Kennzeichnungspflicht: Israelische Siedlerware

In einem auch politisch relevanten Urteil hat der EuGH eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel aus von Israel besetzten Gebieten sowie israelischen Siedlungen im Westjordanland statuiert.

Kurz zusammengefasst bewertet der EuGH in seinem jüngsten Urteil die israelische Siedlungspolitik als Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht. Dem europäischen Verbraucher müsse die Möglichkeit eingeräumt werden, darüber zu entscheiden, ob er Lebensmittel aus solchen von Israel besetzten Gebieten erwerben wolle oder ob er dies aus ethischen Gründen ablehne. Deshalb sei die besondere Herkunft dieser Ware auf der Verpackung anzugeben.

Französischer Erlass zur Kennzeichnung von Siedlungsware

Hintergrund des Verfahrens ist ein in Frankreich geführter Rechtsstreit, in welchem ein auf die Nutzung von Rebflächen in den von Israel besetzten Gebieten spezialisierter Weinanbaubetrieb und eine jüdische Organisation den „Ministre de l`Economie et Finances“ wegen einer vom Ministerium erlassenen Verordnung verklagt hatten, wonach Lebensmittel aus den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten mit der Kennzeichnung „israelische Siedlung“ zu versehen sind. Das Weinanbauunternehmen befürchtete hierdurch Vermarktungsnachteile.

Der „Conseil d`etat“ bittet EuGH um Klärung

Der mit der Sache befasste „conseil d`etat“ bat darauf den EuGH um Klärung der Fragen, ob die durch die Verordnung des Ministeriums statuierte Verpflichtung zur Herkunftsinformation europäischem Recht entspricht und/oder ob eine solche Kennzeichnung nach europäischem Recht möglicherweise sogar verpflichtend ist.

Generalanwalt betont ethische Motive bei Verbraucherentscheidungen

Bereits der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen eine unmittelbare Verpflichtung zu einer solchen Herkunftsangabe nach europäischem Recht bejaht. Entscheidend für die rechtliche Beurteilung sei die EU-VO 1169/2011. Zweck der Verordnung sei die Gewährleistung einer umfassenden Information des Verbrauchers im Hinblick auf den Schutz seiner Gesundheit sowie auf wirtschaftliche, umweltbezogene, soziale und ethische Erwägungen. Immer häufiger verweigerten Verbraucher den Kauf von Waren aus ethischen Gründen, so beispielsweise bei einer Herkunft der Waren aus Ländern, die undemokratisch regiert werden. Solche ethischen Gesichtspunkte könnten auch bei dem Erwerb von Lebensmitteln eine Rolle spielen, die aus von Israel unter Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht besetzten Gebieten stammten.

EuGH betont Verbraucherschutz

Dieser Auffassung des Generalanwalts schloss sich der EuGH an und widmete sich in seinem Urteil dezidiert der Auslegung einzelner, in der EU-VO 1169/2011 benutzen Begrifflichkeiten. Gemäß Art. 9 und 26 der EU-VO 1169/2011 sei bei einem Lebensmittel das Ursprungsland oder der Herkunftsort des Lebensmittels anzugeben, wenn ohne diese Angabe eine Irreführung der Verbraucher möglich wäre. Dies gelte insbesondere dann, wenn beim Verbraucher der Eindruck erweckt werde, dass das Lebensmittel aus einem anderen als seinem tatsächlichen Ursprungsland oder Herkunftsort kommt. Der Verbraucher dürfe durch die Herkunftsangabe nicht getäuscht werden.

Siedlungspolitik Israels verletzt das Völkerrecht

Hinsichtlich der Begrifflichkeit stellte der EuGH fest, dass der Begriff „Land“ im EU-Recht allgemein als Synonym für den Begriff „Staat“ verwendet würde. Der Begriff „Staat“ bezeichne eine souveräne Einheit, die innerhalb ihrer geographischen Grenzen sämtliche ihr nach dem Völkerrecht zustehenden Befugnisse ausübt. Wenn vor diesem Hintergrund auf Lebensmitteln der Staat Israel als Ursprungsland angegeben werde, so könne der Verbraucher hierdurch in die Irre geführt werden, wenn das Lebensmittel tatsächlich aus Gebieten stammt, die über einen eigenen völkerrechtlichen Status verfügten, der sich von dem des Staates Israel unterscheide. In den besetzten Gebieten fungiere der Staat Israel nämlich lediglich als Besatzungsmacht mit einer nach den Grundsätzen des humanitären Völkerrechts beschränkten Hoheitsgewalt.

Irreführung der Verbraucher muss vermieden werden

Nach diesen Grundsätzen hält der EuGH zur Vermeidung einer Täuschung des Verbrauchers nach Sinn und Zweck der EU-VO 1169/2011 für Lebensmittel aus den von Israel besetzten Gebieten die Zusatzbezeichnung „israelische Siedlung“ für zwingend erforderlich. Eine entsprechende Etikettierung entspreche im übrigen auch dem in der EU-VO 1169/2011 verwendeten Begriff des Herkunftsortes, der ein bestimmtes geographisches Gebiet im Ursprungsland oder Ursprungsgebiet eines Lebensmittels bezeichne.

Verbraucher muss Kaufentscheidung nach ethischen Gesichtspunkten treffen können

Im Ergebnis enthält nach dem Diktum des EuGH der Begriff „israelische Siedlung“ für den Verbraucher die entscheidende Information über die Herkunft des Lebensmittels. Ohne diese Angabe werde der Verbraucher unter Verstoß gegen die EU-VO 1169/2011 irregeführt. Nur mit Hilfe der entsprechenden Kennzeichnung werde der Verbraucher in die Lage versetzt, eine fundierte Kaufentscheidung auch unter ethischen Erwägungen zu treffen.

(EuGH, Urteil v. 12.11.2019, C-363/18)

Hintergrund:

Die 1967 von Israel im sogenannten Sechstagekrieg eroberten Golanhöhen, das Westjordanland sowie Ostjerusalem sind seither aus UN-Sicht von Israel besetzt. Insgesamt leben in den Gebieten inzwischen mehr als 600.000 israelische Siedler. Einige NGO`s rufen deshalb international zum Boykott von Waren aus diesen Gebieten auf. Israel bewertet diese Aufrufe als antisemitisch und sieht in der nun vom EuGH bestätigten besonderen Kennzeichnungspflicht eine politische Diskriminierung Israels.


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