Keine staatliche Kontrolle von kirchlichen Disziplinarmaßnahmen

Das Recht der Kirchen zur eigenständigen Ordnung ihrer inneren Angelegenheiten ist verfassungsrechtlich gewährleistet. Eine nach Kirchenrecht auferlegte Gehaltskürzung eines Pfarrers wegen verjährter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unterliegt nicht der Kontrolle staatlicher Gerichtsbarkeit.

„Kleine Sünden bestraft Gott sofort“, große wohl erst sehr viel später: So bekam ein Pfarrer die kirchenrechtlichen Konsequenzen seiner bereits lange verjährten Straftaten erst kürzlich zu spüren und versuchte sich dagegen mit Hilfe staatlicher Gerichte zu wehren – vergeblich.

Gehaltskürzung als Buße

Einem katholischen Pfarrer wurde vorgeworfen, in den 1960er Jahren sexuelle Handlungen an Minderjährigen vorgenommen zu haben. Als die mittlerweile verjährten Taten im Jahr 2011 ans Licht kamen, erteilte der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart dem im Ruhestand befindlichen Geistlichen einen Verweis.

Zusätzlich sollte der Pfarrer im Rahmen der Buße Gutes tun. Dafür legte ihm der Bischof eine 20%ige Kürzung seiner Bezüge zugunsten eines Fonds für Missbrauchsopfer für die Dauer von drei Jahren nach Kirchenrecht auf.

Vom Kirchenrecht zum staatlichen Gericht

Die Gerichtsorganisation und das Verfahren für die römisch-katholische Kirche sind im sogenannten Codex Iuris Canonici 1983 („Codex des kanonischen Rechtes“) geregelt. Dort finden sich im 6. Buch die Canones (Rechtssätze) 1339 und 1340, die den Verweis und die Buße als Strafmaßnahmen vorsehen. Auch die verschiedenen Instanzen und Arten der Gerichte sind kirchenintern im Codex Iuris Canonici geregelt. Der Pfarrer legte daher zunächst beim zuständigen Kirchengericht Beschwerde gegen die kirchliche Disziplinarmaßnahme ein. Da diese jedoch erfolglos blieb, stellte er beim staatlichen Verwaltungsgericht Stuttgart im Mai 2012 einen Eilantrag auf Zahlung der vollen Bezüge. Dieser wurde ebenfalls abgelehnt.

Dienstrecht fällt unter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht

Der VGH bestätigte als nächsthöhere Instanz nun die Rechtsauffassung der Verwaltungsrichter. Kirche und Staat sind verfassungsrechtlich getrennt. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ist in Art. 140 GG verankert und garantiert den Kirchen das Recht zur eigenständigen Ordnung und Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten. Die Art und Weise, wie Kirchen ihren geistlich-religiösen Auftrag erfüllen, sei davon erfasst. Daher gehöre insbesondere das Dienst- und Disziplinarrecht zum Kernbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts.

Kirchliche Maßnahmen nicht von staatlichen Gerichten überprüfbar

Die dem Pfarrer nach kanonischem Recht auferlegte Buße in Gestalt einer Gehaltskürzung ist als dienstrechtliche disziplinarische Maßnahme eine solche rein innerkirchliche Angelegenheit. Sie fällt allein in die Zuständigkeit der Kirchen und der Kirchengerichte und unterliegt nicht der Kontrolle staatlicher Gerichtsbarkeit, so die Auffassung der Richter. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.

(VGH Mannheim, Beschluss v. 18. 12. 2012, 4 S 1540/112).

Hintergrund: Grenzen und Ausübung der Regelungsgewalt der Kirche

Angesichts der religiösen und konfessionellen Neutralitätspflicht des Staates  des Staates gem. Art. 137 Abs. 3 WRV dürfen staatliche Gerichte nicht in innerkirchliche Angelegenheiten hineinregieren. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass Gerichte die religiöse Legitimation kirchenrechtlicher Normen verkennen und damit gegen die Neutralitätspflichtverstoßen. Etwas anderes gilt nur, soweit Kirchen vom Staat verliehene Befugnisse ausüben oder wenn sie Maßnahmen ergreifen, die den kirchlichen Bereich überschreiten. In diesen Fällen erfährt ihr Selbstbestimmungsrecht eine in der Sache begründete Einschränkung.

Zu beachten ist, dass die Regelungsgewalt in den Kirchen nicht durch innerkirchliche, demokratisch legitimierte Vertreter, sondern in der Katholischen Kirche durch den Diözesanbischof, in der Evangelischen Kirche durch die Synode ausgeübt wird. Die Regelungsbefugnis der Kirchen endet aber immer dort, wo der kircheninterne Bereich verlassen wird.

Seitens der Europäischen Kommission werden die weitreichenden Autonomieregelungen für die Kirchen in Deutschland teilweise kritisch gesehen, insbesondere betreffend die teilweise Nichtanwendbarkeit des Gleichbehandlungsgesetzes im kirchlichen Bereich. Hier entsteht möglicherweise noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf zum Zwecke der Angleichung an europäische Standards.