Erbrecht: Nichteheliche Kinder werden immer noch benachteiligt

Die Behandlung nichtehelicher Kinder im deutschen Erbrecht verstößt trotz einiger Rechtsänderungen immer noch gegen das Diskriminierungsverbot, weil sie nichtehelich Geborene benachteiligt. Dies hat der EGMR zu Gunsten zweier vor 1949 geborener nichtehelicher Kinder entschieden.

Hintergrund des gerichtlichen Verfahrens ist die sogenannte doppelte Stichtagsregelung, mit der der deutsche Gesetzgeber sich aus einem rechtlichen Dilemma befreien wollte. Ursprünglich hatten in Deutschland nichteheliche Kinder, die vor dem 1.7.1949, d.h. vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, geboren wurden, keinen Anspruch auf das väterliche Erbe. Bereits das BVerfG hatte im Jahr 2005 entschieden, dass eine Mindestbeteiligung nichtehelicher Kinder am Nachlass ein verfassungsrechtlich gebotenes Strukturprinzip des Pflichtteilsrechts ist (BVerfG, Urteil v. 19.4.2005, 1 BvR 1644/00).

Menschenrechtswidrige Ungleichbehandlung nichteheliche Kinder

Der EGMR stellte im Jahr 2009 ergänzend klar, dass die bis dahin in der Bundesrepublik geltende Regelung eine menschenrechtswidrige Ungleichbehandlung nichtehelicher Kinder darstellt (EGMR, Urteil v. 28.5.2009, 3545/04). Der bundesdeutsche Gesetzgeber sah sich in einem Dilemma insoweit, als Väter nichtehelicher Kinder bzw. deren Erben bei einer Änderung der Gesetzeslage Gefahr liefen, mit unerwarteten, in Einzelfällen möglicherweise ruinösen Erbansprüchen ihrer nichtehelichen Kinder konfrontiert zu werden.

Gesetzgeber führte doppelte Stichtagsregelung ein

Der Gesetzgeber versuchte sich aus der Zwickmühle durch eine doppelte Stichtagsregelung zu retten und entschied, dass mit Erlass des Urteils des EGMR uneheliche Väter bzw. deren Erben nicht mehr darauf vertrauen dürfen, von nichtehelichen Kindern nicht in Anspruch genommen zu werden. Der Gesetzgeber führte daher die Regel ein, dass die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder nur dann aus der Erbfolge völlig ausgeschlossen bleiben, wenn der Erblasser vor dem auf den Erlass des Urteils des EGMR folgenden Tag, also dem 29.5.2009 verstorben ist.

Doppelte Stichtagsregelung ist diskriminierend

Aber auch diese Regelung fand jetzt vor dem EGMR wiederum keine Gnade. Das Straßburger Gericht hält auch diese doppelte Stichtagsregelung für diskriminierend und sieht  darin einen Verstoß gegen den durch die EMRK gewährten Eigentumsschutz. Geklagt hatten zwei nichteheliche Söhne, die vor dem 1.7.1949 geboren, deren Väter aber bereits vor dem 29.5.2009 verstorben sind. Der EGMR entschied, dass eine völlige Abkopplung auch dieser Personen vom Erbrecht menschenrechtswidrig ist. Die Entscheidung folgt wenige Wochen auf eine ähnliche Entscheidung des EGMR in einem vergleichbar gelagerten Fall.

Die Bundesregierung kann noch Rechtsmittel einlegen

Rechtskräftig sind die Urteile noch nicht. Die Bundesregierung hat für die Dauer von drei Monaten ab Verkündung die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen. Die bisher zuständige kleine Kammer des Straßburger Gerichts kann das Verfahren in diesem Fall an die mit 17 Richtern besetzte große Kammer verweisen, muss dies aber nicht.

(EGMR, Urteile v. 22.3.2017, 59752/13 und 66277/13)

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