Straubs Seitenblick

Drei Irrfahrten der Arbeitgeberverbände


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Serienelemente
Straubs Seitenblick: Drei Irrfahrten der Arbeitgeberverbände

Was bewegt die HR-Community? Reiner Straub, Herausgeber des Personalmagazins, widmet sich in einer neuen Serie aktuellen Personalthemen. In seiner ersten Folge stellt er den Reformstau bei den Arbeitgebern in den Mittelpunkt.

Die Bundesregierung bringt diese Woche das Rentenpaket zur Abstimmung. Die Probleme der Sozialversicherung werden damit nicht gelöst, sondern in die Zukunft geschoben. Warum gelingt uns keine Reform des Sozialstaats? Die vergangenen Wochen zeigen, dass das nicht allein das Problem der SPD ist, sondern dass auch die Arbeitgeber ihren Beitrag dazu leisten.

Erste Irrfahrt: rechthaberisch statt zielorientiert

Wie weit sich Arbeitgeber und SPD entfernt haben, wurde auf dem diesjährigen Arbeitgebertag deutlich. Personalverantwortliche und Arbeitgeberfunktionäre begleiteten die Rede von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas mit höhnischem Gelächter, was tiefe Wunden hinterlassen hat und sie auf dem anschließenden Bundeskongress der Jusos zu der Retourkutsche veranlasste, dass ihr auf dem Arbeitgebertag deutlich geworden sei, "gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen".

Doch statt diese Reaktion als Folklore bei den Jusos abzuhaken, trat Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger nach und machte daraus einen "Aufruf zum Kampf gegen Arbeitgeber". Ein solcher sei "in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellos". Eine Irrfahrt der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), rechthaberisch statt zielorientiert. 

Zweite Irrfahrt: Misstrauen gegen die Wirtschaft

Auf die zweite Irrfahrt begab sich Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbandes Familienunternehmer, die die Brandmauer zur AFD niederreißen und den Dialog aufnehmen wollte. Der Shitstorm auf diese Aktion war gewaltig, doch gestoppt wurde ihre Irrfahrt von den Mitgliedern ihres Verbandes, die diesem den Rücken kehrten oder mit Austritt drohten. Sie wurde zur Beendigung der Irrfahrt gezwungen, gestand Fehler ein, ohne an Rücktritt zu denken.

Heike Göbel kommentierte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zutreffend: "Statt mit der AFD sollten die Familienunternehmer lieber stärker das Gespräch mit der SPD-Spitze suchen – um ihr klarzumachen, wie eine Marktwirtschaft funktioniert." Ostermann jedenfalls hat in der vergangenen Woche Misstrauen gegenüber der Wirtschaft geschürt, wo es doch um Aufbau von Vertrauen geht.

Dritte Irrfahrt: Flucht aus der Verantwortung

Auf eine Irrfahrt geriet auch die "Kommission zur bürokratiearmen Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie", die von Bundesfrauenministerin Karin Prien eingesetzt wurde und im November ihren Abschlussbericht vorlegte. Statt einen Abschlussbericht vorzulegen, an dem sich der Gesetzgeber orientieren kann, was bei der Kommission "Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung" noch gelungen ist, konnte sich die Kommission nicht einmal darüber einigen, was unter Entgelt zu verstehen ist.

Die mangelnde Fähigkeit zum Brückenbauen zeigte sich auch darin, dass sowohl die BDA als auch der Bundesverband der Personalmanager*innen (BPM) dem Kommissionsbericht Sondervoten angefügt haben. Der BPM begründet das gegenüber dem Personalmagazin wie folgt: "Unser Sondervotum ist kein Gegenentwurf, sondern ein konstruktiver Beitrag, um das Gesamtvotum zu schärfen." Statt eine Kompromisslinie zu finden, wird die Aufgabe an die Politik weitergereicht. Das ist eine Flucht aus der Verantwortung.

Bewusstsein für die Krise steigt

Deutschland hat sich in den vergangenen beiden Wochen nicht in Richtung Reform des Sozialstaats bewegt. Der Politik den Schwarzen Peter zuzuschieben, ist zu einfach, wie die Irrfahrten der Arbeitgeberverbände zeigen. Unsere derzeitige Lage wird häufig mit der Situation vor 25 Jahren verglichen, als die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen genauso besorgniserregend wie heute waren. Der rot-grünen Regierung gelang die Modernisierung allerdings nicht auf Anhieb, sondern erst im zweiten Anlauf. Das macht Hoffnung für die jetzige Regierung. Der erste Anlauf von Bundeskanzler Gerhard Schröder war das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit, das scheiterte. Erst dieses Scheitern brachte die Agenda 2010 auf den Weg, die von der Hartz-Kommission unter maßgeblicher Mitwirkung der HR-Manager Peter Hartz, Heinz Fischer und Norbert Bensel ausgearbeitet wurde.

Vor 25 Jahren hatten viele Angst, ihren Job zu verlieren. Das Krisenbewusstsein war eine zentrale Voraussetzung, um tiefgreifende Reformen umzusetzen. Die Angst vor Arbeitslosigkeit ist heute weniger ausgeprägt, derzeit können alle Entlassungswellen noch sozial abgefedert werden. Doch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Krise steigt rapide, wie eine aktuelle Allensbach-Umfrage zeigt: 54 Prozent der Deutschen zweifelt an der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen, vor zehn Jahren war das eine kleine Minderheit. Auch das Image der Arbeitgeber bröckelt: Nur noch 19 Prozent der Deutschen sind der Auffassung, dass die Unternehmen hierzulande innovativ sind und ständig Neues entwickeln. Der Reformstau ist auch bei den Arbeitgebern groß.

Es braucht gute Gespräche über Lagergrenzen hinweg

Doch wo befindet sich heute das Navigationszentrum für eine Sozialstaatsreform, wo sind diejenigen, die das Schiff steuern und ans Ziel führen können? Auf der betrieblichen Ebene finden sich viele Beispiele. Erst diese Woche haben die Personalmanager um Wilfried von Rath von Thyssenkrupp zusammen mit Betriebsrat und Gewerkschaften ein Zukunftskonzept verabschiedet, das schmerzhafte Einschnitte wie auch die Zukunftssicherung der Stahlsparte mit sich bringt. Ähnliches ist bei Volkswagen, Bayer und anderen passiert.

Auf der betrieblichen Ebene gelingt die Steuerung, hier gibt es offenbar Teams, die über Lagergrenzen hinweg eine gute Gesprächskultur pflegen und zu Entscheidungen kommen. Auf der politischen Ebene in Berlin fehlte in den vergangenen Wochen eine solche Gesprächskultur.

Das ist nicht allein die Verantwortung der Parteien, sondern auch der Arbeitgeber, wie die geschilderten Irrfahrten zeigen. Wir brauchen in den nächsten Wochen und Monaten mehr Personalmanagerinnen und Personalmanager, die den Dialog nicht nur mit der CDU, sondern auch mit SPD und Grünen suchen. Ohne gegenseitiges Vertrauen und eine tragfähige Gesprächskultur wird eine Reform des Sozialstaats, die dem Land wieder Wachstum und Zuversicht eröffnet, nicht möglich werden.


Über den Autor: Reiner Straub ist Herausgeber des Personalmagazins und schreibt über die Themen Management, Human Resources, Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarkt und Bildung. Er führt Gespräche mit Meinungsbildnern aus der Unternehmenspraxis, der HR-Szene und der Wissenschaft und beobachtet die Marktentwicklung.

Schlagworte zum Thema:  Personalarbeit , Transformation , Equal Pay
1 Kommentar
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Gabi Pofahl

Thu Dec 04 13:10:26 CET 2025 Thu Dec 04 13:10:26 CET 2025

Die Probleme der Sozialversicherung könnten gelöst werden, indem man die Beitragsbemessungsgrenze abschafft !!!!
Warum zahlen eigentlich Arbeitnehmer die unter der Grenze liegen den Prozentsatz von ihrem gesamten Lohn/Gehalt (außer beim Midijob, aber die Ersparnisse dort sind ja auch lächerlich) und Spitzenverdiener nur bis zu einer bestimmten Grenze?