafür, dass der Spiegel die genannten Mindestvoraussetzungen für eine Verdachtsberichterstattung eingehalten habe und diese durch das bestehende erhebliche Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt gewesen sei. Wenn – so der BGH – die Berichterstattung in diesem Sinne zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zutreffend gewesen sei, so könne von dem Presseorgan nicht verlangt werden, eine Richtigstellung zu veröffentlichen, da nichts richtig zu stellen sei. Allerdings sei nicht zu verkennen, dass auch eine in diesem Sinne zutreffende Berichterstattung dazu führen könne, dass die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen nachhaltig beeinträchtigt werden. In diesem Falle habe der Betroffene ein Recht auf die Veröffentlichung eines Nachtrags, mit dem klargestellt werde, dass der damalige Verdacht nicht mehr aufrechterhalten werde.

Schutz der Persönlichkeitsrechte ist lückenhaft

Insoweit sah der BGH im zu entscheidenden Fall allerdings Bedarf an weiterer Sachaufklärung, so dass der Senat den Rechtstreit zu diesem Zweck an das OLG zurückverwiesen hat. Mit dem Urteil stärkt der BGH die Rechte der freien Presse. Jedoch begegnet die Entscheidung auch rechtlichen Bedenken. Die Prangerwirkung einer Verdachtsberichterstattung mit erheblichen Folgen für den Betroffenen ist nicht zu verkennen. Im Internet kann ein solcher Artikel noch über viele Jahre abrufbar sein, ohne dass dieser mit einer Richtigstellung verbunden werden müsste. Die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen kann auf diese Weise weit über den Zeitraum hinausgehen, der erforderlich wäre, um dem Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerecht zu werden.

(BGH, Urteil v. 18.11.2014, VI ZR 7614).

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